Wenn es um die schönste Nebensache der Welt geht, waren italienische Medien noch nie besonders zimperlich.
Aber seit dem Bayern-Spiel am vergangenen Mittwoch rauscht’s besonders heftig im Blätterwald:
„Da spielst du das Spiel deines Lebens, und dann kommt dieser Kerl und ruiniert dir den Abend“, beschreibt gewohnt melodramatisch La Gazzetta dello Sport den Tathergang.
Der seriöse Corriere della Sera wird noch deutlicher: „Die Fiorentina wird von einer fetten, norwegischen Pfeife besiegt, die eine Minute vor Schluss Kloses Abseitstor anerkennt.“
Övrebö habe „Probleme mit Italien“, behauptet die Mailänder Zeitung – immerhin habe er bei der EM 2008 ein reguläres Tor von Luca Toni gegen Rumänien als Abseitstor annulliert. Wofür sich Övrebö später entschuldigte.
Der Schiedsrichter solle seinen Job wechseln, regte Fiorentina-Besitzer Diego Della Valle an, der auch Anteilseigner beim Corriere ist. Die Talentscouts von La Nazione, der Zeitung aus Florenz, wissen auch schon, wo Övrebö („Sieht aus wie die Comicfigur Hulk“) am besten einzusetzen wäre:
„Schickt ihn mitsamt seiner Linienrichter aufs Kartoffelfeld.“
Weia!
Solcherlei nationaler Überschwang ist wohl nur vor dem Hintergrund halbwegs verständlich, dass „Italien unstrittig das Mutterland aller Verschwörungstheorie ist“, kommentiert heute die Süddeutsche. Und um den Bayern-Sieg rankten sich am Tag danach schon zwei:
„Die eine untermalt den Diebstahl von München mit den Klängen des vulgärmarxistischen Uralt-Lamentos „Immer auf die Kleinen“ …
In diese greift dann der Schiedsrichter als reaktionärer Helfershelfer des Kapitals im entscheidenden Moment ein, um einen Sieg oder auch nur ein Remis aufrechter Fußball-Proletarier zu verhindern. Jetzt musste den reichen und mächtigen Bayern gegen die Außenseiter aus Florenz geholfen werden …
Die zweite Theorie wird von Fans verbreitet und setzt etwas höher an. Sie besagt, die Fiorentina sei zum Scheitern verdammt, auf dass Italien einen Champions-League-Platz an Deutschland abgebe:
Ein klassisches Bauernopfer im Machtkampf der Fußball-Großmächte, die in der Uefa wie im politischen Europa tonangebend sind …“
Also mal wieder eine – beziehungsweise gleich zwei – neue Variante(n) der weltumspannenden Schiedsrichter-Verschwörung! Erst zum Anfang dieses Monats kolportierte die spanische Presse ein angebliches Komplott gegen die Königlichen aus Madrid.
Auch Inter Mailand fühlt sich von Verschwörern geradezu umzingelt.
Und so weiter, und so fort.
Was ist nun dran an der Schiri-Verschwörung?
Diese Frage richtete vor drei Jahren die Financial Times Deutschland sogar an die freundlichen Skeptiker von der GWUP.
Festgehalten ist die – sicherlich noch ausbaufähige – Antwort hier:
Die „Men in Black“ sind ein sehr bekannter Verschwörungsmythos, insofern ist es ein interessanter Versuch, auch bei uns „Männer in Schwarz“ als Urheber allen Übels zu etablieren.
Aber wer mag sich brave Pfeifenmänner wie Florian Meyer oder Dr. Markus Merk als „Agent J“ oder „Agent K“ vorstellen?
Eben.
Verschwörungstheorien sind ein Sinnproduktionsmittel. Sie entstehen aus der Unfähigkeit, den banalen Zufall zu ertragen. Insofern müssten Fußballfans massenhaft dem Verschwörungsdenken zuneigen. Dass sie es nicht tun, hat einen simplen Grund:
Auch der Christoph Daumschen Schiedsrichterverschwörung fehlt ein unabdingbarer Bestandteil einer jeden Konspiration: ein eindeutiges Gut und Böse.„
Aber überlassen wir das Fazit dieses kurzen Beitrags besser einem wirklichen Experten. Bayern-Trainer Louis von Gaal, der bei Focus-Online das ausspricht, was wir doch alle wissen:
Am Ende gleicht sich immer irgendwie alles wieder aus:
„Jetzt sind wir glücklich. Gegen Bordeaux zum Beispiel wurden wir benachteiligt.“
Zum Weiterlesen:
- Verschwörungstheorien im Fußball: „Fischeier für den Schiriobmann“, Spiegel-Online vom 23. November 2009
19. Februar 2010 um 16:19
Nun ja, die Verschwörungstheorien sind natürlich (denke ich zumindest, wissen kann ich es nicht) Unsinn.
Fakt ist aber, dass ich (und ganz sicher nicht nur ich) da deutlich ein Abseits gesehen habe. Und mich dann auch fragen muss, wieso der Schiedsrichter das nicht gehen hat.
Ich komme dabei zu dem Schluss, dass das eben passieren kann. Für den Bruchteil einer Sekunde nicht aufgepasst; die Ausrichtung der Spielsituation zum Spielfeld nicht ganz richtig eingeschätzt und schon ist es passiert. Schicksal eben.
So einfach möchte es sich der Mensch aber oft nicht machen. Es kann ja auch nicht sein, was nicht sein darf.
Also müssen scheinbar tiefergehende Begründungen her. Es muss ein Sinn hinter dem Unglück stecken. Und schon ist eine Verschwörungstheorie geboren