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Trittbrettfahren mit Placebos

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„Placebo“ – was bedeutet der Begriff eigentlich? Bis zur Neuzeit bestand fast die gesamte Medizin, ob europäisch, chinesisch oder indisch, fast allein aus Placebo-Behandlungen – freilich, ohne dass dies Ärzten und Patienten bewusst war. Doch die „Erfahrungsmedizin“ alter Prägung schaffte kaum mehr als Zufallserfolge. In ihrem Buch „Gesund ohne Pillen“ berichten Singh und Ernst darüber, wie der schädliche Aderlass Jahrhunderte überdauerte und sogar dem ersten US-amerikanischen Präsidenten George Washington zum Verhängnis wurde. Nur mit der systematischen Ausblendung von Placebo-Effekten und der Ausschaltung von subjektiver Erfahrung mit all ihren Täuschungs- und Selbsttäuschungsmöglichkeiten gelang es, die Medizin auf eine objektive Basis zu stellen, wobei doppelblind durchgeführte, randomisierte und kontrollierte Studien einen Meilenstein darstellten. Erst seit etwa 200 Jahren können wir von einer überwiegend verlässlichen Medizin sprechen.

Heute spielen vor allem im Bereich pseudomedizinischer Verfahren, wie der Homöopathie oder der anthroposophischen Medizin sowohl Placebo-Effekte als auch subjektive Fehldeutungen und andere begleitende Effekte eine zentrale Rolle. Nur so lässt sich erklären, dass auch intelligente Menschen darauf hereinfallen.

Zunächst sollte man wissen, dass der Begriff „Placebo-Effekt“  in verschiedensten Bedeutungen verwendet wird – auch in der wissenschaftlichen Literatur, worauf der italienischer Neurowissenschaftler Fabrizio Benedetti in seinem empfehlenswerten Buch Placebo Effects hinweist. Als Placebo-Effekt bezeichnet man häufig das Phänomen, dass in einer klinischen Studie nach Gabe eines Placebos (anstelle des zu prüfenden Medikaments) eine „Besserung“ eintritt. Ein zu prüfendes Medikament wird als wirksam eingestuft, wenn die Besserung signifikant höher ausfällt als bei einer Placebo-Behandlung.

Doch diese Definition besitzt ein entscheidendes Manko. Sie berücksichtigt nicht, welche Effekte sich auch ohne Placebo-Gabe einstellen. Zu nennen sind  sowohl Spontanheilungen als auch statistische Effekte, wie eine Regression zum Mittelwert, die zu einer Besserung führen können. Daneben gibt es mögliche Auswirkungen parallel laufender Behandlungen, wie auch Ungenauigkeiten beim Deuten von Körpersignalen und der natürliche, schwankende Verlauf von Krankheiten und Beschwerden. Somit können sich auch ohne Placebos „positive“ Effekte einstellen. Als „eigentlichen“ Placebo-Effekt sollte man laut Benedetti nur das bezeichnen, was über ein „no treatment“ (also keine Behandlung) hinausgeht, denn auch ohne Behandlung bleiben die Beschwerden nicht so, wie sie waren.

Dank der Arbeiten von Benedetti und anderen wissen wir heute viel über diesen eigentlichen Placebo-Effekt.  Zwei Phänomene spielen dabei eine Rolle.

  • Erstens gibt es insbesondere bei einer guten Arzt-Patienten-Beziehung die Erwartung einer Heilung als „Belohnung“. Diese Erwartung kann sogar ohne Placebo-Behandlung funktionieren, etwa durch den Arzt-Effekt. Placebos verursachen Veränderungen im Gehirn und können zur Ausschüttung von körpereigenen Opioiden führen. Deshalb funktionieren Placebos in der Schmerzbehandlung so gut.
  • Zweitens können wirksame Therapien zu einer unbewussten Konditionierung führen. Hat der Patient beispielsweise mehrmals Spritzen mit Morphium gegen Schmerzen erhalten, dann führt auch eine anschließende Injektion mit Salzwasserlösung zu einer ähnlichen Schmerzlinderung.

Beide Phänomene kommen selbstverständlich auch bei Tieren vor.

Aber auch die subjektiven Besserungen, die in klinischen Studien berichtet werden, sollte man mit Vorsicht genießen, denn sie bedeuten nicht immer, dass es auch eine objektive Besserung gegeben hat. In einer vom NCCAM (National Center for Complementary and Alternative Medicine) finanzierten und im Juli 2011 von M. E. Wechsler et al publizierten Studie wurde bei Asthma eine subjektive Verbesserung nach Placebo-Inhalation (45%) und Sham-Akupunktur (46%) berichtet, wobei die regulären Medikation mit Albuterol kaum erfolgreicher abschnitt (50%). Ist also Albuterol mit einem Placebo gleichzusetzen? Schauen wir uns dazu die objektiven Ergebnisse an: Bei einer erzwungenen Ausatmung (forced expiratory volume = FEV) bewirkt Albuterol eine Verbesserung um 20%,  verglichen mit nur 7% bei den anderen Verfahren (keine Intervention, Placebo-Behandlung, Sham-Akupunktur). Die Grafiken unten sprechen eine klare Sprache.

Auch die Erwartungshaltung der Probanden kann Studienergebnisse verzerren. Wenn zum Beispiel aus den grossen Akupunkturstudien GERAC berichtet wird, Akupunktur und Scheinakupunktur (das Stechen in Nicht-Akupunkturpunkte) schnitten besser ab als die Standard-Methode, sollten wir deshalb auch nach den daran beteiligten Placebo- und Nocebo-Anteilen fragen. Sind die Patienten wohlwollend gegenüber der „alternativen“ Medizin, aber misstrauisch gegenüber der bösen „Schulmedizin“ eingestellt, kann es dazu kommen, dass objektive Wirkungen durch den Placebo-Effekt zugunsten der Akupunktur und  durch den Nocebo-Effekt zuungunsten der  Standardtherapie verzerrt werden. Aussagen über die Überlegenheit der beiden Akupunkturvarianten sollte man also mit Vorsicht genießen. Nebenbei kam bei der Studie heraus, dass die „echte“ Akupunktur sich in ihren Ergebnissen nicht signifikant von der Scheinakupunktur unterscheidet, es also egal ist, wo man sticht.

Die reine Placebo-Medizin alter Tage ist, wie man sieht, noch lange nicht tot. Regression zum Mittelwert, Spontanremissionen, natürlicher Krankheitsverläufe, parallel stattfindende  Therapien, Bias bei der Wahrnehmung und bei der Berichterstattung sowie „echte“ Placebo-Effekte halten pseudomedizinische Verfahren am Leben. Nicht ohne Gefahren: Schmerzen und Körperreaktionen sind auch Warnsignale des Körpers. Überschätzt man diese „Trittbrettfahrer-Therapien“,  besteht das Risiko, dass eine notwendige, wissenschaftlich bewährte Therapie versäumt wird.

Zum Schluss noch ein Hinweis auf die bevorstehende Weltskeptikerkonferenz vom 17 – 20 Mai 2012 in Berlin. Dort wird Harriet Hall „The SkepDoc“, Redakteurin beim Blog Science-Based Medicine Blog und Beraterin bei Quackwatch, einen Vortrag mit dem Titel „CAM: Fairy Tale Science and Placebo Medicine“ halten. Wir sind alle gespannt!

Zum Weiterlesen:

5 Kommentare

  1. Der Artikel ist sehr interessant, er erinnerte mich an eine Diskussion um das E-Meter, das bei Scientology als billiger Lügendetektor eingesetzt wird. Er funktioniert, weil die Scientologen daran glauben und deshalb bereit sind, die Wahrheit zu erzählen. Wenn sie es nicht machen, scheitert das Gerät. Es gibt Berichte von Aussteigern, die eindeutig Suchtverhalten nach dem E-Meter berichten.
    http://forums.whyweprotest.net/threads/s%C3%BCchtig-nach-e-meter.77515/
    Die Diskussion um den Hintergrund der Sucht könnte unter dem Licht des Placebo beleuchtet werden und vielleicht zum Ergebnis führen.

  2. Ein weiterer, wichtiger Punkt, der oben nur kurz gestreift wurde: der „alternative“ „Arzt“ nimmt sich im Regelfall mehr Zeit für den Patienten.

    Dann ist da „endlich einer, der mir zuhört“ und das verstärkt den Arzt-Effekt.

  3. @Konni,

    stimmt natürlich – nur die Zeit bezahlt man halt auch. Ein Erstgespräch beim Homöopathen kostet schnell 140,-. Es ist bemerkenswert, wie da die Wahrnehmung verzerrt wird: das Erstgespräch beim Praktischen Arzt, für das der vielleicht 20,- erhält wird gleichgesetzt einem Gespräch für das ich das siebenfache zahle.

  4. Naja, bisher sind die biologischen Mechanismen, die hinter dem Placeboeffekt stecken, weitgehend unbekannt.
    Und so ist es auch ein Bisschen zu früh für eine abschließende Wertung.

  5. Was für den Skeptiker hier von besonderem Interesse sein dürfte, ist der erstaunliche Fortschritt beim Verständnis und bei der Behandlung von Asthma. Die englische Professorin Dr. Alison McConnell hat nämlich durch jahrelange Forschung und durch großen Erfolg mit dem Verkauf ihrer Geräte bewiesen, dass Asthma geheilt werden kann. Die gegenwärtige orthodoxe Behandlung mit entspannenden Medikamenten (Bronchodilatoren) ist seit etwa 1950 mit einem völlig unakzeptablen Zuwachs der Erkrankungen begleitet gewesen siehe http://www.moh.govt.nz/notebook/nbbooks.nsf/0/f96719201ea758294c2565d700187e74/$FILE/asthma.pdf (Seite 7 ff.). Ein Nachbeten der gegenwärtigen und so unheilvollen schulmedizinischen Ansichten über Asthma wäre von dieser Warte aus Deseasemongoring. Die Forschung der IMT (inspiratory muscle training) lässt keinen anderen Schluss zu, als dass die gegenwärtige Behandlung mit der Schwächung der Muskeln eine Bedeutende Rolle spielt. Richard Friedel, Starnberg

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