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Das jährliche Oster-Wunschdenken: Nebelkerzen um das Turiner Grabtuch

| 14 Kommentare

Alles andere wäre ja auch zu schön gewesen:

Wieder einmal wird pünktlich zu Ostern das „Turiner Grabtuch“ als echt verkauft. Und wieder einmal ist eine Universität im Spiel.

Worum geht es diesmal?

Laut Welt soll der „Technik-Professor“ Giulio Fanti das Tuch mit 95-prozentiger Sicherheit auf das 1. Jahrhundert n. Chr. datiert haben:

Fanti und Gaeta begründen dies mit Ergebnissen aus dem Infrarot-Testverfahren sowie einer Methode aus dem Bereich der sogenannten Spektroskopie, mit der sich der Energiegehalt einer Probe bestimmen lässt. Daneben wurden bei einem mechanischen Testverfahren Fäden des Tuches mit anderen Mustern aus der Zeit von 3000 v. bis 2000 n. Christus verglichen.

Das Ergebnis zeige zu 95 Prozent, dass das Tuch aus der Antike stamme. Gewebt worden sei es vermutlich im Vorderen Orient.

Also wirklich etwas Neues? Stellen wir dazu einige Fragen!

Ursprung der Proben

Woher stammen die untersuchten Proben? grenzwissenschaften-aktuell schreibt hierzu:

Die Proben selbst stammen von dem 2008 verstorbenen Mikroanalytiker Giovanni Riggi di Numana, der an den Analysen 1988 selbst beteiligt war, zuvor jedoch den Forschern noch kleinste Faserproben der damaligen Probenentnahme zu Verfügung stellen konnte.

Giulio Fanti hat also diese Fasern von Riggi di Numana „bekommen“. Und woher hat der sie?

Nachdem die katholische internationale Presseagentur kipa mit Sitz im schweizerischen Freiburg zunächst auch am 26. März gemeldet hatte: „Forscher: Turiner Grabtuch stammt aus der Antike“, brachte sie am Tag darauf ein kurzes Dementi:

Die jüngste italienische Studie über das Turiner Grabtuch ist nach Angaben der zuständigen kirchlichen Stellen „ohne ernsthafte Bedeutung“. Derzeit befinde sich kein Material des Leinentuchs, in dem der Überlieferung nach der Leichnam Christi nach der Kreuzigung eingehüllt war, im Besitz Dritter, heisst es in einer Erklärung des Turiner Erzbischofs Cesare Nosiglia vom Mittwoch.

Lügen haben also kurze Beine, dankenswerterweise ausgewiesen von einer Nachrichtenagentur, die ehrlich genug war, eine Fehlmeldung zu korrigieren.

Die Untersuchungsmethode

Haben die Forscher um Fanti eine anerkannte Datierungsmethode angewandt?

Laut Welt kamen ein „mechanisches“ und ein „infrarotes“ Testverfahren (vermutlich ist Infrarotspektroskopie gemeint) zum Einsatz, grewi-aktuell nennt die Raman-Spektroskopie.

Diese Methoden haben ganz andere, spezielle Anwendungsgebiete.

Die Raman-Spektroskopie dient zum Beispiel der Untersuchung von Materialeigenschaften, die Infrarotspektroskopie der quantitativen Bestimmung von Substanzen. Sie aber zur Altersbestimmung von Textilien einzusetzen, wäre wie die Verwendung eines Thermometers zur Höhenbestimmung oder zur Erkennung der Farbe eines T-Shirts.

Nehmen wir zum Vergleich die Methode, die 1988 bei der einzig zuverlässigen, mit der Kirche abgestimmten Untersuchung zur Altersbestimmung verwendet wurde: Die Beschleuniger-Massenspektrometrie.

Sie erlaubte erstmals die Untersuchung von kleinen Proben. Zuvor war man auf die Entnahme von größeren Materialmengen angewiesen, was das Turiner Tuch stark in Mitleidenschaft gezogen hätte. Eindeutiges Ergebnis: Das Tuch ist zwischen 1260 und 1390 entstanden. Dieses Resultat deckt sich mit Befunden aus anderen Wissenschaften.

So hat man auf dem Gewebe Farbpartikel nachgewiesen, wie sie von Künstlern des Mittelalters verwendet wurden. Zu diesen Befunden passt, dass das Tuch in keiner Quelle vor dem 14. Jahrhundert erwähnt wird.

Entstehung des Bildes

Es kommt aber noch dicker: Zur Frage, wie das Abbild entstanden ist,  vermutet Giulio Fanti eine Korona-Strahlung, die bei der Auferstehung entstanden sein könnte. Damit fällt er erheblich hinter den aktuellen Forschungsstand zurück.

Luigi Garlaschelli hat hier Maßstäbe gesetzt, indem er eine Nachbildung des Turiner Grabtuches mit den Mitteln des Mittelalters herstellte. Zu sagen, dass Welten zwischen seiner Arbeit und Fantis wilden Spekulationen liegen, wäre eine Untertreibung.

Ist der Grabtuch-Glaube damit erledigt? Wohl kaum.

Eines ist so sicher wie das Amen in der Kirche: Auch Ostern 2014 wird es neue „Beweise“ für die Echtheit des Leinens geben – ebenso wie unkritische Medien.

Zum Weiterlesen:

14 Kommentare

  1. „Sie aber zur Altersbestimmung von Textilien einzusetzen, wäre wie die Verwendung eines Thermometers zur Höhenbestimmung…“

    Kennen Sie die Anekdote von Nils Bohrs Physikprüfung? Mit solchen Äußerungen sollte man also vorsichtig sein.

    Siedetemperatur von Wasser mit dem Thermometer messen, Dampfdrucktabelle, barometrische Höhenformel – fertig.

  2. Ich wäre vorsichtig dabei, grundsätzlich bestimmte Messtechniken für eine Altersbestimmung auszuschließen. Z.B. sind mir Anwendungen bekannt, bei denen mithilfe von IR-Absorptionsspektroskopie Isotopenverhältnisse bestimmt werden… was jetzt nicht so weit entfernt ist von der C14-Methode…

    Gibt es einen Artikel von Fanti in der wissenschaftlichen Literatur (d.h. peer review), anhand dessen man sich näher informieren kann?

    Die Skepsis ist natürlich absolut gerchtfertigt, zumal keine Details zu von Fantis Untersuchungsmethode bekannt sind und auch keine validierten und anerkannten Methoden verwendet wurden… und insgesamt, weil insgesamt alle darauf hindeutet, dass das Turiner Grabtuch eine Fälschung aus dem Mittelalter ist.

    Im letzten Jahr war ich auf einer Konferenz in Turin und konnte nebenbei das Museo della Sindone und den Turnier Dom, in dem das Grabtuch aufbewahrt wird, besichtigen. Lohnt sich durchaus, obwohl das Tuch selbst nicht ausgestellt wird. Das Museum enthält sehr viel „rund ums Turiner Grabtuch“, auch Forschung, aber kaum Kritisches.

  3. Man muß das Tuch schon ein bißchen vor der gläubigen Öffentlichkeit verstecken, schon um den Mythos zu bewahren.
    Nur was man nicht sieht, kann man glauben, wenn man will.

    Nur wer’s gesehen hat, kann hinterfragen, das will man nicht.

    Verschlußsachen zum Probieren wäre doch gleich Reliquienverlust.

  4. Dazu fällt mir nur Folgendes ein:

    Religion ist Glaube, keine Wissenschaft.

    Ich habe erst gestern wieder leidlich spüren müssen, dass man Gäubige kaum bekehren kann. Versucht man es trotzdem, verschwendet man in der Regel nur seine Zeit und macht sich zum Feind.

  5. Naja, um die ernüchternden Ergebnisse der Wissenschaft bezüglich des Turiner Grabtuchs macht die Kirche natürlich kein großes Aufheben. Besser ignorieren.

    Aber was wäre gewesen, wenn die C14-Datierung tatsächlich ergeben hätte, dass das Ding aus der Zeit um das Jahr Null stammen könnte? Dann würde die Kirche doch keine Gelegenheit auslassen, um diese Erkenntnis zu propagieren….

    Insofern bin ich persönlich überzeugt: wenn irgendein seriöser Wissenschaftler da ein sensationelles Ergebnis herausbekommen hätte, dann hätte der Vatikan für die entsprechende PR schon gesorgt und wir wüssten längst alle davon.

  6. Da soll also mit wissenschaftlichen Methoden nachgewiesen werden, dass das Tuch „echt“ ist und somit den Abdruck Jesu, entstanden bei der Auferstehung, zeigen soll. Wer findet den Fehler?

  7. Ich habe zwei Kommentare zu dem Turiner Grabtuch:

    1) Die meiner Ansicht nach beste Begründung für eine Fälschung aus dem Mittelater ist hier zu finden:
    http://www.infidels.org/kiosk/article815.html

    Diese Analyse hat ein Künstler bsierend auf den Proportionen der dargetellten Figur gemacht. Aus dem Text: „If Jesus had the proportions of the image in the shroud, then he was a severely deformed and pathological person who would have cut a shocking figure as he walked down the streets and paths of the Holy Land. […] Because the proportions of the shroud image are essentially impossible, the figure cannot represent that of an actual person.“

    Bestechend ist auch die Analyse, weshalb die verzerrten Proprtionen zustande kommen. Dass zum Beispiel in Gemälden aus dem Mittelalter Jesus einen Kopf größer als die Jünger gemalt wurde, damit er optisch heraussticht, dass der Kopf aber nicht proprtional größer gemalt wurde, damit es nicht wie ein Wasserkopf aussieht. Die gleichen falschen Proportionen findet man auch im Turiner Grabtuch. Oder dass die Arme zu lang sind um die Genitalien zu verdecken, damit das Tuch nicht anstößig wurde.

    Ich finde diese Widerlegung deshlab wesentlich besser als alles herumreiten auf der Radiokarbonmethode, schlicht weil man da kaum Gegenargumente ins Feld führen kann. Wissenschafts-skeptische Zeitgenossen werden wissenschafltichen Methoden sowieso nicht vertrauen.

    2. Durch reinen Zufall habe ich bei meinem letzten Norditalienurlaub einen Ausflug nach Turin gemacht, ohne zu wissen am ersten Tag der Ausstellung des Grabtuches.

    Weil es noch unter der Woche war und weil die Wartezeit nur eine halbe Stunde war, habe ich mir das Tuch angeschaut und muss dazu sagen: Man wird dem Tuch nicht gerecht, wenn man es nur auf die Frage „echt oder nicht echt“ reduziert. Das Tuch ist ein großartiges Kunstwerk, und vermittelt eine der Kernaussagen des Christentums (die Passion Christi) sehr eindrücklich und unmittelbar.

    Ich bin zwar Atheist, konnte mir aber durchaus vosrtellen, woher die Ergriffenheit der Gläubigen um mich herum kam.

  8. Den Menschen wäre sehr geholfen, wenn eine zweifelsfreie C 14 Analyse unter wissenschaftlichen Bedingungen erfolgen würde um eine einwandfreie Altersbestimmung zu erhalten. Die Wissenschaftsgruppe STURP hat 1988 festgehalten, dass viele Fragen nicht beantwortet werden konnte. Einwandfrei konnte jedoch nachgewiesen werden, dass keinerlei Farbpigmente auf dem Tuch gestgestellt wurden. Die Objektivität von GWUP stimmt mich nachdenklich.

  9. @R. Schefczyk

    Einwandfrei konnte jedoch nachgewiesen werden, dass keinerlei Farbpigmente auf dem Tuch gestgestellt wurden.

    Das ist schlichtweg falsch.

    STURP hat jede Menge Spuren von Eisenoxyd- und Zinnoberrot-Farbstoffen auf dem Tuch gefunden, sowie von Tempera als Bindemittel, alles übliche Farben von Malern im Mittelalter.

    Den Menschen wäre sehr geholfen, wenn eine zweifelsfreie C 14 Analyse unter wissenschaftlichen Bedingungen erfolgen würde um eine einwandfreie Altersbestimmung zu erhalten.

    Die hat es bereits gegeben, mit der Folge, dass die Gläubigen auch weiterhin das glauben, was sie glauben wollen, und die Fakten ignorieren. Denken Sie ernsthaft, das würde sich mit einer neuerlichen Untersuchung ändern?

    https://blog.gwup.net/2010/04/07/spuren-auf-dem-turiner-grabtuch/

  10. @Severin:

    << Die gleichen falschen Proportionen findet man auch im Turiner Grabtuch. <<

    Ja, das ist für mich das eigentliche "Wunder" beim Turiner Grabtuch: Dass keinem der Echtsheits-Verfechter die grotesken Proportionen des Mannes auf dem Tuch auffallen

    << Das Tuch ist ein großartiges Kunstwerk, und vermittelt eine der Kernaussagen des Christentums (die Passion Christi) sehr eindrücklich und unmittelbar. <<

    Auch das ist auch für mich völlig unverständlich (und ich war lange Zeit kein Atheist), mit welcher Verve die Gläubigen auf der Echttheit von diesem Tuch herummreiten, als wenn das irgendjemanden interessieren würde. Bei keiner anderen Ikone und/oder Reliquie der Christenheit wird so ein Terz um die "Echtheit" gemacht.

    Wie weit muss es mit dem "Glauben" der Grabtuch-Anhänger her sein, wenn sie um jeden Preis ein altes Tuch als Bestätigung benötigen?

    Auch in dem Kommentar von Herrn Schefczyk kommt dies zum Ausdruck:

    << Den Menschen wäre sehr geholfen, wenn eine zweifelsfreie C 14 Analyse unter wissenschaftlichen Bedingungen erfolgen würde um eine einwandfreie Altersbestimmung zu erhalten. << Wieso? Wem genau wäre damit aus welchem Grund geholfen? Bei der Heilig-Rock-Wallfahrt in Trier interessiert niemanden, ob das Teil nun echt ist oder nicht.

  11. „Die jüngste italienische Studie über das Turiner Grabtuch ist nach Angaben der zuständigen kirchlichen Stellen “ohne ernsthafte Bedeutung”. Derzeit befinde sich kein Material des Leinentuchs, in dem der Überlieferung nach der Leichnam Christi nach der Kreuzigung eingehüllt war, im Besitz Dritter, heisst es in einer Erklärung des Turiner Erzbischofs Cesare Nosiglia vom Mittwoch.“

    Die Stellungnahme des Erzbischofs im Original:

    http://vaticaninsider.lastampa.it/inchieste-ed-interviste/dettaglio-articolo/articolo/sindone-23653/

  12. Hallo,

    hier ein Beitrag dazu: http://www.gottliebtuns.com/grabtuch.htm

    Auszug:
    „…Das Grabtuch von Turin scheint für unsere wissenschaftsgläubige Zeit aufbewahrt worden zu sein. Denn die Entschlüsselung der im Tuch verborgenen Informationen fällt in eine Epoche, die in ihrer antichristlichen Haltung das religiöse Pantheon bzw. den Religionssynkretismus, d.h. die Verschmelzung der Religionen propagiert. Unsere Zeit ist wesentlich durch die Ablehnung der Wahrheit, der christlichen Dogmen, durch einen zersetzenden Skeptizismus charakterisiert. …“

    mfG
    Hermann

  13. @Hermann:

    Sehen Sie, lieber Hermann, *glauben* können Sie, was immer Sie wollen.

    Das Turniner Grabtuch ist aber kein „Dogma“ und keine Glaubensfrage, sondern ein Gegenstand, den man sehen, anfassen und vor allem untersuchen kann.

    Das ist mehrfach gemacht worden, mit eindeutigem Ergebnis:

    https://blog.gwup.net/2009/10/06/kein-tuch-mit-sieben-siegeln/

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