Warum misstrauen so viele Leute ihrem Arzt und glauben stattdessen C-Promis wie Jenny McCarthy oder Gwyneth Paltrow, dass Impfungen gefährlich und Vaginal-Dampfbäder gesund seien?
Ich verstehe es nicht“,
bekennt der Medizin-Blogger DocBastard bei The Daily Beast.
Den Versuch einer Erklärung wagt der anonym schreibende Arzt dann aber doch – auf den ihn seine achtjährige Tocher bringt:
In der Schule waren die coolen Kids immer die Rebellen, die sich Autoritäten widersetzt und ihr eigenes Ding gemacht haben. Nur Nerds folgten den Regeln und taten, was von ihnen verlangt wurde.
Könnte es sein, dass diese Einstellung sich auf die Medizin übertragen hat?
Jetzt verstehe ich es.
Die Schulmedizin ist nämlich genau das: konventionell, konformistisch, Mainstream. Aber heutzutage will niemand mehr „konventionell“ oder „normal“ sein.
„Alternative“ Medizin dagegen – das ist cool, hip, angesagt. Weil sie „anders“ ist, irgendwie.
Und das „Andere“, das „Alternative“, das muss einfach besser sein als das Gewöhnliche.
Deshalb ist es auch vollkommen egal, dass „Alternativmedizin“ nicht wirkt. Denn „Alternativmedizin“, die wirkt, wäre ja keine Alternativmedizin mehr, sondern nur noch Medizin […]
Es spielt überhaupt keine Rolle, dass Medikamente belegbar genau das vollbringen, wofür sie entwickelt worden sind. Es tut nichts zur Sache, dass ernsthafte Nebenwirkungen dabei seltener sind als ein Sechser im Lotto. Wen kümmert es, dass Ibuprofen die Kopfschmerzen zuverlässig zum Verschwinden bringt?
Ich verstehe es.
Impfstoffe enthalten schrecklich klingenden Zutaten wie Aluminium und Formaldehyd.
Und sicher haben auch Sie schon von einem Freund gehört, dass Impfungen Autismus verursachen. Oder Sie lesen alternative Webseiten, auf denen steht, dass die Impfstoffe gar nicht wirklich funktionieren und dass sauberes Wasser und Hygiene die ganzen schlimmen Krankheiten verdrängt haben.
Und natürlich ist es Ihnen völlig egal, dass die Menge an Aluminium in einem Impfstoff geringer ist als in einem Stück Obst.
Und dass Formaldehyd ein natürliches Zwischenprodukt des Stoffwechsels ist und Sie in Ihrem Körper viel mehr Formaldehyd haben, als Sie mit einer Impfung je bekommen können.
Und Sie ignorieren geflissentlich die Tatsache, dass Impfstoffe Hunderte Millionen Todesfälle verhindert haben […]
Ich verstehe es.
Klar, Naturheilmittel sind natürlich. Und „natürlich“ ist automatisch besser.
Cyanide und Uran sind auch natürlich. Oder Pockenviren. Macht sie das besser?
Ihr Handy ist von Menschen zusammengeschraubt worden, also unnatürlich. Macht es das schlechter?
Aber ich verstehe es.
Sie wollen keine „verarbeiteten“ Lebensmittel essen, weil unsere Vorfahren auch keine hatten. Dass die Menschen in der Steinzeit bestenfalls 35 Jahre alt geworden sind, wir heute aber weit über 80 – tut nichts zur Sache.
Sie kaufen nichts, wo „3-Methylbutyraldehyde“ und „Benzaldehyd“ drin ist, weil Sie sich nicht von der Industrie vergiften lassen wollen. Dass diese Chemie aus der Natur auch in Blaubeeren vorkommt – es interessiert Sie nicht.
Also ja, ich verstehe es.
Es ist cool, anders zu sein.
Aber wissen Sie was? Wenn Sie wirklich anders sein wollen, ziehen Sie Ihre Hose über den Kopf. Tragen Sie eine flippige Sonnenbrille. Malen Sie Ihr Auto mit grünen und lila Streifen an.
Aber lassen Sie um Himmels willen die Finger von „alternativer“ Medizin.
Glauben Sie nicht jedem Honk, der irgendwas im Internet verzapft. Und bilden Sie sich bitte nicht ein, dass Sie medizinisches Fachwisssen besitzen, nur weil sie googeln können.
Eine echte medizinische Ausbildung dauert je nach Fachrichtung zehn Jahre oder länger. Glauben Sie mir, mit einer Suchanfrage von 0,452 Sekunden bei Google können Sie da nicht gleichziehen.
Und schon gar nicht ersetzen Pseudo-Promis oder das Internet ein vertrauenvolles Gespräch mit dem Arzt, dessen einziges Interesse Ihrer Gesundheit gilt.“
In seinem eigenen Blog geht DocBastard auch auf die aktuelle Impf-Debatte ein:
Dass im Jahr 2015 noch irgendjemand glauben kann, die Erde sei flach, ist mir ebenso vollkommen unverständlich wie die Auffassung, dass Impfungen nicht zu den besten Erfindungen in der Geschichte der Menschheit gehören.“
Im Folgenden dokumentiert DocBastard einen Mail-Wechsel mit einem überzeugten Impfgegner – was uns sehr bekannt vorkommt und auch andere Kollegen schon versucht haben, etwa hier und hier.
Am Ende hat DocBastard seinen Kontrahenten „Geary“ so weit, dass dieser einräumt:
While I can’t say for sure that the use of vaccines has never caused a case of Autism, I also can’t say that it has. I’m not sure anyone can confidently say yes or no on either side, can they?“
Simple Antwort des Doc:
Yes, we can.“
Zum Weiterlesen:
- Why You Trust the Internet More Than Your Doctor, The Daily Beast am 26. Februar 2015
- The Vaccine „Debate“, DocBastard am 22. Februar 2015
- Poor, poor pitiful Andy (Wakefield): Dissed again, this time by the Oregon Senate Committee on Health Care, Respectful Insolence am 26. Februar 2015
- „Amy Farrah Fowler“ will keine Impfgegnerin mehr sein, GWUP-Blog am 11. Februar 2015
- Jenny McCarthy‘s Body Count und das Anti-Impf-Gefasel nerviger Pseudo-Promis, GWUP-Blog am 6. Juli 2014
- Natur ist gut und Chemie böse, GWUP-Blog am 13. Oktober 2013
- Fatales Natürlichkeitsdenken der Impfgegner, GWUP-Blog am 11. Mai 2014
- Andrew Wakefield ist kein Opfer, sondern Täter der Anti-Impf-Bewegung, GWUP-Blog am 21. Juli 2014
- Reich werden durch Impfen? GWUP-Blog am 31. März 2014
- Immun gegen die Wissenschaft, Cicero am 28. Februar 2015
- “Zeit der Zweifler”: National Geographic zum Thema Wissenschaftsfeindlichkeit, GWUP-Blog am 1. März 2015
- Grüne Medizinkritik: Achtung, Impf-Mobber! Spiegel-Online am 3. März 2015
- Die „jüdische Verschwörung“ gegen die Zaubermelodie Mein Studentenmädchen, Psiram am 3. März 2015
- Die Diskussion um die Masernimpfpflicht: ein politisches Placebo? Gesundheits-Check am 3. März 2015
- Why People Fly from Facts, Scientific American am 3. März 2015
4. März 2015 um 09:24
Ach, genau das, was DocBastard sagt, hatte ich sinngemäß hier im Blog an anderer Stelle schon geäußert.
Dann lag ich scheinbar gar nicht so falsch. Denn ich glaube an diese Mutmaßung!
4. März 2015 um 12:06
@Die Wurzeln des “ Alternativen“ liegen sicher in einem unreflektierten und sehr Schematischem “ Gegen“, eben auch gegen alles was sich unter Kapitalismus subsumieren lässt.
Da kommt schon mal ein Satz wie : Schließlich sei die Schulmedizin im Kapitalismus entstanden. Unabhängig wie hahnebüchen dieses Argument an sich schon ist, hätten sich z.B. der Sowjetsozialismus die Finger geleckt, hätte man die moderne Medizin auf dem Silbertablet serviert.
Dafür reiht sich ein Fehlschluss an den anderen. Es gibt so eine Art kollektive Immunisierung – Fakten interessieren nicht, die kommen ja auch wieder von der falschen Seite.
Letztlich scheint es aber auch stark um Deutungshoheit zu gehen. Meine Meinung (mag sie noch so subjektiv sein und noch so unfundiert) ist gleich viel wert wie harte Wissenschaft, im Gegenteil, der eigentliche Durchblick liegt auf meiner Seite. Das scheint eine Art Sektenvorstufe zu sein. Diese Art des Denkens ist so weit verbreitet, dass man damit sogar Gesundheitsministerin in NRW werden kann und bis auf ein paar Skeptiker niemand Anstoß nimmt, wenn die GM Globuli auf die gleiche Stufe stellt wie ev. Medizin. (Sie ist laut Ruhrbaronen wohl auch nicht die Einzige). In diesem Klima gedeiht und keimt Impfgegnerschaft auf bestem Nährboden.
4. März 2015 um 15:43
Schöne Argumentationskette, sie hat aber einen Fehler: Sie ist zu logisch, zu stichhaltig und zu faktenbasiert.
Das sind Dinge, mit denen alternativ/esoterisch veranlagte Menschen wenig anfangen können. Da ist dann mehr das „Bauchgefühl“ und das „sagen hören“ gefragt, wissenschaftliches Denken ist widernatürlich und seelenlos/kalt.
In einem Land, in dem CO2 als Giftgas gehandelt wird und wo es genfreies Gemüse gibt, kann man auch nichts anderes erwarten.
Diese Einstellung ist eigentlich nur in gesättigten Wohlstandsgesellschaften wie der unseren zu sehen.
In Entwicklungsländern besteht geradezu eine Gier nach wissenschaftlicher Bildung, da man dort noch am eigenen Leibe spürt, dass Wissenschaft/Schulmedizin Fortschritt bringt.
4. März 2015 um 19:12
mMn ist Impfen, die einzige „Homöopathie“, die funktioniert.
Das sollte doch jeden Homöopathie-Fan Freudentränen in die Augen treiben.
Impfen, „informiert“ das ´Immunsystem‘ des Menschen über einen potentiell gefährlichen Eindringling, das ist wohl die einzige ‚Informationsmedizin‘, die bisher funktionierte ;-)
4. März 2015 um 22:08
Gut erkannt, Ralf.
5. März 2015 um 00:31
Guter Artikel, ergänzend hinzufügen muss leider, dass es genügend studierte Mediziner gibt, die sich in der sog. Alternativmedizin tummeln.
5. März 2015 um 08:44
Ralf: Quellen habe ich gerade nicht zur Hand, aber AFAIK war sogar der Samuel Hahnemann einer der damals noch rar gesäten Befürworter der „neumodischen“ Vakzination. Dumm war der Typ ja nicht – entwickelte nur später ein ziemlich irrsinniges Geschäftsmodell, von seinen Nachfolgern später als „Heilslehre“ missverstanden. ;-)
5. März 2015 um 11:26
@Dalkek: Die Hahnemann’sche Einlassung findet sich als Zitat auf dieser homöopatischen, impfkritischen Seite (zweiter Kasten – Organon). Interessant, mit welch schwurbeliger Argumentationstechnik hier ganz allgemeine Hahnemannsprüche als Beweis dafür herangezogen werden, er sei doch ein Impfgegner gewesen.
http://homeoint.org/german/loibner/impfung.htm
5. März 2015 um 16:39
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Glauben Sie nicht jedem Honk, der irgendwas im Internet verzapft. Und bilden Sie sich bitte nicht ein, dass Sie medizinisches Fachwisssen besitzen, nur weil sie googeln können.
Eine echte medizinische Ausbildung dauert je nach Fachrichtung zehn Jahre oder länger. Glauben Sie mir, mit einer Suchanfrage von 0,452 Sekunden bei Google können Sie da nicht gleichziehen.
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Es mag stimmen das man kein medizinisches Fachwissen vom googlen erlernen kann.
Kommt halt drauf an wie man sucht.
Wenn ich jetzt Blinddarmentzündung eingebe.
Dann kommen ein paar Seiten wo jeder xbeliebige reinschreiben kann 1-2 Seiten wo Ärzte schreiben.
Mehr als genug Quacksalber Seiten die auf irgendwelchen Hokus Pokus weil Blinddarm gereizt blabla setzen.
Wenn man aber richtig sucht.
Findet man auch genügend mit wissenschaftlichen Hintergrund.
zB:
appendizitis dissertation
da findet man dann genügend von Universitäten online gestellte Dissertationen die zB Vergleichen zwischen den Operationsarten usw.
Und so ziemlich in jeder Dissertation steht nunmal zu Beginn was ist die Krankheit, was verursacht sie (bzw. von was geht man aus) wie wird sie behandelt.
Ich will jetzt nicht sagen das man damit den Facharzt zum Chirurgen bestehen könnte.
Aber man hat zumindestens laienhaftes Wissen.
Und wenn man gewisse Wörter nicht kennt –> genau dann googlet man.
Und das ist eigentlich auch das was man tun sollte und für was das Internet auch da ist –> vernetzen –> Wissen verteilen.
Klar welchen Arzt wäre es nicht lieber der Patient würde wie früher den Mund halten und das tun was der Arzt sagt.
Davon gibt es sicherlich genügend.
Und dann gibts da noch so Ärzte die sowas ins Leben rufen:
http://www.minimed.at/
Damit der Normalbürger es auch versteht wenn der Arzt etwas sagt.
Klar ist es ein Problem für Ärzte wenn der Patient denkt er ist intelligenter als der Arzt.
Aber es kann auch von Vorteil sein:
Als ich mal beim Zahnarzt war, und ich Antibiotika brauchte und ich gesagt habe kein Amoxicillin & Clavulansäure Präparat da es schonmal massive Darmprobleme gab und auch kein Clindamycin Präparat. War man komplett ratlos was man denn sonst geben sollte…
Zum Glück gibts ja erst seit gestern Makrolide die hier auch wirken können, aber ich versteh das schon wenn man kaum etwas anderes verschreibt dann wirds halt schwierig.
Dann hab ich halt ein Präparat vorgeschlagen und dann passt das schon.
Blöd halt nur das er mich vorher veräppeln wollte und mir einfach nur ein Rezept gab mit einen anderen Präparatnamen blöd nur das ich wusste das es der selbe wirkstoff ist ^^
5. März 2015 um 22:42
Glauben Sie nicht jedem Honk, der irgendwas im Internet verzapft. Und bilden Sie sich bitte nicht ein, dass Sie medizinisches Fachwisssen besitzen, nur weil sie googeln können.
Eine echte medizinische Ausbildung dauert je nach Fachrichtung zehn Jahre oder länger.“
Wenn noch ein paar Kurse drangehängt werden dauerts noch länger und der Gute kann auch mit nem bioresonanz Gerät umgehen.
Das ganze passt für viele Länder, in Österreich sind Homöos aber Ärzte, damit relativiert sich das Vertrauen erhaltene Bildung. Ohne Google und Prüfung der gefundenen Information nach Quellen ist man ziemlich verloren.
Solange der Staat nicht einschreitet und diesen Irrsinn ins Abseits drängt, hilft nur gründliche Recherche. Die ganzen Betrüger welche meine Mutter aufsucht sind auch „Ärzte“
6. März 2015 um 22:31
Zitat npl
Das liegt aber daran, daß „Heilpraktiker“ dort nicht zugelassen sind; wobei es auch in D genügend Ärzte gibt, die diesem „Hobby“ (milde formuliert) anhängen.