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Klimawandel: Eine aktuelle Bestandsaufnahme nach Greta, Rezo und Co. – Teil 1

| 11 Kommentare

Von Amardeo Sarma

Neue Aufmerksamkeit in Sachen Klima

Mit Greta Thunberg und dem Video von Rezo ist das Thema Klima ganz oben auf die Tagesordnung gelangt. Faktenchecks überschlugen sich, von Stefan Rahmstorf über Mai Thi Nguyen-Kim und Medien bis hin zum Science Skeptical-Blog.

Das Rezo-Video (Min. 5:20 bis Min. 25:25) und die Faktenchecks eignen sich gut für eine Bestandsaufnahme. Wo stehen wir heute? Was wissen wir ziemlich sicher? Was ist eher ungewiss? Welche Inhalte werden von Interessengruppen verzerrt dargestellt?

Vorab: Das Thema ist komplexer, als es scheint. Selbst Informationsseiten von Klimaforschern, wie “Skeptical Science”, liefern nicht zu allen Fragen zuverlässige Informationen. Der Weltklimarat IPCC verfügt über den wohl umfassendsten und aktuellsten Überblick, ist aber auch dem Druck verschiedenster Interessengruppen ausgesetzt. Klimafakten beurteile ich – was den Faktenteil zu Klimafragen betrifft – als weitgehend zuverlässig. Es macht aber immer Sinn, Aussagen zu prüfen, egal wie angesehen die Quellen seien mögen und auf welcher Seite die Macher stehen.

Dieser Beitrag ist der erste Teil einer zunächst auf fünf Teile angelegten Reihe. Nach der Bewertung der Grundaussagen zum Klimawandel in Teil 1 behandelt Teil 2 Kohlendioxid und Temperaturen in der Vergangenheit. Teil 3 geht auf Naturkatastrophen im Zusammenhang mit dem Klimawandel ein und fragt danach, welche Auswirkungen heute erkennbar sind und welche nicht. Bezüglich des Umgangs mit dem Klimawandel beginne ich in Teil 4 entgegen dem Trend mit der Frage der Anpassung an den Klimawandel, wobei ich auch auf vorgeschlagene Gegenmaßnahmen, wie das Absaugen von Kohlendioxid aus der Atmosphäre und Geoengineering, eingehe.

Im (voraussichtlich) letzten, fünften, Teil gehe ich auf Lösungsansätze zur Vermeidung ein. Dabei geht es auch darum, wie die deutsche Energiewende im internationalen Vergleich zu bewerten ist und wie verschiedene Strategien im Vergleich abschneiden.

Alle Fragen sind hauptsächlich im Kontext einer Bewertung der aktuellen Diskussion im deutschsprachigen Raum zu sehen, wobei der Klimawandel selbstverständlich eine globale Herausforderung darstellt.

Hitzerekorde

Nehmen wir die Aussage (Rezo 6:03), 2018 sei laut NOAA (US-amerikanische Wetter- und Ozeanografiebehörde) das viertwärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen gewesen, und die drei wärmeren seien 2015, 2016 und 2017 gewesen. Diese Aussage wird auch von der Japan Meteorological Agency gestützt.

Quelle: Temperaturanstieg, Angaben: Japan Metereological Agency

In der Grafik zeigt die blaue Linie den laufenden Fünfjahresmittelwert, während die rote Line den langfristigen Trend von 0,73 oC pro Jahrhundert zeigt. Dabei wird eine lineare Entwicklung angenommen. 

Jedoch deutet einiges darauf hin, dass diese Annahme nicht unbedingt zutrifft.  Es könnte sich auch um einen stärkeren Anstieg ab etwa 1970 handeln, nach einer Stagnationsphase zwischen 1930 und 1970. Wichtiger ist es aber, in diesem Zusammenhang auf die Ausreißer nach oben in den Jahren 1998, sowie 2015/2016 hinzuweisen. Genauso gibt es Ausreißer nach unten in den Jahren 1992/1993.

Langfristige und kurzfristige Trends unterscheiden sich

Die Ausreißer nach oben fallen mit dem Klimaphänomen El Niño zusammen. El Niño und bestimmte Luftdruckschwankungen in der Atmosphäre (Southern Oscillation) bilden zusammen ein komplex gekoppeltes Zirkulationssystem von Erdatmosphäre und Meeresströmung im äquatorialen Pazifik (El Niño/Southern Oscillation-Phänomen, ENSO). Ein starkes El Niño-Ereignis hat höhere globale Temperaturen zur Folge, unabhängig vom Klimawandel.

Auch unregelmäßige und unvorhergesehene Ereignisse können den allgemeinen Trend überlagern. Vulkanausbrüche zum Beispiel werfen Aerosole u.a Sulfataerosole aus Schwefeldioxid in die obere Atmosphäre (Stratosphäre) und wirken abkühlend. Der Ausbruch des Vulkans Pinatubo verringerte die Erdtemperatur um etwa 0,5 oC .

Diese Überlagerungen zeigen allerdings auch, warum es Probleme aufwirft, wenn man sich bei der Argumentation auf die Daten der letzten vier oder fünf Jahre beschränkt. 2008 hätte man argumentieren können, die letzten zehn Jahre seien fast durchgehend wärmer gewesen. Kurzfristige Ausreißer erschweren es, den langfristigen Trend zu erkennen.

Auf diesem Irrtum beruht auch die verbreitete Behauptung, seit 1998 gäbe es eine Pause bei der globalen Erwärmung. Einen extremen Ausreißer – egal ob nach oben oder nach unten – als Startpunkt anzunehmen, verzerrt die Interpretation.

Wichtig für die CO2-Werte ist der Biokreislauf (Rezo 8:05), wie aus der Keeling-Kurve hervorgeht:

Im Sommer, ab Mai, baut sich auf der Nordhalbkugel durch starke Photosynthese CO2 ab, während es im Winter durch Tiere und u.a. durch die Verwesung und Verrottung von Pflanzen neu entsteht.

Dass die Temperaturen insgesamt seit Beginn der Industrialisierung um etwa 1 oC gestiegen sind (Rezo 7:04), stimmt.

Die Ursachen für die derzeitige Erwärmung

Ob sich der Anstieg beim Stopp der fossilen Verbrennung fortsetzt oder ob er stagniert, ist ungewiss. Viele andere Faktoren spielen ebenfalls eine Rolle, wie die Grafik des IPCC AR5 (WG1) zeigt.

IPCC AR5 WG1 Technical Summary Fig. TS-7

“Science Skeptical” bezieht sich in seiner Rezo-Kritik auf den IPCC und weist darauf hin, dass es sowohl aufheizende als auch kühlende Faktoren gibt. Grundsätzlich stimmt die Aussage. Was aber dort nicht erwähnt wird, sieht man in der IPCC-Grafik unten. Alle Faktoren zusammengenommen bewirken über die Jahrzehnte eine zunehmende Aufheizung.

IPCC AR5 WG1 Technical Summary Fig. TS-6

Die Wahl der optimalen Gegenmaßnahmen stellt uns dabei vor ein Dilemma. Feinstaub, Sulfate und Nitrate kühlen die Atmosphäre, bringen jedoch gesundheitliche Gefahren mit sich. Hier hat man zurecht der Reduzierung dieser Schadstoffe aus Gesundheitsgründen Vorrang vor dem kühlenden Effekt eingeräumt. 

Dass Methan neben Kohlendioxyd ein Hauptverursacher für die Erwärmung ist, stimmt ebenfalls, wie man in der IPCC-Grafik erkennt. Die Grafik bei Rezo (7:43) ist akzeptabel, aber stark vereinfacht. Die kühlenden Faktoren fehlen.

Doch dass der Methanausstoß auf die „industrielle Tierhaltung“ zurückgeht (Rezo 7:52), ist eine zumindest irreführende Behauptung. Für die Emissionen ist es irrelevant, ob ein Rind „industriell“ oder auf der grünen Wiese gehalten wird. Der Methanausstoß ist identisch. Es ist sicher legitim, die industrielle Tierhaltung aus ethischen Gründen zu kritisieren, nicht aber aus Sicht des Klimaschutzes.

Rezo kritisierte zurecht die Behauptung, die Sonne sei für die jetzige Erwärmung verantwortlich (Rezo 10:55), wie sie in Deutschland von der AfD oder Fritz Vahrenholt geäußert werden. Die Grafik des IPCC AR5 WG3 unten zeigt den Verlauf.

IPCC AR5 WG1 Full Report Chapter 8 Fig. 8-10

Was bedeuten die Temperatursteigerungen?

Kann man Temperaturschwankungen der Erde mit denen des menschlichen Körpers vergleichen (Hirschhausen bei Rezo 7:20)? Hier wäre ich sehr vorsichtig. Für den Planeten Erde gibt es keine optimale oder tödliche Temperatur wie beim Menschen (37 oC bzw. 43 oC). In der Erdgeschichte gab es sowohl deutlich wärmere als auch kältere Phasen als heute. Das Leben gedieh unter sehr unterschiedlichen Klimabedingungen.

Richtig ist, dass bereits ein Temperaturanstieg um 1oC Probleme mit sich bringt (siehe „Six Degrees” von GWUP- Fellow Mark Lynas). Diese verschärfen sich mit jedem weiteren Grad, bis bei einem Anstieg um 3 – 4 Grad die Erde nicht mehr wiederzuerkennen ist.

Hinzu kommt die Geschwindigkeit der Klimaveränderung. In der Vergangenheit vollzogen sich Temperaturänderungen im Laufe von zehntausenden oder Millionen von Jahren, sodass sich die Lebensformen daran anpassen konnten. Heute geschehen solche Prozesse innerhalb von Jahrzehnten und Jahrhunderten.

Klarer Stand der Wissenschaft

Rezo hat hier mit seinen Aussagen hierzu klar Recht: Unter Fachwissenschaftlern herrscht breite Einigkeit darüber, dass es eine menschengemachte Klimaerwärmung gibt.

Es sind 40 Jahre seit dem Bericht einer Expertengruppe um Jules Charney an den US Präsidenten vergangen, der vor einer globalen Erwärmung um rund 3oC bei einer Verdoppelung des CO2-Gehaltes in der Atmosphäre warnte. Auch US-Präsident Johnson wurde 1965 von Wissenschaftlern auf dieses Problem hingewiesen. Das ist mehr als 50 Jahre her. Das Problem ist also lange, nicht nur unter Fachwissenschaftlern auf dem Gebiet, anerkannt.

Inoffiziell wissen wir von dem Problem noch länger. Jean Baptiste Joseph Fourier erkannte vor 200 Jahren, dass die Temperatur auf unserer Erde aufgrund der Atmosphäre höher ist, als sie es ohne Atmosphäre wäre. John Tyndal erklärte einige Jahrzehnte später, welche Gase den Treibhauseffekt auslösen, u.a. Kohlendioxid und Wasserdampf. Svante Arrhenius schätzte vor mehr als 100 Jahren als erster, wie stark sich Oberflächentemperaturen erhöhen würden. Er lag mit 4 – 5 oC etwas höher als die heutigen Annahmen.

Allerdings wäre es nur zu schön, wenn „es keinen seriösen Wissenschaftler [gäbe], der das Gegenteil behauptet“. Leider lassen sich einige doch dazu bewegen, als Beispiele seien der Nobelpreisträger Ivar Giaever und der renommierte Physiker Freeman Dyson genannt.

Andererseits betonen alle relevanten wissenschaftlichen Organisationen übereinstimmend, dass wir es mit einen menschengemachten Klimawandel zu tun haben.

Auch wenn viele Einzelheiten noch immer nicht vollständig bekannt sind, kennen wir die Grundmechanismen, welche die Temperaturen auf der Erde bestimmen. Neben der im Moment kurzfristig eher leicht abnehmende Sonneneinstrahlung und der Albedo spielen für die derzeitige rasche Erwärmung Treibhausgase die entscheidende Rolle. Langfristig, in Zeiträumen von hunderten Millionen Jahren gerechnet, nimmt jedoch die Sonneneinstrahlung zu.

Die Wissenschaftlerin Alison Bernstein (Mai Thi 15:04) bringt es auf den Punkt:

It is a consensus of the evidence, not of the scientists […] I don‘t like when people are like 99 % of the scientists agree. That’s not what consensus is”.

Daraus lässt sich jedoch nicht folgern, dass man nur die „wirklichen Experten“ fragen sollte, wie es Mai Thi irrtümlich tut.

Diese Einigkeit wird von einigen Nichtfachleuten unterschätzt. Allerdings gab es auch in Deutschland und in den meisten anderen Ländern nie eine Mehrheit, die den anthropogenen Klimawandel grundsätzlich in Frage stellt. Jedoch wurde dem Thema Klima kein hoher Stellenwert beigemessen. Hier ist jedoch inzwischen ein Umdenken erfolgt.

Zusammenfassung: Es gibt eine menschengemachte globale Erwärmung und die Temperaturen sind seit dem Beginn der Industrialisierung um etwa 1oC gestiegen. Nur Außenseiter in der Wissenschaft und Nichtwissenschaftler stellen diese grundsätzlichen Erkenntnisse in Frage.

Teil 2 wird sich mit den Themen Kohlendioxyd und Temperaturen in der Vergangenheit befassen.

Zum Weiterlesen:

11 Kommentare

  1. Interessanter Beitrag, Danke. Wird den AfD Anhängern und besorgten Bürgern nicht gefallen. Immerhin reden die sich täglich ein, dass der Klimawandel nicht unser Problem sei. Vermutlich glauben sie, dass die offenen Grenzen und Merkel Schuld daran sind. Klimaleugner und Fakten haben es ja nicht so miteinander.

  2. Empiricism and Dogma: Why Left and Right Can’t Agree on Climate Change

    https://quillette.com/2019/07/30/empiricism-and-dogma-why-left-and-right-cant-agree-on-climate-change/

  3. Ich weise darauf hin, dass auf science-skeptical.de ausschließlich Klimawandelleugner ihre Argumente darlegen und daher zur seriösen Informationsgewinnung nur sehr begrenzt geeignet ist.

    https://www.psiram.com/de/index.php/Klimal%C3%BCge

  4. Eine wilde Aneinanderreihung von DIagrammen und Ergebnissen unterschiedlichster Quellen mit dann immer wieder überraschenden Zusammenfassungen. Betrachten Sie doch mal EIN Thema, z.B. das der Temperaturerhöhung. Wie wird und wurde die globale Temperatur erfasst? Zuerst Wetterstationen (seit 1789, stärker seit 1890 und immer mehr seit 1930). Dann wurden mittelwerte Erde genommen, dann mittelwerte Ozeane, dann alles zusammen, dann kamen die Satellitendaten dazu. Am Ende sind es 0,6 Grad für 100 Jahre und nicht, wie von ihnen falsch zusammengefasst, 1 Grad. Skeptisch und wissenschaftlich hätte ich mir besser vorgestellt.

  5. Wie konnte es passieren, dass eine Zivilisation, der doch im vergangenen Jahrhundert immer nachgesagt wurde, die Metaphysik zugunsten der Naturwissenschaften und dem von ihnen beförderten technischen Fortschritt zu vernachlässigen, im entscheidenden Moment nicht an wissenschaftliche Ergebnisse glaubt?

    https://www.zeit.de/kultur/2019-07/klimakatastrophe-apokalypse-weltuntergang-hysterie-erderwaermung

  6. @crazyfrog: Der Quilette-Artikel is exzellent und zeigt auf, wie Ideologie, und nicht Wissenschaft die Einstellung zu Themen, wie Klimawandel und Gentechnik beeinflussen. Den Artikel kann ich empfehlen!

    Ähnliche Arbeiten gibt es auch in beim Cultural Cognition Projekt, über das ich schon geblogged habe. Über wie man über Brücken hinweg einen Dialog führen kann hat Matt Nisbet im Skeptical Inquirer mit Bezug auf die Ökomodernisten geschrieben: ein sehr lesenswerter Artikel!

    Der Artikel vom Kulturjournalisten Johannes Schneider in der Zeit hingegen ist genau ein Beispiel für das bei Quilette beschriebene Problem. Sein Artikel ist alles andere, als differenziert und nicht mehr, als eine weltanschaulich getriebene Polemik ohne Sachkenntnis.

  7. Leider hat dieser Ökonom recht:
    https://www.derstandard.at/story/2000106563574/oekonom-die-kritiker-irren-wir-muessen-immer-weiterwachsen
    Das kapitalistische System, das sich global durchgesetzt hat, ist zum Wachstum verdammt. In diesem System kann eine CO2-Reduktion nur durch innovative Technik erzielt werden (dafür wird es leider schon zu spät sein).

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