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Corona in den Medien: Die Aufarbeitung hat begonnen

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Heute fand in Berlin die Fachkonferenz

follow the science – aber wohin?

der Rudolf Augstein Stiftung statt.

Das siebeneinhalbstündige Video mit allen Programmpunkten ist jetzt online:

Sagen, was ist: unter großer Unsicherheit ist das eine besondere Herausforderung. Zuverlässige Informationen waren in der Corona-Pandemie gefragt wie nie. Die Reichweiten traditioneller Medien stiegen, ebenso das Medienvertrauen.

Eine Sternstunde des Journalismus also? Wie ordneten die Medien hierzulande wissenschaftliche Daten ein, welchen Expertinnen gaben sie eine Bühne? Wie hinterfragten Journalistinnen Regierungsentscheidungen?

Wer Einfluss auf die öffentliche Auseinandersetzung mit kritischen Situationen von großer Tragweite nehmen kann, sollte die eigene Rolle reflektieren. Diese Reflexion möchte die Rudolf Augstein Stiftung mit der Tagung follow the science – aber wohin? unterstützen.

Dabei wurden auch die ersten Ergebnisse zweier Studien vorgestellt:

  1. „Einseitig, unkritisch, regierungsnah? Eine empirische Studie zur Qualität der journalistischen Berichterstattung über die Corona-Pandemie“ von Prof. Carsten Reinemann und Prof. Marcus Maurer

(im Video ab Minute 2:18:00), hier zum Download)

Darin heißt es unter anderem:

  • Ausgewogenheit:

Den öfter gehörten pauschalen Vorwurf, Medien hätten zu unkritisch über die Akteure der Krise und die Corona-Maßnahmen berichtet, entkräften die Medienwissenschaftler anhand ihrer Auswertung. Allerdings ging die Kritik in beide Richtungen.

In rund 26 Prozent der Beiträge, in denen Corona-Maßnahmen bewertet wurden, war der Tenor, dass die Maßnahmen zu weit gingen. Allerdings war der Tenor in rund 31 Prozent solcher Beiträge, dass die Maßnahmen gerade nicht weit genug gingen. Rund 44 Prozent dieser Beiträge bewerteten die Maßnahmen als angemessen.

  • Meinungsbildung:

Anhand der kontinuierlich erhobenen Meinungsumfragen [diagnostizierten die Medienforscheer] eine „überraschend große Stabilität des persönlichen Bedrohungsempfindens“ in der Bevölkerung.

Heißt: Zu keiner Zeit habe es eine „Corona-Panik“ gegeben, die Akzeptanz der Corona-Maßnahmen sei hoch gewesen – auch wenn der Anteil der Stimmen, die Maßnahmen für übertrieben gehalten haben, über den Verlauf der Pandemie hinweg stieg.

Mit der Entstehung der sogenannten Querdenker-Bewegung gab es zudem auch eine ausgeprägte Gegenbewegung zur Regierungslinie. Doch der Anteil der Befragten, die die Corona-Berichterstattung grundsätzlich positiv bewertete, überwog demnach deutlich die negativen Stimmen.

Hier weisen die Forscher darauf hin, dass ein Anteil von rund 20 Prozent Kritikern in etwa dem Anteil der Bevölkerung entspricht, der klassischen Medien generell nicht vertraue.

2. „Corona-Sprechstunde mit Maybrit Illner, Anne Will & Frank Plasberg: Parteilich und oberflächlich oder ausgewogen und informativ?“ von Prof. Thorsten Faas und Mona Krewel

(im Video ab Minute 2:28:30, hier zum Download)

Im Fazit heißt es:

In den 112 Sendungen waren insgesamt 308 verschiedene Personen zu Gast – einige davon vielfach, andere nur einmal. Tatsächlich zeigen die Ergebnisse immense Unterschiede in dieser Hinsicht.

208 Gäste waren nämlich nur in einer einzigen der von uns betrachteten Sendungen zu Gast, während alleine Karl Lauterbach 22 Mal zu Gast war. Insgesamt waren über 600 Gästepositionen in den Sendungen zu füllen. Knapp 60 % dieser Positionen waren von Männern besetzt. 236 Gästepositionen waren von Politiker* innen gefüllt, 156 von Wissenschaftler*innen, 86 von Journalist*innen.

Dabei zeigt sich, dass gerade von Seiten der Politik ein recht kleiner Kreis von Personen in diesen Talkshows sehr präsent ist, während es bei Wissenschaftler* innen und mehr noch bei geladenen Journalist*innen zu mehr Vielfalt kommt.

Ein kontroverser Punkt rund um die Pandemie war und ist die Frage, ob und wie mit Meinungsvielfalt umzugehen ist:

Sollten Medien in Pandemiezeiten vor allem dazu beitragen, dass Maßnahmen unterstützt werden – im Sinne einer Public Health Agency? Oder sollten Medien und gerade Talkshows ein Raum sein, in dem Maßnahmen kontrovers diskutiert werden?

Zunächst einmal ist dazu festzuhalten, dass Bewertungen der Maßnahmen in den Talkshows sehr präsent sind. Was die Richtung der Bewertungen betrifft, so fallen 68 Prozent davon positiv aus, 10 Prozent ambivalent, 22 Prozent negativ. Dabei hat die Kontroversität der maßnahmenbezogenen Redebeiträge im Zeitverlauf zugenommen: 2021 wurden die Maßnahmen zwar immer noch mehrheitlich positiv dargestellt, aber gleichwohl in geringerem Maße als noch 2020.

Welt+ kommentiert die Veranstaltung:

Die Aufarbeitung von Corona hat in der Medienwissenschaft begonnen – und die Auseinandersetzung mit der Berichterstattung über das Virus wird längst geführt, nicht zuletzt in den Redaktionen selbst.

So wie Christian Drosten es dieser Tage gefordert hat:

Würde man sich allerdings von Wissenschaft, Justiz und Politik auch wünschen.

Zum Weiterlesen:

  • Corona-Pandemie: Drosten ruft Medien zur Selbstreflexion auf, Deutschlandfunk am 7. November 2021
  • Drosten: Medien müssen Corona-Berichterstattung aufarbeiten, Zeit-Online am 4. November 2021
  • Medien über Corona: Unsicherheiten wurden nicht ausreichend transparent gemacht, Welt+ am 7. November 2021
  • Diskussion: Was hat jemand wie Bhakdi in ÖR-Medien zu suchen? GWUP-Blog am 20. Oktober 2020
  • WildMics Special #67 – „Journalismus und Ethik“ vom 11. August 2021
  • WildMics Special #65 – „Journalismus“ vom 14. Juli 2021

5 Kommentare

  1. Vor 2 Monaten feierte Dänemark seinen „Freedom Day“. Jetzt werden wegen stark steigender Infektionszahlen wieder Einschränkungen eingeführt.

    Zur Erinnerung: In Dänemark sind 85,9 Prozent der Bevölkerung im Alter von über zwölf Jahren vollständig geimpft.

    https://www.n-tv.de/panorama/Daenemark-fuehrt-Corona-Massnahmen-wieder-ein-article22917219.html

  2. @RPGNo1:

    „Wir verlagern damit die Last der Pandemie auf die, die sich nicht impfen lassen wollen“, erklärt der Dänemark-Experte. Dafür könnte der Corona-Pass erst der Anfang sein. Die Regierung lege die juristische Grundlage für weitere Einschränkungen, sollte sich die erwünschte Wirkung nicht einstellen.

    https://www.welt.de/politik/ausland/plus234943074/Corona-Pass-Jetzt-endet-Daenemarks-Geduld-mit-den-Ungeimpften.html

  3. @Bernd Harder

    Interessant. Dänemarks Vorgehen ähnelt dem Italiens. Dort wurde mit der Einführung des Grünen Passes die Verantwortung auch an die Ungeimpften abgegeben. Wer sich nicht impfen lässt, darf somit in unbezahlten Urlaub gehen.

    Ich persönlich würde mir ein ähnliches Vorgehen auch für Deutschland wünschen.

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