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Erfahrungsfundamentalismus in der Homöopathie

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Ein paar Updates in Sachen Homöopathie:

In dem Bericht geht es primär um Fallgeschichten über negative Auswirkungen homöopathischer Behandlungen.

So traten zum Beispiel bei einem Patienten Vergiftungserscheinungen auf,

… weil die Ausgangssubstanz des Mittels nicht sonderlich stark potenziert worden war – so wird die Verdünnung von Stoffen in der homöopathischen Lehre genannt. In diesem Fall diente Kerosin als Basis und war dann in der fertigen Arznei noch in nennenswerter Menge enthalten.“

Allerdings hielten die meisten Wissenschaftler die indirekte Gefährdung durch homöopathische Mittelchen für relevanter:

Schließlich enthalten die meisten Globuli durch die extreme Verdünnung der Ausgangssubstanzen nichts als Zucker. Gefährlich ist dann nicht das Mittel selbst, sondern der Verzicht auf ernsthafte Behandlung in schweren Krankheitsfällen.

Solche Fallgeschichten würden allerdings nur sehr selten gemeldet, so die Autoren. Die Forscher betonen, dass konventionelle Medikamente selbstverständlich viel häufiger Nebenwirkungen zeigen. Man müsse aber auf das Risiko-Nutzen-Verhältnis schauen – und das sehe bei einer unwirksamen Methode wie der Homöopathie schlecht aus.“

Homöopathie: Vergiftungen möglich“

… Homöopathie unseren Frieden gefährdet.“

Wieso dieses?

Ganz einfach, Frau Fried hat das erlebt, was wohl jeder Skeptiker kennt:

Wenn man früher eine Party aufmischen wollte, musste man sagen, dass man Terroristen versteckt oder seine Kinder schlägt.

Heute genügt es, die Wirksamkeit der weißen Zuckerkügelchen anzuzweifeln, schon wird man von Anhängern der Hahnemann’schen Heilslehre verfolgt, als habe man eine Mohammed-Karikatur aufs Papstgewand gepinkelt.“

  • Psiram/Esowatch analysiert einen Pro-Homöopathie-Artikel in der österreichischen Zeitung Standard und verweist außerdem auf ein Video vom Skeptikertreffen TAM mit einer Podiumsdiskussion zum Thema „The Truth About Alternative Medicine”:

  • Und dann, zu schlechter Letzt, lesen wir bei Springer.Medizin.at ein nachgerade unglaubliches Interview mit dem Allgemeinmediziner und Homöopathen Dr. P. Klaus Connert, Referent für Komplementärmedizin in der Österreichischen Ärztekammer, der die Nominierung der Kammer für das „Goldene Brett vorm Kopf 2012“ kommentiert.

Greifen wir beispielhaft nur ein Statement aus diesem Brevier des Unwissens heraus:

Homöopathie hat nichts mit Esoterik zu tun, es gibt sie auch schon viel länger.

Es mag einzelne Ärzte geben, die Homöopathie mit Glauben verknüpfen, dazu zähle ich jedenfalls nicht. Für mich haben religiöse Überzeugungen oder persönliche Einstellungen in der Medizin nichts verloren. Für mich gilt nur, was ich sehe. Ich glaube nicht an Homöopathie, ich sehe, dass sie wirkt und daher erlaube ich mir, damit zu arbeiten.

Ich bin seit 30 Jahren Landarzt und habe viele Patienten erfolgreich homöopathisch behandelt“

Mal abgesehen davon, dass es „Esoterik“ mindestens seit dem 2. Jahrhundert gibt und Homöopathie erst seit 1796: Kennzeichnend für viele Pseudomediziner ist nach wie vor, dass sie nicht einmal über ihre eigenen Widersprüche stolpern.

„Persönliche Einstellungen“ haben für Dr. Connert also in der Medizin „nichts verloren“, aber trotzdem verlässt er sich in Sachen Homöopathie auf den Augenschein – und kultiviert damit nichts anderes als seine „persönliche Einstellung“.

Anders gesagt:

Herr Dr. Connert, der den Skeptikern „Hybris“ und „Dogmatismus“ vorwirft, praktiziert selbst einen ausgeprägten Erfahrungsfundamentalismus, den man in einem Satz so zusammenfassen könnte:

Was ich sehe/fühle/erlebe, ist wahr!“

Dass dem mitnichten so ist, sollte bei einem promovierten Mediziner eigentlich als Grundwissen gelten – aber anscheinend kennen Homöopathen noch nicht einmal einen einzigen der zahlreichen Gründe, warum Homöopathie manchmal zu wirken scheint, obwohl gar nichts dran ist.

Und das ist längst noch nicht alles.

In der Buch-Neuerscheinung „Die Homöopathie-Lüge“ schreiben beiden Wissenschaftsjournalisten Dr. Christian Weymayr und Nicole Heißmann:

Die wohl wichtigste Frage ist die, woher ein Mediziner oder sonstiger Heiler das Wissen bezieht, dass eine Therapie überhaupt wirken kann. Dabei sollte er an alle Methoden vergleichbare und für Patienten nachvollziehbare Maßstäbe anlegen. […]

Wohl niemand würde einem Doktor vertrauen, der ein Antibiotikum mit dem Hinweis verschreibt, er glaube, das würde geistartige Tierchen aus den Nebenhöhlen vertreiben, die nur leider noch nie jemand gesehen habe. […]

Misst der Arzt offensichtlich mit zweierlei Maß und beruft sich zwar bei medizinischen Therapien auf biologische Grundlagen, bei der Homöopathie aber auf Unerklärliches „zwischen Himmel und Erde“, sollten Patienten hellhörig werden und zumindest nachhaken, wie der Doktor etwas empfehlen kann, das er offensichtlich selbst nicht versteht.“

Eine Aussage a la „Ich sehe, dass Homöopathie wirkt und daher erlaube ich mir, damit zu arbeiten“, ist in diesem Licht betrachtet ein Armutszeugnis.

Natürlich haben „ärztliche Erfahrung und Intuition“ auch in der wissenschaftsbasierten Medizin ihren festen Platz, wissen Weymayr/Heißmann.

Aber:

Wenn Medizin für Ärzte wie Patienten transparent sein soll, muss sie wissenschaftlich überprüfbar sein. Eine im Wesentlichen auf spekulativen Wirkmechanismen und persönlicher Erfahrung basierende Lehre wie die Homöopathie halten wir für nicht transparent. […]

Wer sich zu sehr oder gar ausschließlich auf Beobachtungen verlässt, läuft immer Gefahr, daraus Fehlschlüsse zu ziehen wie den folgenden: Geht es einem Patienten schlecht, er bekommt ein Medikament und es geht ihm besser, dann kann das nur an dem Medikament gelegen haben. […]

Eine Deutung, der wir entschieden widersprechen möchten, weil es viele andere Ursachen für die Besserung geben kann – erst recht bei Arzneimitteln wie Homöopathika, die keinen wissenschaftlich plausiblen Wirkmechanismus vorzuweisen haben. […]

Einem Mediziner, der für sich in Anspruch nimmt, die Wirksamkeit seiner Therapien allein aufgrund guter Erfahrungen beurteilen zu können, kann der Patient nichts entgegensetzen. Er sitzt heute vor dem Erfahrungsmediziner so hilflos wie einst vor dem Halbgott in Weiß.

Der Kranke kann noch nicht einmal prüfen, ob der nette Arzt seine angeblich gute Erfahrung aus der Praxis überhaupt ehrlich schildert, sondern muss sich darauf beschränken, die Story zu glauben. Daher ist Erfahrungsmedizin nicht transparent.“

Halten wir fest: Woher will der Herr Doktor denn so genau wissen, dass es seine Homöopathie ist, die da angeblich wirkt?

Dass die Standard-Phrase „Wer heilt, hat recht“ Unfug ist, haben wir schon mehrfach dargelegt, etwa hier und hier.

Außerdem:

Die Mehrzahl von „Anekdote“ ist nicht „Daten“,

schreiben Weymayr/Heißmann weiter:

Wenn man spezifische Wirkungen von Homöopathie, obwohl unmöglich, für möglich hält, verliert man die verlässlichen Kriterien, die uns die Naturgesetze, die Mathematik und die Logik vorgeben – wir verlieren damit die einzige, allgemeingültige und objektive Entscheidungsgrundlage.

Wir müssen uns stattdessen auf subjektive Kriterien verlassen, auf unser Gefühl, auf das Hörensagen, auf unsere Erfahrung. Und damit werden wir manipulierbar.

Wer an Homöopathie glaubt, kann kein übersinnliches Phänomen, keinen faulen Zauber, kein rhetorisches Blendwerk und keine Verschwörungstheorie argumentativ entkräften, weil er nicht sagen kann, warum die Homöopathie glaubwürdiger sein soll als jene Behauptungen.“

Herr Dr. Connert hält diese simple Forderung nach Scientabilität für eine Art von „Inquisition“ oder „Wissenschaftsdogmatismus“.

Wir fragen uns zum wiederholten Male, was im Medizinstudium eigentlich falsch läuft – und geben ein paar Lesetipps:

Zum Weiterlesen:

 

6 Kommentare

  1. Ich habe eine Zeitlang gedacht, die meisten Ärzte mit Homöopathie auf dem Praxisschild wüssten, dass sie Placebos einsetzen. Damals habe ich das hier geschrieben, um vor den Folgen zu warnen:

    http://observations.rene-grothmann.de/homoopathie/

    Inzwischen bin ich belehrt worden, dass viele, wenn nicht die Mehrzahl, tatsächlich eine Wirkung unterstellt. Ich mache mir ernsthaft Sorgen um den Verstand dieser langjährig ausgebildeten Studierten.

  2. Ich bin auch zunehmend darüber geschockt, dass manche Mediziner nicht mal die Grundlagen der Wahrnehmungspsychologie (Confirmation Bias etc.)kennen und wissenschaftliche Methodik nicht verstehen oder bewusst ignorieren. Die Zunft ist es anscheinend nicht gewohnt, dass man sie so offen kritisiert.

  3. @RG
    dann lesen Sie bitte mal die Website, des Hals-Nasen-Ohren-Arztes:

    http://www.drdewes.de/energiemedizin/informationsmedizin/informationsmedizin.html

    man kann nur noch den Kopf schütteln…aber es gibt bestimmt genügend Patienten, die ihn bestätigen. Ach wie schön ist es doch auf „Wolke 7“ – „Mutter Natur“ sorgt schon für alles.
    „Mutter Natur“ sind wir „scheißegal“…im Gegenteil…wir müssen alltäglich gegen die Widrigkeiten ankämpfen.

  4. auf jeden fall darf nicht unerwähnt bleiben auf die gefahr von niedrigpotenzen hinzuweisen, da in solchen fällen die sogenannte erstverschlimmerung durchaus auch eine vergiftung sein kann.
    aconitum c6 als mittel bei grippalem infekt, kann durchaus noch genug wirkstoff enthalten um gefährlich zu sein.
    zudem der schüttler ja auch mal schlampen kann.
    vermutlich fehlt bei einigen davon auch das wissen um die gefährlichkeit von substanzen, und solche leute gehen leider nicht nur mit harmlosen ausgangssubstanzen sondern oft mit welchen um die extrem gefährlich sind.
    organische wie anorganische.
    mfg. diabetiker

  5. Die Kunst der Medizin besteht darin den Patienten zu unterhalten, währenddessen die Natur ihn heilt. Voltaire

    Ein sehr weiser Satz ! Wie geschaffen zur Erklärung der Wirkweise der Homöophatie.

  6. @ Epimetheus

    Schade um alle die, die im Vertrauen auf diesen Satz unnötig früh ihr Leben oder die Gesundheit für immer verspielten.

    Sagen Sie so etwas mal einem korrekt antiretroviral eingestellten HIV-Infizierten.

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