„Hexen- und Teufelswahn im Harz“ – Selbst heute noch regen sich besorgte Christen über spezielle Bräuche in der „Walpurgisnacht“ auf. Doch vermutlich ist dieses wilde Treiben vergleichsweise harmlos gegenüber mittelalterlichen Drogen-Trips beim „Hexensabbath“. Ein Gespräch mit dem Lebensmittelchemiker und GWUP-Vorstandsmitglied Dr. Jochen Bergmann.
Herr Dr. Bergmann, in der Walpurgisnacht fliegen die Hexen auf einem Besenstil zum Blocksberg, um dort eine Nacht lang zu tanzen und wollüstigen Sex mit dem Teufel zu haben. Das klingt wie ein Drogen-Trip. Könnten solche Vorstellungen vielleicht tatsächlich unter dem Einfluss halluzinogener Substanzen entstanden sein?
Das ist sogar sehr wahrscheinlich, wenn man die verwendeten Pflanzen betrachtet.
Obwohl Hexensalben-Rezepte – hier insbesondere die klassische „Flugsalbe“ – in verschiedenen Varianten kursierten, enthielten sie meist Teile einer oder mehrerer Pflanzen mit berauschender Wirkung, wie etwa Bilsenkraut, Tollkirsche, Alraune oder bittersüßer Nachtschatten. Auch wenn wir erst seit einigen Jahrzehnten die chemischen Verbindungen kennen, die für die Wirkung verantwortlich sind: Ihre Wirkung ist schon seit Jahrhunderten bekannt und der Kreis ihrer Anwender war nicht auf Hexen beschränkt.
Durch unterschiedliche Rezepte, Herstellungsverfahren und natürliche Schwankungen der Inhaltsstoffe gibt es zum Teil große Unterschiede in den Schilderungen der Wirkung von Hexensalben. Einige Hexensalben mögen vielleicht wirkungslos gewesen sein und bei anderen vermischen sich authentische Schilderungen mit Übertreibungen und Mythen. Einen wahren Kern aber haben die die Schilderungen von „Hexenflug und Ausschweifungen“ allemal – nur fand dies im Kopf der Hexen statt.
Könnten Sie eine Salbe zusammenbrauen, die eine solche Wirkung hat? Was wäre da zum Beispiel drin?
Eine Hexensalbe lässt sich relativ einfach herstellen. In eine Salbengrundlage nach Wahl werden je nach Rezept verschiedene Pflanzen eingearbeitet. Neben Inhaltsstoffen, die Geruch oder Konsistenz verbessern sollen, gehören in eine echte Flugsalbe auch eine oder mehrere der oben genannten Pflanzen. Mit ein wenig botanischem Wissen oder spezialisierten Naturführern lassen sich diese Zutaten selbst finden. Und zur Verarbeitung zu einer Salbe benötigt man dann nur ein wenig handwerkliches Geschick.
Der Volkskunde-Professor Will-Erich Peukert unternahm in den 1950-er Jahren nach eigenen Angaben einen spektakulären Selbstversuch mit einer Hexensalbe. Er schrieb später darüber: „Vor meinen Augen tanzten zunächst grauenhaft verzerrte menschliche Gesichter. Dann plötzlich hatte ich das Gefühl, als flöge ich meilenweit durch die Luft. Der Flug wurde wiederholt durch tiefe Stürze unterbrochen. In der Schlußphase schließlich das Bild eines orgiastischen Festes mit grotesken sinnlichen Ausschweifungen.“ Auch wenn das übertrieben klingt und eher an einen Bilderbuchhexenritt erinnert: Könnte man so ein Experiment nicht einfach mal wiederholen?
Ja, aber das ist nicht empfehlenswert. In den frühen Zeiten der Naturstoffforschung waren Selbstversuche mit pflanzlichen Drogen keine Seltenheit. Man darf aber nicht vergessen, dass es sich bei den Wirkstoffen der genannten Pflanzen um hochpotente Verbindungen mit erheblichem Schadenspotenzial handelt. Anders als bei bekannten Genussdrogen wie Nikotin, Ethanol oder Koffein ist die Dosierung der Wirkstoffe bei Hexensalben nicht einfach und das Fenster zwischen mildem Rausch und Höllenritt sehr schmal.
Die Anwendung irgendeiner Hexensalbe ist vergleichbar mit der Verabreichung eines halben Liters eines alkoholischen Getränkes mit unbekanntem Alkoholgehalt: Wer Bier bekommt, dem droht kein Ungemach. Wer den Schnaps erwischt, riskiert eine Alkoholvergiftung.
Im Internet und in diversen aktuellen Hexenbüchern kursieren zahlreiche Rezepte für Hexensalben – sind die alle wirkungslos? Was kann da realistischerweise passieren, an Wirkungen und auch an Nebenwirkungen?
Die im Internet und der Literatur für „moderne Hexen“ kursierenden Anleitungen sind ein Sammelsurium verschiedener Rezepte für verschiedene Zwecken wie Heilung, Verhexung und Schutz.
Die Rezepte für Flugsalben lassen sich grob in zwei Gruppen einteilen: Die einen enthalten gar keine Rauschdrogen oder nur sehr geringe Anteile. Von diesen geht hinsichtlich der Rauschwirkung keine Gefahr aus, allerdings wird sich auch kein echtes Fluggefühl einstellen. Die andere Gruppe der Rezepte schreibt Rauschdrogen in einer Menge vor, die bei normaler Anwendung eine Rauschwirkung erwarten lässt. Hier kann es bei unerfahrenen Anwendern schnell zu einer Überdosierung kommen, denn sie können die zu erwartende Wirkung nicht so einfach in „mild“ und „wild“ unterteilen. Daher ist von leichtfertigen Versuchen mit Flugsalben abzuraten.
Zum Weiterlesen:
- Gisela Völger/Karin von Welck (1987): Rausch und Realität – Drogen im Kulturvergleich. Rowohlt, Reinbek
9. Januar 2011 um 12:36
Warnung für neuzeitliche hedonistische Anwender uralter Kulturdrogen, – rezepte: die in diesem Artikel erwähnten Pflanzen haben eine enorme Wirkung, die nicht selten mit dem Tod in Berührung kommt. Die mehrdimensionalen Erfahrungen, die mit dem Konsum (als Salbe, oral- inhalliert,etc.) derartiger Pflanzen, Pflanzenteile- und entsprechenden Extrakten einhergehen, sind einem keinem Fall zu unterschätzen! Selbst erfahrende Psychonauten werden gebeten, sich mit den kultur-historischen Hintergründen auseinanderzusetzen, in denen die Drogen ihre Anwendung fanden.