Während wir noch immer auf den Weltuntergang durch das fiese Schwarze Loch aus dem CERN warten, steht schon eine weitere Forschungsanlage im Fadenkreuz wissenschaftsferner Kritik: Diesmal hat’s das Hamburger DESY erwischt. Dazu ein Gastbeitrag der Physikerin Dr. Kathrin Goldammer:

Das Deutsche Elektronen-Synchroton DESY mit Sitz in Hamburg und Zeuthen gehört zu den weltweit führenden Forschungsinstituten mit Teilchenbeschleunigern. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Deutschland und der ganzen Welt betreiben am DESY Grundlagenforschung zu einer Vielzahl von Disziplinen aus Biologie, Chemie und Physik. Da DESY eine stringente Öffentlichkeitsarbeit betreibt und Information zu Teilchenphysik und Beschleunigern für jedes Niveau zugänglich macht, empfiehlt sich DESY von ganz allein als eines der spannendsten und transparentesten Forschungsinstitute in Deutschland. DESY ist auch Ort eines neuen europäischen Gemeinschaftsprojekts, des European XFEL. X steht dabei für harte Röntgenstrahlung, FEL für Freie Elektronen Laser. Es handelt sich um die Weiterentwicklung eines Beschleunigers, der seit vielen Jahren am DESY und an anderen Stellen auf der Welt betrieben wird, und der elektromagnetische Strahlung höchster Brillianz liefert. Darauf freuen sich Forscherinnen und Forscher aus Bereichen wie Materialwissenschaften und Nanotechnologie, aber auch Medizin, Pharmazie oder Energietechnik.

Jetzt haben Verschwörungsgläubige auch DESY aufs Korn genommen, und passend zum Tag der offenen Tür am vergangenen Samstag, 7.11.2009,  wurde letzte Woche ein anonymes Flugblatt an Anwohner verteilt. Darin wird aus dem Grundlagenforschungszentrum DESY ein  gefährliches „Atomforschungszentrum“ und aus dem XFEL eine „Nuklearwaffe“. Das Ziel? Per tödlicher Strahlung „Gewinne“ machen, und zwar „auf Kosten [der] Gesundheit“ von Hamburg und Umgebung. Das Ganze als „Geheim-Wissenschaft“ mit Hang zum „Okkultismus“. In einem der besten Sätze des nahezu satirischen Textes gehen „iranische oder als Südkoreaner getarnte nordkoreanische Atomwissenschaftler“ bei DESY ein und aus. Die Gefahren werden von der „DESY Propagandaabteilung“ selbstverständlich „vertuscht“. Klingt nach Paranoia? Und nennt keine Quellen? Genau so sieht es aus.

DESY hat schnell reagiert und entkräftet in einer ersten Stellungnahme die gröbsten Unterstellungen.

Das Flugblatt ist allerdings an Dreistigkeit nicht zu übertreffen – es würde Stunden dauern, sich mit allen Absurditäten und Unwahrheiten des Textes auseinanderzusetzen. Außerdem ist es sehr zweifelhaft, ob die als Autor genannte „Bürgerinitiative gegen DESY XFEL für Lurup, Osdorf, Schenefeld“ (denn unter diesen Orten verläuft der Beschleuniger des FEL und führt zu „unerklärlichen Nekrosen am ganzen Körper“ anwohnender Kinder und Störungen der „empfindlichen Elektronik Ihres neuen Autos“) überhaupt existiert und wer wirklich die Verantwortung für das Flugblatt übernimmt. Wichtig ist es jetzt, sich diesen Albernheiten frühzeitig entgegenzustellen und ihre Verbreitung zu verhindern. Vielleicht ersparen wir DESY (und einer Handvoll weiterer Forschungsinstitute in Deutschlad, die einen FEL betreiben) so die krankhaft verzerrte wie wissenschaftlich unnötige „Black-Hole“-Diskussion, wie sie im letzten Jahr die Europäische Organisation für Kernforschung CERN von der Arbeit abgehalten hat.

Bis vor kurzem bestand noch die Möglichkeit, in dem auf dem Flugblatt angegebenen Forum einzugreifen. Seit Montag werden jedoch alle kritischen Beiträge gelöscht. Angedroht werden im Forum auch Informationsveranstaltungen, auf denen in Kürze die“Fachleute“ hinter dem Flugblatt in Erscheinung treten wollen.

Nach einer kleinen Text-Exegese (und ohne einer bestimmten Berufsgruppe zu nahe treten zu wollen) handelt  es sich bei diesen Fachleuten eventuell um:

• Handwerker, die „wissen, wie oft Wekzeuge bei der Arbeit verloren oder liegen gelassen werde“ und so den FEL-Strahl ablenken – der Strahl wiederum kann uns „noch in 10 km Entfernung mit tödlicher Präzision durchbohren“,
• oder aber „in internationalen Konflikten einschlägig erfahrene Fachleute“, die sich bekanntermaßen mit deutschen Forschungszentren beschäftigen und daher wissen, dass DESY eine „einzige große Sicherheitslücke ist“,
• oder einfach amerikanischen Einsiedlern, denn dort werden schließlich „wie überall, inzwischen ausgedehnte, viele Kilometerweite, unbewohnte Sicherheitszonen“ um Anlagen wie DESY gebaut. Und in den „menschenleeren Gegenden, wie Nevada und Sibirien“ verliert man schonmal leicht den Anschluss an die Realität.“

Kathrin Goldammer, Jahrgang 1980,  studierte Elektrotechnik in Berlin und promovierte in Physik an der Synchrotonstrahlungsquelle BESSY in Berlin-Adlershof. Sie engagiert sich für die Förderung und den Dialog mit der Wissenschaft, unter anderem beim nationalen Pakt „Komm, mach MINT“ der Bundesregierung und als Botschafterin beim Programm SET Routes (Science Engineering and Technology) der EU. In Ihrem Blog Radioquatsch beschäftigt sich Kathrin Goldammer mit unwissenschaftlichen Inhalten im öffentlich-rechtlichen Radio.

Links zum Thema:

• European XFEL