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„Homöopathiefreie Apotheke“ – fernab von jeder Realität?

| 14 Kommentare

Die Schweizer Apothekerin und populäre Bloggerin Pharmama ist fraglos keine Homöopathie-Anhängerin, kann aber der Initiative „Homöopathiefreie Apotheke“ trotzdem wenig abgewinnen.

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In einem aktuellen Beitrag schreibt sie, diese Idee gehe an der Realität vorbei, „an der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und der gesetzesmäßigen“:

Homöopathie wird verlangt, wird verschrieben (ja, von Ärzten, auf Rezepten) und wird von den Krankenkassen übernommen.“

Das ist korrekt – bedeutet aber durchaus nicht, dass Apotheken Homöopathika vorrätig zu halten haben. Sie müssen lediglich ein verordnetes Medikament zeitnah beschaffen können.

Pharmamas Erwiderung:

Etwas, das so verlangt und nachgefragt ist, nicht am Lager zu halten – und womöglich auch nicht zu bestellen –, (nur) um der “Grundidee” und dem “wissenschaftlichen Ansehen” in den Augen einer (offensichtlichen) Minderheit zu entsprechen, kann man sich einfach nicht leisten. Das ist die Realität.

Und um beim wirtschaftlichen zu bleiben: Bei dem Zerfall der Medikamentenpreise kann eine Apotheke nur mit den Medikamenten auf Rezept nicht überleben. Dazu braucht es den OTC-Verkauf. Und auch dazu gehören die homöopathischen Sachen.“

Kann man erst einmal verstehen.

Aber wo genau kommen die angeblich überlebensnotwendigen Einnahmen aus dem Globuli-Verkauf her, wenn es stimmen sollte, dass der Anteil homöopathischer Arzneimittel am Umsatz (nicht am Gewinn) deutscher Apotheken gerade mal etwas mehr als ein Prozent beträgt?

Und wieso würde den Apotheken überhaupt Umsatz entgehen, wenn sie einem selbstzahlenden Kunden, der nach Globuli fragt, stattdessen etwas Anderes, Wirksames mitgeben?

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Letzter Punkt:

Unpopuläre Meinung von mir und ich bin sicher, es gibt auch unter den Apothekern schwarze Schafe, aber:

Homöopathie sind Heilmittel – für medizinische Anwendungen gedacht. Wir haben mit unserem medizinischen Hintergrundwissen die Möglichkeit einzugreifen. Zum Beispiel, wenn etwas behandelt werden soll, das unter Ärztliche Aufsicht gehört, weil es halt nicht mehr “banal” ist.

Malaria, HIV, Herzinfarkt … Im Beratungsgespräch kann der Apotheker herausfinden, ob das noch mit einem […] Pseudoplacebo behandelbar ist, oder ob es da wirksame Medikamente gibt oder ob es zum Arzt gehört. Das lernen wir im Studium. Das ist Wissen, das wir gerne weitergeben.“

Gewiss, das ist nachvollziehbar – tatsächlich aber bewirkt gerade die mangelnde Beratungskompetenz mancher Apotheken mitunter genau das Gegenteil, wie die Skepkon-Referentin Claudia Courts in Köln erklärte.

Von sieben getesteten Apothekern legten fünf umstandslos Globuli auf die Theke, als die Mutter einer kleinen Tochter mit Mittelohrentzündung nach einer (nicht existierenden) „Alternative“ zu Antibiotika fragte.

So gesehen, wären bei diesem Argument erst einmal der Nutzen und Schaden von homöopathischen Mitteln in der Apotheke abzuwägen, denn:

Kunden, die erkennbar nach einem echten Medikament für eine nicht-triviale Erkrankung fragen, mit einem Alternativpräparat nach Hause zu schicken, ohne wenigstens darauf hinzuweisen, dass es sich um ein „natürliches“ oder „alternatives“ Mittel handelt, scheint mir dagegen wirklich unvernünftig und vertrauensschwächend zu sein“,

merkt auch der Science-Blogger Christian Reinboth an.

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Festzuhalten ist aber, dass die „homöopathiefreie Apotheke“ auf freiwilliger Basis wohl nicht realisierbar ist.

Deshalb muss es darum gehen, die Forderung der Skeptiker nach der Abschaffung der Apothekenpflicht für homöopathische und anthroposophische Produkte weiter mit Nachdruck zu vertreten.

Zwei lesenswerte Kommentare zum Pharmama-Blogposting gibt’s übrigens von gnaddrig und Ute Parsch.

Zum Weiterlesen:

  • Die homöopathiefreie Apotheke, Pharmamas Blog am 27. September 2015
  • Homöopathie: Jeder fünfte Apotheker rät ab von diesem „Hokuspokus“, GWUP-Blog am 10. August 2015
  • Globuli raus aus Apotheken, fordert ein Pharmazeut in Australien, GWUP-Blog am 18. Juni 2014
  • Pharmazieprofessoren protestieren gegen Unwissenschaftlichkeit im Apothekenwesen, Ratgeber-News-Blog am 14. Dezember 2013
  • Schwachfug aus der Apotheke, GWUP-Blog am 15. Dezember 2013
  • Skepkon 2013: Globuli und Pharmazie – eine Liebesgeschichte? GWUP-Blog am 19. Mai 2013
  • “Homöopathie in der Pharmazie” von Claudia Graneis (Teil 1), BlooDNAcid am 8. Oktober 2012
  • “Homöopathie in der Pharmazie” von Claudia Graneis (Teil 2), BlooDNAcid am 5. November 2012
  • Zauberzucker aus der Apotheke, GWUP-Blog am 23. November 2012
  • Kommt eine Frau in die Apotheke … Frischer Wind am 17. Jui 2014
  • ,,Homöopathiefreie Apotheke“ – neue Website gestartet, GWUP-News am 25. September 2013
  • Apotheke und Homöopathie – ein Vortrag, ein Erlebnis, Beweisaufnahme in Sachen Homöopathie am 8. Juli 2014
  • „Nieder mit den Apotheken“, diewahrheit am 21. Oktober 2010

14 Kommentare

  1. Wer Pharmamas Blog öfter liest, weiss, dass sie selbst eine mehr als kritische Haltung gegenüber Zuckerkugeln und Schüttelwasser hat. Ohne Zweifel wird in ihrer Apotheke auch gut beraten (was manchmal schwierig ist, was viele ihrer Blogeinträge zeigen…).

    Nicht zu vergessen ist aber, dass Pharmama in der Schweiz ansässig ist, wo gerade der Glaubenskrieg nach der Probezulassung homöopathischer Süssigkeiten (2012) so richtig tobt. Das wirkt sich auf die Nachfrage aus. Es gibt eine Positivliste der Schwurbelmittel, die die gesetzlichen Kassen ohne Weiteres übernehmen.

    Zudem ist die Schweiz ein Hort der alternativen Nichtheilmethoden geworden. Insofern kann ich Pharmama gut verstehen, was mich aber gleichzeitig traurig macht.

    Vielleicht wird das Problem in der Schweiz ja gelöst, wenn die Globuli und Co. 2017 wieder aus der Kassenerstattung rausfliegen… So weit müssen wir hier erstmal kommen.

  2. „Deshalb muss es darum gehen, die Forderung der Skeptiker nach der Abschaffung der Apothekenpflicht für homöopathische und anthroposophische Produkte weiter mit Nachdruck zu vertreten.“

    und dann? Dann sind sie nur noch bei den Heilsversprechern die ihnen auch gleich noch die passenden Präparate verkaufen dürfen „-gab es früher in der Apotheke, jetzt ist der Verkauf zum Glück in kompetenteren Händen“

    Heute sehe ich wenigstens noch ein Rezept und kann bei Bedarf eingreifen falls es wirklich gefährlich wird. „Alternativ“medizinische Patienten kann man nicht überzeugen, höchstens vor schlimmeren Bewahren.

  3. @ApoMi:

    Ich sagte ja, es ist ein Abwägen zwischen Schaden und Nutzen.

    Der entscheidende Punkt für uns Skeptiker besteht darin, Homöopathika den Glorienschein eines „echten“ Arzneimittels zu nehmen, der durch die Apothekenpflicht künstlich aufrecht erhalten wird.

    Gäbe es das Zeug in jedem Supermarkt zu kaufen, würde niemand mehr denken, dass es sich dabei um etwas Besonderes oder gar um wirksame Medizin handelt.

  4. Man könnte Apotheken ja dreiteilen.

    Abteilung 1: Wellness, Sonnenschutzmittel, Kosmetika, Anti-Aging Produkte (was immer das auch sein soll)

    Abteilung 2: Nicht wirksame Arzneimittel: Homöopathie, Anthroposopische Arzneimittel, levitiertes Heilwasser, Heilsteine, andere Esoterika etc pp

    Abteilung 3 Wirksame Arzneispezialitäten – also alles was eine Wirksamkeit hat, die über Placebo (wie weit?) hinausgeht.

    Und natürlich alles schön beschildern

  5. Ich bin für eine Ampel, die nach Wirksamkeit sortiert ist.
    ROT echt heftiges Zeug, das Zeug wo man eine spezielle Verschreibung braucht.
    Grün: alles mit nachgewiesener Wirkung (> Placebo)
    Gelb: Naturheilkunde
    Blau: Kosmetika und Hömeopathie

  6. @ Wolfgang:

    Also – so eine Art Reformhaus mit angeschlossener Apotheke?

  7. @klauszwingenberger: Immerhin wäre dann klar abgegrenzt, wo Reformhaus, wo Drogerie und wo Apotheke ist…

  8. Die Bedenken von Pharmama, der Einwand von ApoMi und auch der Kommentar von einem Dr. Bartelsen unter einer der anderen Meldungen bringen alle einen wie-ich-finde bedenkenswerten Punkt mit.

    Irrationale Glaubenssysteme, und die Homöopathie als Lehre ist ein solches, befriedigen menschliche Bedürfnisse, teilweise sehr tiefgründende: Sinn, Kontext, Sicherheit, (Mono-)Kausalität… zum Teil übrigens dasselbe, was auch forschende Wissenschaftler antreibt.

    Wenn man das wegnimmt, muss man Ersatz schaffen, sonst suchen sich die Menschen den Ersatz anderswo. Sonstwo. Verzichten wäre ahuman (schönes Wort, hab ich vor ein Paar Jahren mal in Abgrenzung zu ‚inhuman‘ gelesen).

    Ohne dass ich gleich Lösungen dafür hätte: Das ist ein Punkt, der auf dem Freiburger Treffen zur Sprache kommen sollte.

  9. Ich denke, es gibt sehr viele Menschen, die sich nicht wirklich mit diesem Thema beschäftigen und eigentlich gar nicht wissen was die Hobbädie eigentlich ist und warum sie so unsinnig ist.

    Für diese Leute ist die Apothekenpflicht und die Übernahme durch die Krankenkassen sicherlich eine Legitimierung. „Wenn das schon apothekenpflichtig ist, wird das schon einen Grund haben (=wirksam sein)“

    Also weg mit den Globuli, raus aus der Apotheke, raus aus den Arztpraxen und raus aus den Leistungskatalogen.

  10. Ich suche immer noch nach einer Apotheke, in der ich meine (sehr lukrativen) Rezepte lassen kann. Aber es gibt hier in Hamburg anscheinend keine homöopathiefreie Apotheke.

    Für mich läuft die Grenze hier: kein Meditonsin im Verkaufsregal, keine Bachblüten auf dem Tresen, keine aktive Empfehlung von Globuli. Wenn jemand danach fragt sollen sie es halt verkaufen…

    Ich würde so eine Apothke auch durch Online-Käufe meiner Medizin gerne unterstützen. Hat jemand einen Tipp?!

  11. Hey Jo,

    das ist genauso aussichtslos wie die „homöopathiefreie Krankenkasse“. Ich hoffe stark, dass sich das wenigsten langfristig ändert – in beiden Fällen.

  12. @ Jo
    Meine Frau arbeitet in so einer Apotheke. Kleiner Pferdefuß an der Sache: die Apotheke ist in Wien.

  13. Meine „Stamm-Apotheke“ vermied immer Homöopathie öffentlich auszustellen, aber seitdem die Tochter die Apotheke führt hat sich das Ganze zum Negativen verändert…leider.

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