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„Die letzte Verschwörung“: Eine Oper zur Lage der Aufklärung feierte deutsche Erstaufführung

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Was wäre, wenn …

… der Flacherdler, der 2016 bei „Domian“ in der Sendung anrief, den Moderator eingelullt hätte mit seinen Pseudo-Argumenten – und Jürgen Domian daraufhin völlig abgedreht wäre, bis hin zu Jobverlust, Ehe-Aus, einem eigenen Schwurbel-Kanal im Internet und bewaffneter Radikalisierung?

Das ist ungefähr der Plot der Oper „Die letzte Verschwörung“, die am Samstag ihre deutsche Erstaufführung am Staatstheater Augsburg feierte.

Wer wollte, konnte sich im Vorraum stilecht ausstaffieren, bevor die „Oper zur Lage der Aufklärung“ (Augsburger Allgemeine) das Premierenpublikum „hinein in den Kaninchenbau der Verschwörungsmythen“ zog:

Der erfolgreiche Talkshowmoderator Friedrich Quant gerät in einen Strudel an Verschwörungstheorien, die alle wahr sind. Es beginnt mit einer schicksalhaften Begegnung mit einem vermeintlichen Flat-Earther, durch die Quant immer mehr in die Welt der Zweifler an unserer Wirklichkeit gerät.

Doch jedes Mal, wenn er glaubt, die Wahrheit enthüllt zu haben, tut sich eine neue unglaubliche Verschwörung auf. Hinter jeder Ecke lauert eine neue Erklärung für die Welt, die noch absurder und gleichzeitig doch realer ist als die vorige,

fasst das Operetten-Lexikon die Story zusammen.

Wolfgang Schwaninger als „Friedrich Quant“. Foto: Jan-Pieter Fuhr

All das führt zu einer mehr und mehr burlesken und schrillen Handlung, in der Reptilienwesen, Aliens, KI und simulierte Welten eine Rolle spielen. Als Quant letztendlich die „letzte Verschwörung“ aufdeckt, ist nichts mehr, wie es vorher war.

Eine „Explosion an Gedankengebilden“ nennt die Lokalpresse das.

Und in der Tat dürften themenversierte Skeptiker ihre Freude daran haben, Verschwörungsmythen von Adrenochrom über Elvis lebt bis hin zu Pizzagate zu dechiffrieren:

Pizzas belegt mit Kindermenschenfleisch? Foto: Jan-Pieter Fuhr

Außerdem schadet es nicht, „Matrix“, „Es“ und „Der Tag, an dem die Erde stillstand“ gesehen zu haben.

Nur von den zahllosen Corona-Mythen ist in den zwei Stunden nichts zu hören. Warum nicht?

Moritz Eggert, der Komponist und Librettist von „Die letzte Verschwörung“, gegenüber unserem Blog:

Ich habe Verschwörungserzählungen über die Pandemie ausgeklammert, weil ich sicher war, dass wir alle von dem Thema genug haben. Es war zwar schon so, dass die Arbeit an „Die letzte Verschwörung“ für mich persönlich auch etwas Kathartisches hatte, weil ich mir den ganzen Corona-Frust ein wenig von der Seele schreiben konnte.

Und natürlich habe ich Brüche erlebt, auch im engsten Bekanntenkreis, ich kenne Kollegen, die so weit abgedriftet sind, dass sie ihre Karriere ruiniert haben. Das ist alles sehr traurig, aber ich möchte das Publikum nicht mit Problematiken langweilen, die uns bis hier stehen.

Der Komponist und Librettist Moritz Eggert (r.)

Im Gespräch erweist sich Eggert als überaus kundiger Experte für das Thema, und in seinem vielgelesenen Bad Blog of Musick finden sich auch Beiträge zu Hildmann, Wodarg, Anselm Lenz und Co.

Möchte er nun mit einer modernen Oper Verschwörungsgläubige zum Umdenken bewegen?

Eggert:

Wir pflegen in Deutschland so ein wenig das Klischee, dass Kunst erziehen soll. Bei einer Podiumsdiskussion von Kulturschaffenden ist mal der Satz gefallen: „Wir wollen unser Publikum zu liberalem Denken erziehen.“ Das halte ich für hochproblematisch.

Wenn ich einen Stoff wie „Die letzte Verschwörung“ behandele, dann möchte ich, dass das Publikum sich am Ende sich seine eigenen Gedanken macht, zu eigene Antworten kommt – die will ich nicht vorgeben. Kunst ist für mich ein wilder Raum, wo Ideen und Probleme verhandelt werden.

Wichtig war mir nur, Verschwörungstheorien zu einem Thema von Kunst zu machen, damit diese Auseinandersetzung stattfinden kann.

Die Verschwörungstheoretiker Dieter Urban (Shin Yeo, l.) und Lara Lechner (Jihyun Cecilia Lee). Foto: Jan-Pieter Fuhr

Unterstützt wird er dabei von einem Ensemble, das „mit starken, maximal motivierten Sängerdarstellern bei der Sache ist“, wie das Online-Magazin concerti schreibt. Wolfgang Schwaninger (oben M.) „führt als ideale Mischung eines Charakter- und Heldentenors die tolle Truppe an“.

Schwaninger ist übrigens studierter Jurist und arbeitete während der Coronakrise wieder als Rechtsanwalt, hauptsächlich für Theatermitarbeiter, für die er unter anderem um Ausfallgagen und Entschädigungen stritt.

Wir wollten von ihm wissen: Haben diese Erfahrungen ihm geholfen, sich in die Bühnenfigur Friedrich Quant einzufinden?

Schwaninger:

Da muss ich sagen, nein. Ich habe in der Coronakrise natürlich das gesellschaftsspaltende Potenzial von Verschwörungstheorien gesehen, auch in meinem persönlichen Umfeld sind Beziehungen und Freundschaften zerbrochen – aber „Die letzte Verschwörung“ ist ja gleichsam coronafrei.

Ich finde das sehr klug von Moritz Eggert, dass er dieses Thema komplett ausgespart hat. Wir bewegen uns mit dem Stück im Bereich von allen möglichen seltsamen Behauptungen, von den Flatearthern über Pizzagate und Elvis lebt bis hin zu Reptilienmenschen, und die Künstlicher Intelligenz mischt sich auch noch irgendwie darunter.

Das sind alles Narrative, in die man mit einer gewissen Konträrfaszination genüsslich eintauchen kann. Aber Coronamythen, denke ich, hätten dieser eher leichten Oper nicht gutgetan.

Am Ende: die Radikalisierung im bewaffneten „Widerstand“ (Wolfgang Schwaninger und Jihyun Cecilia Lee). Foto: Jan-Pieter Fuhr

Was für den Münchner Merkur eine „Promenadenmischung aus Operette, Musical, Kabarett und, ja, sogar Oper ist“, beschreibt der Intendant des Augsburger Staatstheaters, André Bücker, im Programmheft als „aberwitzige Polit- und Medien-Opern-satirische-musik-theatrale-Performance“.

Allerdings eine mit sehr ernstem Hintergrund, denn Bücker hat selbst Erfahrungen mit rechter Gewalt gemacht, als er Chef am Nordharzer Städtebundtheater in Halberstadt und Quedlinburg war.

André Bücker (l.), der Intendant des Staatstheaters Augsburg.

Er sagte uns dazu:

Das hatte damals eigentlich nichts mit Verschwörungstheorien zu tun und nicht einmal etwas mit unserer Theaterarbeit, sondern die Kollegen waren einfach zur falschen Zeit am falschen Ort und sind von Neonazis überfallen worden.

Aber auch das zeigt, dass es den Punkt gibt, an dem Ideologien sehr gefährlich werden, wo Verschwörungstheorien genauso wie Rechtsextremismus ins Menschenverachtende kippen, ins Rassistische und Diskriminierende. Der Schweizer Theaterregisseur Milo Rau hat ein Stück darüber gemacht, wie ein Radiosender in Ruanda mit einer Hetzkampagne den Völkermord anfachte.

Solcherart instrumentalisierte Erzählungen sind in gewisser Weise faszinierend in ihrer ganzen Schrecklichkeit. Und insofern auch theatral ein wahnsinnig interessantes Thema, weil es eben diese zwei Seiten hat: das Absurd-Komische und das Brandgefährliche.

So ist es wohl.

Die nächsten Aufführungstermine von „Die letzte Verschwörung“ finden sich auf der Homepage des Augsburger Staatstheaters.

Uraufgeführt wurde das Stück am 25. März 2023 an der Volksoper in Wien.

Ausführliche Interviews mit Moritz Eggert, Wolfgang Schwaninger und André Bücker gibt’s im nächsten Skeptiker.

Zum Weiterlesen:

  • Oper von Moritz Eggert in Augsburg: Wenn alle Verschwörungstheorien wahr wären, br am 15. Oktober 2024
  • Gespräch mit Moritz Eggert über seine Oper „Die letzte Verschwörung“, br am 16. Oktober 2024
  • Neue Oper von Moritz Eggert: „Die letzte Verschwörung“ in Augsburg, Deutschlandfunk Kultur am 19. Oktober 2024
  • Im Strudel der Halbwahrheiten: „Die letzte Verschwörung“ im Staatstheater Augsburg, abendzeitung am 20. Oktober 2024
  • Opern-Kritik: Wie ein Film von David Lynch, wenn er eine Operette wäre, concerti am 20. Oktober 2024
  • Im Sog der alternativen Fakten, die-deutsche-bühne am 20. Oktober 2024
  • Orchesterbombast statt Ironie, BR am 20. Oktober 2024
  • Wer Wahrheit sucht, soll spazieren gehen, a3kultur am 21. Oktober 2024
  • Schwurbler-Show: „Die letzte Verschwörung“ in Augsburg, tz am 22. Oktober 2024
  • Doppel-Karriere: Von der Opernbühne in den Gerichtssaal, beck-aktuell am 24. Juni 2024
  • Was ist mit euch Schwurblern los? Spoiler: Nichts Gutes, mimikama direkt am 21. Oktober 2024
  • „Ich hab’s doch gesagt!“ – Wie Verschwörungstheoretiker jedes Argument zu ihrem Sieg umbiegen, mimikama direkt am 22. Oktober 2024
  • Querdenker-Recherchen: Suche dir deinen eigenen „Beweis“, mimikama direkt am 22. Oktober 2024
  • Studie: Mit ChatGPT gegen Verschwörungstheorien? Ganz so einfach ist das nicht, GWUP-Blog am 10. Oktober 2024

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