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SkepKon-Rückblick: Der „Kamikaze-Ichthyosaurier“ und die Kreationisten

| 4 Kommentare

Es gibt so Fragen, die Kreationisten bewegen.

Zum Beispiel: Wie kann es sein, dass Fossilien in mehrere Gesteinsschichten eingebettet sind?

Ausführlich liest sich das so:

Immer wieder findet man fossile Baumstämme, Pflanzen und Tiere, die sich über mehrere geologische Schichten erstrecken (polystrate Fossilien).

Das Problem dabei ist, dass diesen Schichten oft ein radiometrischer Altersunterschied von mehreren Tausend oder gar 10.000 Jahren zugeschrieben wird. So wurde auf dem Hauenstein (in der Schweiz) ein fossiler Fischsaurier gefunden, der sich über drei Schichten erstreckt.

Weil ein Fisch bereits nach wenigen Tagen zu verwesen beginnt, müssen Schichten wie diejenigen vom Hauenstein sehr schnell abgelagert worden sein.“

Abgesehen davon, dass ein Fischsaurier kein „Fisch“ ist, sondern ein Reptil, schließen Evolutionsleugner daraus, dass die geologische Zeitskala falsch sein muss, da

… sich die Gesteine schnell bildeten, wie man es bei einer jungen Schöpfung erwartet, von der uns die Bibel berichtet.“

„Junge-Erde-Kreationisten“ sind mithin davon überzeugt, dass die Erde höchstens 10 000 Jahre alt ist und von einem Schöpfer geschaffen wurde.

Die Reste des besagten Fischsauriers sind 1999 von den Paläontologen und Geologen Christian Meyer und Achim Reisdorf von der Universität Basel entdeckt worden. Es handelt sich um den Schädel und die Reste des postkranialen Skeletts eines Ichthyosauriers (Leptonectes tenuirostris) von zirka 1,90 Meter Körperlänge, die sich auf etwa 190 Millionen Jahre datieren lassen.

Bei der SkepKon 2014 in München referierte Reisdorf ausführlich über diesen spektakulären Fund.

 

Das Besondere an dem Hauensteiner Ichthyosaurier ist, dass seine Reste senkrecht im Gestein steckten, also gewissermaßen kopfüber, weshalb Reisdorf dem Fossil den Spitznamen „Kamikaze ichthyosaur“ verpasste.

Außerdem durchbohrten Schädel und die sich daran anschließenden Skelettreste im Verlauf der Erdgeschichte gleich drei Gesteinsschichten, die sich altersmäßig insgesamt um eine bis zu zwei Millionen Jahre unterscheiden.

  • Wie konnte es zu dieser „Kopflandung“ kommen?
  • Welche Konsistenz hatte das Sediment?
  • Und wie war es möglich, dass der Ichthyosaurier drei Gesteinsschichten unterschiedlichen Alters durchdringen konnte?

Reisdorf stellte zunächst klar, dass „polystrate Fossilien“ kein Fachbegriff der Geologie oder Paläontologie sei, sondern eine kreationistische Wortschöpfung.

Aus Sicht der Wissenschaft gebe es für den „Kamikaze-Ichthyosaurier“ eine plausible Erklärung:

Ichthyosaurier hatten ein höheres spezifisches Gewicht als Meerwasser. Deshalb sanken sie nach dem Tod zum Meeresboden ab. Beim Absinken stieg der Wasserdruck, der flexible Brustkorb und damit auch die Lungen wurden zusammengepresst.

Insbesondere bei der Fischsaurier-Art Leptonectes tenuirostris verlagerte sich dadurch der Körperschwerpunkt offenbar regelmäßig nach vorne – und der Fischsaurier stieß schließlich kopfüber bis zu seinen Vorderpaddeln in die noch sehr weiche oberste Schicht des Meeresgrunds.

Während Aasfresser, Fäulnis und Wasserströmungen die nicht im Sediment eingebettete Körperpartie des toten Ichthyosauriers beseitigten, wurde um den im Meeresboden steckenden Kopf und Brustkorb eine Schicht aus Kalk ausgefällt.

Dadurch entstand ein harter Keil, der über die Jahrtausende der Erdgeschichte durch den Auflastdruck immer neuer Sedimente durch zwei ältere, noch immer plastisch verformbare Gesteinsschichten getrieben wurde

Kurios:

Reisdorfs Forschungsarbeit zur Hauensteiner Fischechse wird auf der Kreationistenseite „95 Thesen gegen die Evolution“ zwar kurz dargelegt, aber nicht etwa argumentativ diskutiert, sondern lediglich in pseudo-pluralistischer Manier dem kreationistischen Konzept der „polystraten Fossilien“ gegenübergestellt und mit der Suggestivfrage „Welcher Erklärungsversuch ist letztendlich plausibler?“ abgetan.

Noch kurioser ist, dass „Langzeit-Kreationisten“ in Sachen „Kamikaze Ichthyosaur“ den „Kurzzeit-Kreationisten“ (Junge-Erde-Kreationismus) widersprechen.

Schließlich widmete auch das Kreationistenmagazin factum dem „Dickschädel vom Hauenstein“ eine elfseitige Titelstory, in der die Rede von einem „möglichen Einbettungsszenario“ ist, mit dem jedoch „nicht alle Interessenskreise einverstanden“ seien.

Dass indes lediglich die Evolutionsleugner mit Reisdorfs „Einbettungsszenario“ nicht einverstanden sind, bewies eindrucksvoll das englischsprachige Magazin creation, das unter anderem Reisdorfs Zeichnungen zum Hauensteiner Ichthyosaurier-Fund „nicht nur plagiierte, sondern auch fälschte“, sagte der Sedimentologe bei seinem SkepKon-Vortrag.

Reisdorf endete mit einer beunruhigenden Frage:

Wer soll Kreationisten wissenschaftlich fundiert entgegentreten, wenn paläontologische und geologische Institute reihenweise geschlossen werden?“

Zum Weiterlesen:

  • Ein Detektiv der Paläontologie, Uni Nova 9/2012
  • Ichthyosaurier-Rätsel vom Hauenstein gelöst? Neue Zürcher Zeitung vom 12. März 2004
  • Die Fischechse vom Hauenstein, Neue Zürcher Zeitung vom 17. Mai 2003
  • Kreationismus-Kampagne: 95 Thesen gegen Evolution und Wissenschaft, Astrodicticum simplex am 15. Oktober 2009
  • Slammer des Monats: Achim Reisdorf, geo.de
  • Video: Achim Reisdorf – 1. Platz beim 7. Freiburger Science Slam
  • Video: Achim Reisdorf: „Rechtsmedizin & Paläontologie: Eine Allianz für vergangenes Leben“
  • Vince Ebert: Evolution, GWUP-Blog am 22. Dezember 2013
  • Intelligent Design – Eine Alternative zur naturalistischen Wissenschaft? Skeptiker 3/2003
  • Kreationismus in Europa, Skeptiker 1/2009
  • GWUP-Infos: Kreationismus
  • Evolution bizarr: Großbrüstige Blondinen und US-Missen, GWUP-Blog am 16. Februar 2013
  • Gesunken, nicht explodiert, Laborjournal am 19. April 2012
  • Improbable research: the vertical fossil and the exploding dinosaur theory, The Guardian am 13. Februar 2012
  • Hänggi, H./Reisdorf, A.G. (2007): Der Ichthyosaurier vom Hauensteiner Nebelmeer – Wie eine Kopflandung die Wissenschaft Kopf stehen lässt, Mitteilungen der Naturforschenden Gesellschaft des Kantons Solothurn, 40: 7-22.

4 Kommentare

  1. Sehr interessanter Artikel, danke. Wusste gar nicht, das es solche Fossilien gibt.

  2. Reisdorfs Vortrag war für mich eines der Highlights auf der Skepkon!

  3. Kreationisten, kann man nicht „bekehren“ oder sollte ich lieber schreiben „belehren“.

    Nach deren Meinung müßten tausende von Wissenschaftlern falsch liegen oder bewußt täuschen.

    Dank des „Jokers“ Teufel, hat man auch gleich eine Erklärung für die Täuschung parat – echt praktisch. :-)

    Ich frage mich, was Gott bezwecken wollte, als er den Primaten schuf? – Wollte er den Menschen verspotten?

    Siehe „Adam“, du bist auch nur ein Affe… :-)

  4. Pingback: Es kann nicht so sein… – argumentarium

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