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Gefühl statt Analyse: FDP fällt beim Thema Heilpraktiker um

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Jetzt also doch nicht:

Die FDP hat laut Ärzteblatt „eine grundlegende Wende in ihrer Einstellung zum Heilprakti­kerberuf und zur Heilpraktikerausbildung vollzogen“ und will diesen dubiosen Laienstand erhalten.

https://twitter.com/KatrinHelling/status/1118392162985676802

Auf MedWatch-Nachfrage zeigten sich die FDP-Gesundheitspolitiker Katrin Helling-Plahr und Prof. Andrew Ullmann enttäuscht von dem Beschluss der Bundestagsfraktion ihrer Partei:

Um selbstbestimmte Entscheidung treffen zu können, müssen Bürger gesicherte und belegbare Informationen haben, betont Ullmann – sie müssten wissen, worüber sie entscheiden.

„Der Begriff des Heilens hat für mich nur eine Dimension: Die Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit mit objektiv geeigneten Behandlungsmethoden“, sagt Ullmann. „Wenn wir uns außerhalb dieser Definition bewegen, sind wir bei der Esoterik angelangt.“ Ein Ziel für ihn sei die Aufwertung der Medizin, die sich dem Patienten und seinen Bedürfnissen zuwendet.

„Wir müssen wieder Räume schaffen, wo Menschen, und hier vor allem Patienten, in den Mittelpunkt der Betrachtung gestellt werden. Dann werden sogenannte Alternativen kaum mehr gefragt sein.“

Der Science-Blog Gesundheits-Check kommentiert:

Was die FDP jetzt schreibt, ist nur noch eine Bankrotterklärung gegenüber dem Ansatz der evidenzbasierten Medizin: „Der Begriff des Heilens hat viele Dimensionen und entscheidet sich letztlich am Erleben und Empfinden des Einzelnen.” Und auch das Standardargument der Lobby darf nicht fehlen: „Viele Menschen schätzen die Behandlung durch Heilpraktiker“. Mit dieser Richtschnur lassen sich auch Geistheilung und Astrologie rechtfertigen […]

Kurioserweise hält die FDP beim Thema Heilpraktiker wieder die Autonomie des Einzelnen hoch: „Zur Freiheit des Einzelnen gehört auch das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper“. Beim Thema Impfpflicht hat sie sich davon schon seit geraumer Zeit verabschiedet, auch da nach Gefühl statt nach Analyse.

Freiheit ist bei der FDP offenkundig ein Beliebigkeitsargument geworden, das man hin und herwenden kann, wie man es gerade braucht. Dass sie vor ein paar Jahren noch Freiheit und Verantwortung zusammengebracht hat, hat die FDP wohl auch vergessen.

Zum Weiterlesen:

  • Die FDP und die Heilpraktiker: Absage an die evidenzbasierte Medizin, Gesundheits-Check am 16. April 2019
  • Trotz Kritik der Gesundheitspolitiker: FDP-Fraktion stimmt für Erhalt des Heilpraktikerberufs, medwatch am 18. April 2019
  • FDP will Heilpraktikerberuf jetzt doch erhalten, ärzteblatt am 16. April 2019
  • FDP-Gesundheitsexperten wollen Heilpraktikerberuf abschaffen, GWUP-Blog am 13. November 2018
  • Die Heilpraktikerei heute bei Welt-Online: „Fehler im System“, GWUP-Blog am 16. März 2019
  • Der Sinn und Unsinn von Heilpraktikern, verständlich erklärt, Krautreporter am 7. März 2019
  • „Gefährliche Hybris“: Interview mit Dr. Christian Weymayr zum Heilpraktiker-Unwesen, GWUP-Blog am 24. Januar 2018
  • Prozess gegen Heilpraktiker wegen Tod von Krebspatienten: „Die Leute standen im Grunde ja schon am Rand“, medwatch am 12. April 2019

9 Kommentare

  1. Leider geht’s den Liberalen, wie immer, nur ums Geldverdienen. Womit sie sich auch hier als Ewiggestrige zeigen. Soll man resignieren und die Dummheit zahlen lassen? Evolutionstechnisch gesprochen, müssten die „Patienten“ der HP aussterben.

  2. Ganz peinliches Versagen der FDP. Wie beim Thema Markt und Wettbewerb.

    Immer schön der Marktideologie fröhnen, aber bitte nicht bei Apothekern. Wenn die Patienten vor den Heilpraktikern bzw Medizinlaien nicht geschützt werden, ist das Politikerversagen auf breiter Flur.

    Die Argumentation der FDP Bundestagfraktion gegen Evidenzbasierte Medizin ist peinlich und dumm zu gleich.

  3. Da ist jetzt ein bisschen weiter auszuholen:

    1. Zunächst: Im Ausgangspunkt ist geklärt, dass beim „Heilpraktiker“ keine wirksame Behandlung zu bekommen ist. Gäbe es dort eine wirksame Behandlung, wäre diese Teil der evidenzbasierten Medizin und nicht Teil der Leistungen des „Heilpraktikers“.

    Sowohl das (stein-) alte und überholte „Wissen“ – also Schröpfen, Aderlassen und andere auf dumpfen Vorstellungen von Verunreinigungen des Blutes basierende Lehren – als auch Homöopathie, TCM, Akupunktur etc. sind daher bestenfalls sinnlos, potentiell aber gefährlich.

    2. Das Thema „Freiheit und Verantwortung“ kann hier nicht im Detail vertieft werden, weil das zu weit führen würde. Die Annahme, dass zur Freiheit auch „Verantwortung“ gehört, trifft aber jedenfalls nur insoweit zu, als die „Selbstverantwortung“ in Rede steht, anderenfalls handelt es sich nur um ideologisch motivierte Versuche, Freiheit begrifflich-immanent im Interesse Dritter zu beschränken.

    Dass es solche Begrenzungen der Freiheit gibt, ist selbstverständlich; Art. 2 Abs. 1 GG (Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht …“) bringt das auch klar zum Ausdruck. Nur muss man dies bezeichnen, als das was es ist: Eine (zulässige) Beschränkung der Freiheit, nicht Teil der Definition von Freiheit.

    3. Damit ist das Problem eingekreist: Erkennbar hat die FDP ein in der Genetik der Partei wurzelndes Problem damit, Menschen durch Einschränkungen ihrer Freiheit vor sich selbst zu schützen, ohne dass (unmittelbar) ein öffentliches oder privates Drittinteresse einschlägig ist; hier liegt auch ein wesentlicher Unterschied zur Impfpflicht (nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich).

    Die Kernfrage ist damit, ob man Menschen vor eigener Unvernunft schützen darf. Das kann man natürlich bejahen (z.B. „Anschnallpflicht“).

    Wer damit aber anfängt – oder auch ein Drittinteresse wegen der Einstandspflicht der Solidargemeinschaft etwa der (Sozial-) Versicherten für die Folgekosten unvernünftiger Entscheidungen geltend macht – muss mitteilen, wo und warum sich eine Grenze findet; sonst ist Bevormundung sofort Tür und Tor geöffnet (bis hin zu Vorschriften über die richtige, ausgewogene und klimafreundliche Ernährung in einem zu erlassenden Bundesernährungsgesetz).

    4. Allerdings wird man beispielsweise die Schließung eines Restaurants, in dem die Ratten in der Küche tanzen, nicht mit dem Einwand verhindern können, die Leute könnten doch selbst entscheiden, wo sie essen – denn kaum ein Gast guckt in die Küche.

    Das heißt: Ein Schutz vor Gefahren, die die Betroffenen nicht erkennen und nicht steuern können, bleibt selbstverständlich möglich. Die Kernfrage ist daher, ob man dem Publikum zutraut, die Unsinnigkeit eines Besuchs beim „Heilpraktiker“ zu erkennen, oder ob man das verneint, weil die meisten Menschen nicht so „im Thema“ sind, um die Unsinnigkeit einer homöopathischen Behandlung etc. zu erkennen. Der letztgenannten Sicht der Dinge dürfte richtigerweise zu folgen ein.

    Jenseits der Position von auch in der FDP-Bundestagsfraktion offenbar vorhandener Schwurbelanten kann man das aber auch anders sehen.

    Die Beschlussslage der FDP- Bundestagsfraktion ist danach zu kritisieren. Aufregung ist aber fehl am Platz.

  4. Prozess gegen Heilpraktiker wegen fahrlässiger Tötung: „Es klang biologisch, natürlich“

    https://medwatch.de/2019/05/01/prozess-gegen-heilpraktiker-wegen-fahrlaessiger-toetung-es-klang-biologisch-natuerlich/

  5. crazyfrog:

    Bei allem Verständnis, aber was „der Witwer der verstorbenen niederländischen Patientin“ da von sich gibt, ist schwer erträglich.

    Das kommt also dabei heraus, wenn jemand meint, sich eine fakten- und wirklichkeitsfreie Definition von „chemisch, biologisch, natürlich“ zusammenphantasieren zu können.

  6. > „Es klang biologisch, natürlich“

    Das erinnert mich prompt an meinen Schulunterricht in den 80ern. Weder Bio- noch Chemielehrer brachten im Unterricht die natürlichen Zusammenhänge zw. Biologie und Chemie zum Ausdruck …

    So einiges muss der Durchschnittsmensch sich irgendwie entweder zusammenreimen o. lernt es im späteren Leben durch glücklichen Zufall.

    Das nicht-ineinandergreifen der Fächer und fehlender, hm, alltagsbezogener Logikunterricht? – ist vielleicht ein Grund dafür, daß anscheinend viele Menschen die Chemie in Bio nicht erkennen.

    So was wie Gesundheitskunde wär auch nicht schlecht …

  7. Genau das Selbe:

    „“…aber da ist doch Chemie drin….nimm lieber Kytta“ (Schmerzsalbe).

    https://www.youtube.com/watch?v=4NVsi5KgDU0

  8. Der entscheidende Punkt:

    „Für ihn [den Ehemann] bestand der entscheidende Unterschied darin, dass der „Natuurarts“ mit natürlichen Mitteln arbeitet, während andere Ärzte „Chemie“ einsetzen.“

    Ich denke, dass dieses grundsätzliche Verständnisproblem auch in der deutschen und schweizer Bevölkerung besteht (ich erlebe es hier zumindst oft so).

  9. Das alte Problem: „Biologie“ und „natürlich“ sind positiv besetzt, während „Chemie“ nur das negative Zeug ist, was uns langsam umbringen wird.

    Dabei vergessen die Leute gerne, dass z.B. fast alle Bestandteile der Eibe hochgiftig sind und sie daher beim Verzehr auf biologische und natürliche Weise umgebracht werden, während das Krebsmedikament Paclitaxel auf chemische Weise synthetisiert wird un somit für den Menschen nutzbar wird.

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