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Wer heilt, hat recht? Edzard Ernst über eine „dümmliche und gefährliche Plattitüde“

| 15 Kommentare

Die größtenteils unterirdischen Kommentare zur aktuellen Welt-Kolumne von Edzard Ernst zeigen deutlich, dass die „dümmliche und gefährliche Plattitüde“

Wer heilt, hat recht

noch tief verwurzelt ist im allgemeinen Bewusstsein.

Ernst schreibt:

Hat etwa ein Geistheiler mit seiner Geistheilung recht, nur weil er Dutzende von dankbaren Patienten vorweisen kann? Oder beweist die Tatsache, dass viele Patienten auf Homöopathie schwören, die Wirksamkeit dieser Behandlungsform?

Sicher nicht.

Zum einen existieren immer auch Patienten, die nicht „geheilt“ wurden oder eine symptomatische Besserung erfuhren. Unser oft sehr selektives Gedächtnis (der sogenannte „recall bias“) lässt diese „Nicht-Responder“ nur allzu gerne unter den Tisch fallen.

Zum anderen haben der Geistheiler oder der Homöopath nicht nur nicht recht, sondern sogar unrecht, wenn sie annehmen, dass ihre Behandlungsweise wirksam sei. Denn ihre vermeintlichen therapeutischen „Erfolge“ beruhen nicht auf den Wirkungen ihrer Therapie, sondern auf dem Zusammenspiel der oben skizzierten [Kontext-] Faktoren.

„Aber für den einzelnen Patienten ist doch all dies letztlich belanglos“, entgegnen Heilpraktiker und andere Naturheiler gerne. Für ihn, so meinen sie, zählt nur die Tatsache, dass seine Beschwerden gebessert wurden, dass er „geheilt“ wurde.

Selbst dieses Argument ist nicht nur unrichtig, sondern auch gefährlich. Denken wir nur an den Patienten mit Bauchschmerzen und nehmen einmal an, dass ein Homöopath seine Beschwerden tatsächlich lindern konnte. Nach ein paar Wochen lässt der Placebo-Effekt so weit nach, dass der Patient den Arzt wechselt und mittels diverser Tests ein Magenkrebs festgestellt wird.

Die Annahme „Wer heilt, hat recht“ hat in diesem durchaus nicht seltenen Szenario wertvolle Zeit vertan und die Prognose auf eine wirkliche Heilung deutlich verschlechtert.

Und gleich der derzeit erste angezeigte Kommentar darunter beginnt mit „Ich bin jetzt 75 Jahre alt und beschäftige mich seit meinem 20. Lebensjahr mit dem Thema Gesundheit aus ganzheitlicher Sicht …“

Kann sich jeder ausmalen, was dann kommt.

Zum Weiterlesen:

  • „Wer heilt, hat recht?“ Eine dümmliche und gefährliche Plattitüde, Welt+ am 23. Januar 2023
  • Natalie Grams bei Zeit-Online: „Wer heilt, hat recht. Oder etwa nicht?“ GWUP-Blog am 10. März 2022
  • Grams‘ Sprechstunde: Wer heilt, hat nicht zwingend recht, spektrum am 8. September 2020
  • „Wer heilt, hat recht“ – und was bedeutet das? INH am 26. Januar 2019
  • Hat Recht, wer heilt? GWUP-Blog am 2. August 2013
  • Wer heilt hat Recht! Der vielleicht dümmste Spruch in der Geschichte der deutschen Medizin, publikum-net am 5. Februar 2021
  • Kurpfuscher, Quacksalber und Co. – Teil 2, Onkel Michael am 15. Januar 2023

15 Kommentare

  1. Dutzende zufriedene Kunden vorzuweisen (und hunderte enttäuschte oder verstorbene Patienten zu verheimlichen) sind zum Recht haben zu wenig.

    Jedoch:

    Wenn ein Geistheiler wirklich alle heilt , auch die schon Austherapierten und Aufgegebenen, unter kontrollierten Bedingungen und wiederholbar, dann hat er definitiv Recht. Egal wie abstrus seine Theorie dazu sein mag.

    Dann müssten wir unsere Weltsicht anpassen.

  2. @Thomas Roth: Genau dann häzzer recht, jo. Und WENN jemand vor uns herumschweben würde, oder 100 EUR Scheine aus einem Hut sprudelb lassen könnte, dann würden wir diesen ehrfürchtig einen Magier nennnen und MÜSSTEN wohl unser Weltbild anpassen. WENN!!!

  3. Personen, die sich auf diesen unwissenschaftlichen Kram einlassen, könnte man auch sagen:
    Wer heilt, hat Glück.

    Oder andersrum:
    Wer geheilt wurde, hatte Glück.

  4. 1. Wer heilt, hat geheilt.

    2. Auch wer wirklich heilt, muss deswegen nicht Recht haben. Wer zufällig das richtige Mittel gibt, aber aus falschen Überlegungen heraus, heilt, hat aber nicht Recht.

    3. Wer nur glaubt, zu heilen, kann sich nicht auf den Spruch „Wer heilt, hat Recht“ berufen, weil er nicht heilt.

    4. Interessant: Wie steht es um die Kombination „Recht haben, nicht heilen“?

  5. Das ist die Paradoxie des Syllogismus. Die Wahrheitstabelle für die Aussage aus A folgt B :

    A. B. A=>B
    0. 0. 1
    0. 1. 1
    1. 0. 0
    1. 1. 1

    Setze ein A=heilt und B=hat Recht.

    Jemand braucht weder zu heilen, noch Recht zu haben, um den Satz wahr sein zu lassen.

  6. …Und wer Papst ist, hat auch recht.

    Gedenke zB. der vielen guten Dinge, die Ratzepapst zu verantworten hatte und die ihm leider irgendwie unbemerkt entgangen sind … :-)

  7. @ Thomas Roth:

    Was ist paradox am Syllogismus?

    Die interessante Frage ist auch nicht, was aussagenlogisch aus der Kombination 0,1 für den Wahrheitswert des Satzes folgt, sondern ob es in der Realität Fälle gibt, wo jemand (mehr als normal) beim Heilen erfolglos ist, obwohl er beim Heilmittel Recht hat.

    Ein Kandidat für eine solche Situation: Ein Arzt behandelt mit einem im Prinzip (im Durchschnitt) wirksamen Heilmittel zufällig und ohne dass er es weiß eine Subgruppe, bei der es nicht anschlägt.

    Wenn man das gelten lässt, hängt viel daran, wie „hat Recht“ konkret ausformuliert wird. Damit, dass das Mittel bei diesen Patienten wirkt, hätte er ja nicht Recht.

  8. Wir sollten mit dem Begriff „Heilung“ in der Medizin äußerst zurückhaltend sein.

    Echte Heilung gibt es meist nur in einigen operativen Fächern (wenn auch häufig nur in Form einer sogenannten „Defektheilung“) sowie bei einigen wenigen Erkrankungen der Inneren Medizin und verwandten Fächern, vor allem aber bei Infektionskrankheiten, die ohne Antibiotika tödlich verlaufen wären.

    Hier ist die Erfolgsbilanz von Alternativmedizinern gleich Null. In der Regel erreichen wir Internisten bei den meisten Krankheiten nur eine mehr oder weniger gute Symptomkontrolle, die eben nicht mit einer Heilung verwechselt werden darf.

  9. @Joseph Kuhn

    Wo jemand (mehr als normal) beim Heilen erfolglos ist, obwohl er beim Heilmittel Recht hat.

    In den 1950er Jahren gab es in den USA die meisten Toten an Lungenkrankheiten in Arizona. Nicht etwa, weil das Klima für TB dort so schlecht ist, in Gegenteil, weil es dort die besten Sanatorien im trocken-warmen gab, wo Ärzte die hoffnungslosen Fälle hinschicken. Sie hatten Recht, obwohl sie nicht heilen könnten.

  10. @ Thomas Roth:

    In Ihrem Beispiel wusste man vermutlich ja, dass man eine besondere Gruppe behandelt und dass es unter schweren Fällen mehr Tote gibt, wird wenig überraschend gewesen sein.

    Daher der Hinweis am Ende meines Kommentars.

    Aber grundsätzlich ist man im Bereich selektierter Patientengruppen bei der Frage sicher richtig.

  11. Such nur, es gibt noch Dümmeres:

    Kennt jemand das Konzept der Waffensalbe?

    Nachzulesen in der Kulturgeschichte der menschlichen Dummheit von Rath-Végh István. (Budapest, 1938, dt. ab 1959). Im späten Mittelalter wurden Wunden mit Salben behandelt. Die damaligen Ärzte waren nicht blöd und hatten sowas wie evidence based medicine, sie erkannten bald, dass die Heilungschancen des Verletzen wesentlich höher waren, wenn man statt der Wunde, die Waffe behandelte, welche die Wunde geschlagen hatte , wenn man derer denn habhaft werden konnte.

    Das erstaunt nicht, wenn man sich die unappetitlichen Rezepte der Salben ansieht:

    „Nimm je eine Unze von der Flechte, die auf dem Kopf eines gehängten Diebes wächst, von echter Mumie und von warmem Menschenblut; dazu zwei Unzen Menschentalg und je zwei Drachmen Leinöl, Terpentin und armenische Heilerde. Verquirle alles gut in einem Mörser und bewahre die Salbe in einer länglichen, schmalen Urne auf.“

    Während der letzten Choleraepidemie in London im 19 JH. hatten Kranke, die mit Homöopathie im wesentlichen in Ruhe gelassen wurden, eine niedrigere Lethalität als die Patienten, die schulmedizinisch nach State of the Art Einläufe und Aderlass über sich ergehen ließen.

    Im Gegensatz zur Homöopathie hat die Schulmedizin (und pharmazeutische Salbenindustrie) seitdem enorme Fortschritte gemacht.

  12. Ich stimme dem Satz „Wer heilt, hat recht.“ durchaus zu.

    Man muss aber trotzdem nachweisen, dass man heilt, selbst, wenn man den Wirkmechanismus, nach dem man heilt, nicht kennt.

    Und das kann man nur nach wissenschaftlich anerkannten Methoden tun, z.B. in Doppelblindstudien, in denen man nachweist, dass man signifikant besser ist, als ein Placebo.

    Das ist eben, dass die Anhänger „alternativer“ Heilverfahren gerne übersehen und an denen sie permanent scheitern.

    Stattdessen verlässt man sich auf anekdotische Evidenz…

  13. @Jens Stolpmann:
    dass man signifikant besser ist, als ein Placebo.

    Ich habe höhere Ansprüche. Man muss beweisen, dass man besser ist, als die beste bislang eingesetzte Methode.

  14. @ Thomas Roth:

    Waffensalbe und Homoöpathie statt Aderlass etc. fallen unter Punkt 3 meines Kommentars oben. Eine Verwechslung von Nichtschaden mit Heilen.

    Und Überlegenheit gegenüber Placebo im RCT reicht natürlich für den Wirkungsnachweis. Es reicht ggf. nicht für den Nachweis eines Zusatznutzens gegenüber einer Vergleichstherapie. Letzteres hat mit dem hier diskutierten Satz aber nichts zu tun.

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