Sie war angeblich „patient zero“ – der Mensch, der das Coronavirus global verbreitet haben soll.
Das behauptete im März 2020 ein Verschwörungstheoretiker namens George Webb in einem Youtube-Video.
Die Sicherheitsfrau und Reservistin der US-Armee Maatje Benassi hatte im Oktober 2019 als Teil der amerikanischen Radrennstaffel an den Military World Games in Wuhan teilgenommen. Webb strickte daraus die Story, der Ursprung von Sars-CoV-2 liege nicht in China, sondern in einem Labor auf der Militärbasis Fort Detrick in Maryland. Von dort sei das Virus mit Benassi als auserkorener „Patientin null“ während des Sportwettbewerbs nach China gebracht worden, von wo es schließlich um die Welt ging.
„Her life has been turned upside down“, berichtete CNN am 27. April 2020.
Als bei Youtube das Video über die angebliche US-Agentin auftaucht, die das Virus nach China geschleust haben soll, bekommt Corona nicht nur einen Ursprung. Plötzlich gibt es auch eine vermeintlich Schuldige: Maatje Benassi,
schrieb Der Spiegel (44/2022) vergangene Woche.
Auslandsredakteurin Alexandra Rojkow zeichnet darin die Geschichte von Maatje Benassi nach.
Warum wählte Webb ausgerechnet sie für seine Verschwörungstheorie aus?
Die Benassis vermuten, dass ein Artikel in der kleinen Zeitung des Militärs der Auslöser war. Darin steht nicht nur, dass Maatje Benassi an dem Radrennen teilnahm, sondern auch, wie sie in der letzten Runde stürzte. Aus dem anschließenden Arztbesuch wurde im Netz ein vermeintlicher Beleg dafür, dass Benassi schon während des Rennens an Corona erkrankt gewesen sei.
In der Folge erlebte die 55-Jährige, was auch andere Opfer von Verschwörungshetze schildern: Beschimpfungen, Beleidigungen, Morddrohungen, eine regelrechte Hetzjagd.
Ihr Ehemann Matthew Benassi erzählt:
Und der Typ, der schuld an alldem war, erzählte seinen Blödsinn immer weiter. Und er verdiente damit auch noch Geld. Anzeigen auf Youtube, Spenden über Patreon, wo er sich dafür bezahlen ließ, dass er Lügen über uns verbreitete.
Matthew Benassi geht schließlich in die Offensive. Akribisch dokumentiert er jede Falschbehauptung über seine Frau, die er im Internet finden kann, und meldet den Tech-Plattformen jeden einzelnen Clip, jeden noch so kurzen Kommentar.
Nach einem CNN-Interview im April 2020 stellt sich ein US-Senator bei Familie Benassi vor und bietet seine Unterstützung an. Auch ein Kontakt mit dem von Leonard Pozner gegründeten Opfernetzwerk HONR kommt durch den CNN-Beitrag zustande.
Und Matthew Benassi macht immer weiter:
Seine Erfolge hat er säuberlich notiert. Juni 2020: Youtube sperrt den Verschwörungstheoretiker; August 2020: Der Kurznachrichtendienst Parler blockt den Mann; Februar 2021: Die Spendenplattform Patreon löscht seinen Account; Juni 2021: Amazon bietet die Bücher des Bloggers nicht mehr an […] Irgendwann war klar: Er kann keinen Schaden mehr anrichten, weil er keine Plattform mehr dafür hat.
Heute, endet die Spiegel-Geschichte, kämpft Matthew Benassi dafür, das US-Recht zu reformieren, damit Youtube und andere Plattformen verleumderische Inhalte schneller löschen müssen.
Maatje Benassi nennt als Grund, warum sie in ein Gespräch mit dem Nachrichtenmagazin aus Deutschland einwilligte:
Sie will warnen. Ein Gerücht im Netz kann zu einem Sturm der Lügen anschwellen, der das ganze Leben eines Menschen durcheinanderwirbelt. Aus digitalem Hass wird manchmal analoge Gewalt.
Hierzulande tut sich möglicherweise noch diesen Monat etwas:
Zum Weiterlesen:
- Wie dieses Paar einen Verschwörungsideologen zu Fall brachte, spiegel.de am 30. Oktober 2022
- „Eine Welt ohne Konsequenzen“: Interview mit einem Opfer von Alex Jones‘ Verschwörungshetze, GWUP-Blog am 2. November 2022
- „In den Tod gehasst“: Der Spiegel zum Fall Lisa-Maria Kellermayr, GWUP-Blog am 10. Oktober 2022
- Morddrohungen gegen Amerikanerin, die Coronavirus nach China gebracht haben soll, derStandard am 28. April 2020
- Maatje Benassi: COVID-19 Patient Zero, Real Talk-Podcast am 1. Februar 2021
- She’s been falsely accused of starting the pandemic. Her life has been turned upside down, cnn am 27. April 2020
- Von Pizzagate bis Sandy Hook: Die menschlichen Kosten von Verschwörungstheorien, GWUP-Blog am 19. August 2021
- Chan-jo Jun: Der Anwalt der Facebook verklagte, br am 19. Oktober 2022
- Antisemitismus in sozialen Netzwerken: 125-mal Alarm schlagen.125-mal abwarten, Zeit+ am 5. November 2022
- Antisemitismus im Internet: Wer stoppt den Hass? report München am 1. November 2022
- Das neue Twitter unter Elon Musk: Es ist noch schlimmer gekommen als befürchtet, tagesspiegel am 5. November 2022
- Die Macht von Lügen und Fakte News: Die Republikaner setzen für die Midterms auf ein altbekanntes Mittel, tagesspiegel am 4. November 2022
- USA: So sterben Demokratien, Zeit-Online am 5. November 2022
Pingback: De linke weekendbijlage (45-2022) - Kloptdatwel?
6. November 2022 um 17:08
„Terror im Netz: Wie sich Hass, Antisemitismus und Verschwörungstheorien verbreiten und die Demokratie gefährden“:
https://www.br.de/radio/live/bayern2/programm/2022-11-06/3293338/
7. November 2022 um 14:33
„Wir werden am 24.11. vor Gericht zeigen, dass Twitter sich selbst bei Kenntnis von Rechtswidrigkeit weigert, Verleumdung nachhaltig zu entfernen und seine User zu schützen.“
https://twitter.com/Anwalt_Jun/status/1589310748567535616