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Kein Tuch mit sieben Siegeln

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Rein quantitativ betrachtet ist die Sache klar: weltweit gibt es mehrere Hundert Bücher, die sich für die Echtheit des Turiner Grabtuchs aussprechen – und nur etwa zehn skeptische Werke zu diesem Thema.

Das sagt aber noch nichts über die „Wahrheit“ aus, sondern nur etwas über die Bedürfnisse und Befindlichkeiten der Leser. Die Wahrheit stand eben noch nie einer guten Geschichte im Weg.

Doch jetzt hat die Echtheits-Lobby einen herben Rückschlag hinnehmen müssen. Leitmedien wie Spiegel online und welt.de berichten, dass ein italienischer Chemiker „mit simplen Mitteln eine täuschend echte Kopie des rätselhaften Tuchs“ hergestellt hat.

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Bei dem findigen Wissenschaftler handelt es sich um Luigi Garlaschelli vom italienischen Skeptikerverband CICAP.

Der Professor von der Uni Pavia ist ein passionierter Entzauberer und misstraut weinenden Marienstatuen ebenso wie den angeblichen Blutreliquien toter Heiliger, die sich einmal jährlich auf wundersame Weise verflüssigen.

Jetzt also das Grabtuch von Turin, in Italien schlicht „Sindone“, anderswo „Shroud“ genannt. Im kommenden Jahr soll es wieder öffentlich ausgestellt werden, und wieder werden Millionen Menschen nach Turin pilgern.

Wieso eigentlich? „Das Ergebnis zeigt eindeutig“, zitiert spiegel.de Garlaschelli zu seinem Experiment, „dass dieses vermeintlich unglaubliche Objekt von menschlicher Hand hergestellt werden kann – mit billigen Materialien und einer ziemlich simplen Prozedur.“

Doch halt, rufen da die Shroudys sogleich: Wenn das Leinen mit dem Ganzkörper-Bildnis eines bärtigen, verletzten Mannes eine Fälschung aus dem Mittelalter ist – wie kommt es dann, dass in den Abdrücken der Hände die Nagelwunden in den Handwurzeln zu sehen sind, also so, wie es tatsächlich der Kreuzigungspraxis der Römer entsprach?

Und nicht etwa in der Handtellermitte, wie auf früheren Gemälden des Gekreuzigten?

Auch Spiegel online wirft diese Frage auf und lässt sie am Ende ratlos offen.

Anders gesagt: Die Kreuzigungsspuren sind nicht in den Handflächen, wie bei Darstellungen vor dem 14. Jahrhundert (der wahrscheinlichen Entstehungszeit des Turiner Grabtuchs) üblich, sondern befinden sich an der richtigen Stelle, nämlich dem Handgelenk. Woher aber sollte ein geschäftstüchtiger mittelalterlicher Reliquienfälscher dieses winzige anatomische Detail kennen?

Ja mehr noch, warum sollte er sein Werk in der Betrachtungsweise seiner Zeitgenossen damit als offenkundig „falsch“ desavouieren?

Nun ja.

Auf falsch gestellte Fragen gibt es eben keine korrekten Antworten.

Die richtige Frage wäre in diesem Fall: Wenn das Turiner Grabtuch echt wäre, also aus der Zeit von Christi Kreuzigung stammt – wieso sind dann alle nachfolgenden Darstellungen und Gemälde von Christi Tod und Auferstehung falsch?

Wieso haben alle Künstler bis weit ins 14. Jahrhundert hinein diese interessante und auffällige Einzelheit ignoriert? Und den Gekreuzigten so dargestellt, wie es ihnen die Phantasie eingab, nämlich mit Nägeln im Handteller?

Eben. In Wahrheit ist es natürlich genau andersherum: Die Nagelwunden in den Handgelenken sind ein schlagender Beweis dafür, dass das Jesusbild auf dem Turiner Grabtuch ältere Darstellungen – also vor dem Spätmittelalter – nicht inspiriert haben kann. Und daher mit großer Sicherheit aus dem Jahr 1389 stammt.

Das Jahr, in welchem es auch erstmals erwähnt wird, und zwar in einem Memorandum des Bischofs von Troyes an Papst Clemens VII. In diesem Schreiben geißelt jener fromme Oberhirte Pierre d’Arcis wortgewaltig die Ausstellung eines „mit Schlauheit gemalten Tuches“ in seiner Diözese, welches der Dekan der Stiftskirche von Lirey „fälschlich und betrügerisch, von der Leidenschaft der Habsucht verzehrt und nicht aus einem Motiv der Frömmigkeit“ angeschafft habe.

Auch grausame Details wie Dornenkrone, Seitenwunde, Geißelspuren und Nagelwunden auf dem Abbild sind aus dieser Zeit heraus zu erklären: Die Darstellung des realistisch leidenden Christus entspricht exakt den künstlerischen Ausdrucksformen des 14. Jahrhunderts.

Einer Epoche, in der der „Schmerzensmann“ zum beherrschenden Thema wurde und den triumphierenden Christus der zurückliegenden Epochen ablöste.

Übrigens: „Ein Gläubiger kann auch ohne Wunder glauben“, erklärte Garlaschellis Kollege Silviano Fuso vom CICAP.

Links zum Thema:

Zum Weiterlesen:

  • Eine „Spurensuche“ nach dem Turiner Grabtuch in Deutschland, GWUP-Blog am 9. Mai 2015

2 Kommentare

  1. Selbstverständlich ist die „Nachbildung“ des Tuches in KEINSTER Weise ein Beweis für eine Fälschung! Ein Beleg für das Alter des Turiner Tuches liegt übrigens auch in Oviedo!

    LG
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