In seiner Welt-Kolumne befasst sich Edzard Ernst mit der Frage:
Welcher Pflanzenheilkunde Sie trauen können – und welcher nicht
Kurze Zusammenfassung:
- Es gibt zwei grundverschiedene Arten der Pflanzenheilkunde, und die Unterscheidung der beiden ist wichtig.
Die erste Version stützt sich auf mehr oder weniger stichhaltige wissenschaftliche Evidenz und verwendet im Wesentlichen pflanzliche Heilmittel – die in vorklinischen und klinischen Studien ausreichend geprüft wurden – zur Behandlung definierter Krankheiten oder Symptome.
Ein bekanntes Beispiel ist die Verwendung von Johanniskraut bei Depressionen, deren Wirksamkeit durch eine Vielzahl von belastbaren klinischen Studien belegt ist.
[Aber] bei kaum einem Dutzend pflanzlicher Heilmittel ist das der Fall; und wenn man die jeweiligen Studien kritisch evaluiert, wird die Zahl noch deutlich kleiner. Es gibt Tausende von Pflanzen, die in der Heilkunde eingesetzt werden; das Gesamtergebnis ist also milde ausgedrückt enttäuschend.
- Die zweite Art der Pflanzenheilkunde ist die traditionelle Kräuterheilkunde.
Hierbei wird typischerweise ein Behandler konsultiert, der eine Anamnese erhebt, den Patienten untersucht, eine Diagnose (meist gemäß obsoleter Konzepte) erstellt – und schließlich eine Mischung aus verschiedenen pflanzlichen Mitteln rezeptiert, die individualisiert auf die Merkmale des einzelnen Patienten zugeschnitten sind.
Der individualisierte Ansatz in der Pflanzenheilkunde ist nicht evidenzbasiert. Die verschriebenen Kräutermischungen enthalten regelmäßig Pflanzen, deren Wirksamkeit und Unbedenklichkeit nicht belegt sind.
- Und wie steht es um die Risiken der Pflanzenheilkunde?
Bei einer Unzahl von Inhaltsstoffen ist es möglich, dass Interaktionen mit anderen, gleichzeitig eingenommenen Medikamenten entstehen. Das Johanniskraut interagiert mit rund 50 Prozent aller synthetischen Arzneimittel.
Insbesondere chinesische und ayurvedische Kräutermittel sind oft kontaminiert mit nicht-pflanzlichen Stoffen, die giftig sind, etwa Schwermetalle.
- Fazit:
Ich empfehle jedem, dem nach etwas Pflanzenheilkunde zumute ist, Anbieter der traditionellen Pflanzenheilkunde – also etwa TCM – zu meiden und sich mit der rationalen Phytotherapie auseinanderzusetzen. Dabei sollte man sich kritische Fragen stellen:
Ist für das betreffende Leiden ein pflanzliches Mittel nachweislich wirksamer und nebenwirkungsärmer als ein herkömmliches Medikament? Ist das pflanzliche Mittel von guter Qualität? Können Interaktionen mit anderen Arzneimitteln ausgeschlossen werden?
Einen ausführlichen Beitrag zu diesem Thema gab’s auch im Skeptiker 1/2022.
Zum Weiterlesen:
- Welcher Pflanzenheilkunde Sie trauen können – und welcher nicht, Welt+ am 28. November 2022
- Grams‘ Sprechstunde: Was kann die Phytotherapie? spektrum am 23. Juni 2022
- NGF046: „Heilpflanzen“ am 27. Oktober 2021
- Pflanzenheilkunde – wie ist sie einzuordnen? Susannchen braucht keine Globuli am 24. Februar 2022
- Heilpflanzen: natürlich – sicher – wirksam? Skeptiker 1/2022
- Edzard Ernst: Das Agoro-Gesundheitsportal, publikum-net am 7. November 2022
- Homeopathy kills vulnerable patients, edzardernst am 21. November 2022
- Pflanzlich heißt nicht immer harmlos, derStandard.at am 11. Februar 2009
- Natürlich bedeutet nicht harmlos, NZZ am 20. März 2009
- Natürlich heißt nicht harmlos, Zeit-Online am 26. Juli 2019
- Das Märchen von der sanften Natur, Spiegel-Online am 24. Juli 2019
2. Dezember 2022 um 06:18
Zugegeben experimentiere ich für mich selbst gerne mit Heilkräutern.
Jedoch hatte ich selbst dabei schon unangenehme Wirkungen … eine eigene Mischung Beruhigungstee hilft zwar super beim Ein- und Durchschlafen, schafft es jedoch leider auch reproduzierbar heftige Kopfschmerzen zu erzeugen. Deswegen steht der Tee jetzt ungenutzt im Regal.
Richtig fahrlässig finde ich es dann, wenn jemand gegen die Behandlung von Borreliose zum Beispiel Kardenwurzel empfiehlt. Meiner Kenntnis nach empfehlen selbst die meisten Heilpraktiker in solchen Fällen einen Besuch beim Hausarzt und Behandlung mit Antibiotika.
Dennoch für mich ein spannendes Thema :-)
2. Dezember 2022 um 16:34
Ich würde keiner Pflanzen-„Heilkunde“ vertrauen, und zu diesem Ergebnis kommt letztlich auch Edzard Ernst. Insofern ist der Titel seines Artikel etwas missverständlich.
Wir sollten in der Medizin sehr vorsichtig mit dem Begriff „Heilen“ sein. Wir Ärzte heilen höchst selten (von wenigen Ausnahmen abgesehen, z.B. bei infektiösen Erkrankungen oder in manchen chirurgischen Fächern), sondern versuchen meistens nur eine Symptomkontrolle zu erreichen.
Bei leichten Beschwerden können Phytopharmaka durchaus wirksam sein, aber man muss sich fragen, ob sie in diesen Fällen tatsächlich notwendig sind. Falls nicht, stellt ihre Anwendung eine Geldverschwendung dar, besonders, wenn sie praktisch nur als Placebo wirken.
Ich will das große Potential von Pflanzen nicht kleinreden, aber wenn Pharmakologen auf eine wie auch immer wirksame Droge gestoßen sind, ist es selbstverständlich, nach der verantwortlichen Reinsubstanz zu suchen, um Wirkungs- und Nebenwirkungsprofil zu kontrollieren.
Genau so hat sich die Pharmakologie als eine der großen Errungenschaften der Menschheit entwickelt.
13. Dezember 2022 um 01:23
„Vorsicht Heilpraktiker. Eine kritische Analyse“ von Edzard Ernst
https://buchfindr.de/buecher/vorsicht-heilpraktiker-ernst-edzard/
13. Dezember 2022 um 01:43
@Martina:
Noch nie gehört, aber ist ja noch eine Weile hin.
13. Dezember 2022 um 11:11
Ich finde allerdings z.B. dieses Buch, das es angeblich geben soll, auch nicht:
https://buchfindr.de/buecher/alternativ-behandeln-ernst-edzard-wort-bild-verlag-hardcover/
Falls Prof. Ernst hier mitliest – vielleicht kann er etwas dazu sagen.
13. Dezember 2022 um 12:26
Das Heilpraktiker-Buch ist in Produktion und wird in ~3 Monaten erscheinen.
ALTERNATIV BEHANDELN ist schon lange fertig, wird aber vom Verlag zurückgehalten. Keine Ahnung, wann es publiziert wird.
13. Dezember 2022 um 15:41
@Edzard Ernst:
wird aber vom Verlag zurückgehalten.
Ganz so kritisch wollte man es dann doch nicht haben, vermute ich.