Ein ganzer Kreis und ein halber, die wie locker ineinander verhakt wirken – das Symbol einer neuen Verschwörungstheorie?
Ja – aber nur in dem Jugendroman „Shelter“ der österreichischen Schriftstellerin Ursula Poznanski.
Es geht darin um eine Gruppe junger Erwachsener, die sich bei einer Geburtstagsparty über ein verschwörungsgläubiges „Chemtrail-Pärchen“ unter den Gästen ärgert:
Ich würde diesen Leuten gerne Beweise vor die Nase halten, die so klar sind, dass sie nichts dagegen sagen können. Aber genau das ist das Problem, die Wahrheit ist denen zu langweilig und zu kompliziert, Tatsachen interessieren sie nicht.
Stattdessen überlegen der angehende Schauspieler Benny und die Psychologiestudentin Liv, ob es sinnvoll sein könnte,
… ihnen eine total bescheuerte eigene Verschwörungstheorie [zu] präsentieren, und sobald sie darauf eingestiegen wären, hättest du haha gesagt, ätsch, alles bloß meine persönlichen Hirngespinste, und ihr kauft sie genauso wie den anderen Quatsch.
Schließlich konstruieren sie die OC-Verschwörung, die sich „um eine angebliche Besiedelung der Erde aus dem All“ dreht, „wobei die Außerirdischen mit den menschlichen Bewohnern unseres Planeten auf mysteriöse Weise verschmelzen“, und verbreiten ihr Narrativ mit Graffiti in der Stadt und weltweit über Social Media.
Tatsächlich wächst die „Shelter-Bewegung“ rasant und gewinnt mehr und mehr an Dynamik, als ein mysteriöser Netzaktivist namens „Octavio“ die Verschwörungserzählung kapert und immer weiter zuspitzt, bis hin zur Konstruktion eines Feinbildes, das den Gläubigen vermeintliche Schuldige und Drahtzieher nahelegt.
Die Aktion zu stoppen, erweist sich als aussichtlos:
Mit Verschwörungstheorien ist es wie mit Unkraut. Man kann es rausreißen, aber es kommt wieder zurück, so sehr man sich auch anstrengt. Es überlebt, irgendwie, breitet sich aus, ist nicht wegzukriegen.
„Shelter“ von Ursula Poznanski vermittelt gute Einblicke in die Struktur von Verschwörungstheorien, deren Eigenleben in den sozialen Netzwerken und die möglichen Folgen. Es ist allerdings kein erzählendes Sachbuch mit dem Anspruch, den gesamten Phänomenkomplex bruchlos und fortbildungskonform darzulegen.
Die Autorin behält sich inhaltliche und erzählerische Eigenheiten vor, etwa bei der Aufdeckung der wahren Identität von „Octavio“, bei der es nicht unbedingt darum geht, die realen psychologischen Erkenntnisse zu Verschwörungsgläubigen und -verbreitern literarisch zu illustrieren.
Dafür wird das verwandte Thema „Alternativmedizin“ an dieser Stelle gleich mitbehandelt.
Zum Weiterlesen:
- Ursula Poznanski: Shelter. Loewe 2021, 432 Seiten, 19,95 €
- „Shelter“: Keiner kann die Welle stoppen, Wiener Zeitung am 18. Oktober 2021
- Autorin Ursula Poznanski: „Das ist das erste Buch, das ich aus Wut geschrieben habe“, diepresse am 15. Oktober 2021