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Astro-Hotlines: Bei Anruf Kündigung

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Traurig. Einfach nur traurig, was heute in der Süddeutschen und bei Focus-Online steht:

Guter Rat ist teuer – für einen Personalrat aus Mainz gleich doppelt. Weil er aus dem Büro kostenpflichtige Astro-Hotlines anrief, wurde er entlassen.“

Zugegeben: Dem Artikel ist nicht zu entnehmen, ob es dabei um Angebote der Questico AG ging, des nach eigenen Angaben „größten und erfolgreichsten Anbieters für esoterische und astrologische Lebensberatung“. Die Geschäftsmodelle der verschiedenen, äh, „Firmen“ in diesem Bereich dürften indes allzu unterscheidbar nicht sein.

Der Geschäftsführer der Questico AG, ein gewisser Herr Sylvius Bardt, darf sich aktuell in einer – ansonsten erhellenden – Broschüre zum Thema Gut beraten bei Astro-TV? Esoterik-Fernsehen in der Kritik der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) verbreiten. Ein Beitrag, der eigentlich mit einem Stempel „Achtung, giftiger Wortmüll!“ gekennzeichnet werden müsste. Man muss es gelesen haben, um es zu glauben. Ein paar Zitate daraus:

Wir haben gelernt, das Bedürfnis unserer Kunden zu akzeptieren. Und gelernt, dass diese Form der alternativen Lebensberatung uralte und zu honorierende Wurzeln besitzt, die heute noch in vielen Kulturen einen ganz anderen Stellenwert haben als in Deutschland … Questico nimmt Menschen ernst in ihrem Wunsch nach Esoterik und Astrologie und verteufelt sie nicht. Vielmehr haben wir uns vorgenommen, mit professionellen Qualitätskriterien und Transparenzregeln einen unseriösen Markt aufzuräumen und den Menschen in ihren problematischen Lebenssituationen einen seriösen Punkt zu geben.“

Ma gavte la nata, würde jetzt ein kulturell hochstehender Mensch wie Umberto Eco sagen, was im „Foucaultschen Pendel“ wie folgt erklärt wird: „Das ist Turinerisch. Heißt soviel wie: Zieh dir mal den Pfropfen raus, oder wenn du’s so lieber hast: Wollen Sie sich bitte gütigst den Stöpsel entfernen.“

Ich hingegen würde einfach mal sagen … – Aber lassen wir das besser. Der Prozesskosten-Fonds der GWUP würde diese Äußerung vermutlich nicht finanzieren können.

Und es kommt noch besser:

Mein evangelisches Glaubensbild sieht einen selbständigen Menschen, der selbstverantwortlich handelt und ein von Toleranz geprägtes Weltbild lebt. In dieser Gemeinschaft ist Raum für anderes, Toleranz für andere Religionen und Lebensformen, solange diese nicht von Intoleranz geprägt sind …
Wir fordern mehr Respekt und Toleranz den Menschen gegenüber, die millionenfach Zuversicht in alternativen Beratungsformen suchen. Es sind keine Spinner, Abhängige, Debile, arme Verirrte oder vereinsamte Seelen. Es sind Menschen, die mitten im Leben stehen, die Lebenskonflikte meistern wollen und wissen, was sie tun.“

Wenn ich jetzt versuchen würde, das angemessen zu kommentieren, säße ich morgen früh noch dran. Konfrontieren wir Herrn Bardt statt dessen vielleicht einfach nur mal mit der Realität, wie sie in dem SZ-Artikel aufscheint.

Anrufe vom Diensttelefon bei kostenpflichtigen 0900-Nummern können selbst einem Mitglied des Personalrats den Job kosten. Dies geht aus einem am Dienstag veröffentlichten Urteil (Aktenzeichen: 5 K 1390/09.MZ) des Mainzer Verwaltungsgerichts hervor. Der betroffene Arbeitnehmervertreter hatte über mehrere Monate Astro-Hotlines, Kartenleger und ähnliche Dienste angerufen und dadurch Telefonkosten von mehr als 1.500 Euro verursacht …

Der Personalrat erklärte, das fragliche Mitglied des Gremiums sei aufgrund privater Schicksalsschläge und Belastungen überfordert gewesen. Daher habe der Betroffene Zuspruch bei den Service-Hotlines gesucht. Das Mainzer Gericht ersetzte nun die erforderliche Zustimmung des Personalrats per Urteil. Die Richter erklärten, dem Arbeitgeber sei die Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses nicht mehr zumutbar.
Der fragliche Mitarbeiter habe öffentliche Gelder veruntreut und das Vertrauensverhältnis vollständig zerstört. Das Personalratsmitglied sei auch trotz der geltend gemachten psychischen Ausnahmesituation in der Lage gewesen, sein Verhalten zielstrebig zu steuern und zu verschleiern.“

Traurig. Einfach nur traurig. Immerhin, und deshalb brauchen wir auch gar nicht deutlicher zu werden, weiß der gute Herr Bardt schon selbst, dass es „ausreichend Vorverurteilungen meines Unternehmens und meiner Person gibt: als Scharlatane oder als profitorientierte Geschäftemacher“.

Hm, so etwas in der Art wäre mir eben auch beinahe rausgerutscht.

Zum Weiterlesen:

  • Die Seelenverkäufer – Das Geschäft mit der Astrologie, FAZ vom 24. Juli 2007

6 Kommentare

  1. Mich macht es übrigens auch traurig, dass sich anscheinend sogar bei der SZ niemand mehr um die richtige Grammatik kümmern mag.
    „Anrufe vom Diensttelefon bei kostenpflichtigen 0900-Nummern können selbst einem Mitglied des Personalrats den Job kosten.“
    Aber wenigstens der Inhalt stimmt. Umgekehrt wärs wohl schlimmer.

  2. Ganz egal ob auf Privat- oder Firmenkosten: Es ist und bleibt gemein, Leute so hinters Licht zu führen wie diesen Gekündigten.

    Wieso konnte keiner dieser „Berater“ sehen, dass ausgerechnet der eigentliche Beratungsvorgang zur Kündigung führen würde? Z.B. so: „Ich sehe einen unentwirrbaren Mondknoten im äußersten Haus von rechts! Das bedeutet Verlust des Arbeitsplatzes durch Kommunikationsfehler! Legen sie sofort auf!“

    Nachdem der arme Kerl jetzt schon seinen Job verloren hat, stünde es einer umsatzstarken Lebensberatungsfirma nicht schlecht an, wenn sie wenigstens die Telefonkosten für die verfehlte Lebensberatung zurückerstattet. Plus Schadenersatz.

  3. Welch eine Ironie! Nein, das ist Realsatire! Ein von Schicksalsschlägen gebeutelter Mensch sucht Hilfe … und die Folgen dieser „Hilfe“ enden in einem erneuten Schicksalsschlag. Irre! =D

    Also so leid mir der Mann auch tut (nicht nur wegen den Schicksalsschlägen, sondern auch wegen einem offensichtlichen Mangel an In… – Prozesskostenalarm!), ich habe mich selten so amüsiert! Die Story wäre nur noch zu toppen von einem Lourdes-Pilger, der nach seiner „Heilung“ auf dem Rückweg einen Verkehrstod erleidet.

    Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen böse, ist aber bei weitem nicht so böse wie das systematische Abzocken von Hilfe suchenden Menschen!

  4. „Wir haben gelernt, das Bedürfnis unserer Kunden zu akzeptieren.
    (…)Questico nimmt Menschen ernst in ihrem Wunsch nach Esoterik und Astrologie und verteufelt sie nicht.“

    Seit dem Tag, an dem der erste Strauchdieb, Bauernfänger, Heizdeckenverkäufer, nein, jetzt hab ich´s, Astrologe, den ersten Dummen übertölpelte – und dabei erwischt wurde – ist die Standardausrede vor dem Kadi:

    „Ich konnte gar nicht anders, die wollen doch beschissen werden…“

  5. naja, eigentlich mehr so „Bitte hindern Sie uns gefälligst nicht daran, Dummköpfe zu bescheißen, die sich halt bescheißen lassen wollen.“

    Wo kommmt man denn da auch hin, ist ja Freiheit und marktwirtschaft zusammen.
    Zur Freiheit, sich bescheißen zu lassen, kommt die Freiheit des Geldverdienens.

    Ich frag mich immer wieder, was es ist, das mich selbst dran hindert. Ich könnte so viel Kohle kassieren… liegt quasi auf der Straße…

    Sicher bin ich nicht ganz normal. Daß ich das nicht will und mir der Beschiß in dieser Kultur so heftig auf den zeiger geht….

  6. Ich kann das schon verstehen dass die Firmen das nicht gern sehen. Aber was ist wenn die Beratung für die Firma selbst wäre? Und ein gutes Geschäft ermöglichte? das wäre doch interessant, welche Reaktionen das hervorrufen würde.

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