Am Montag lief bei „Akte 2020“ (Sat.1) der Beitrag

Wenn Verschwörungstheorien Familien zerstören

Offenbar aus Angst vor den szenetypischen Reaktionen ist das Video nicht in der Mediathek abrufbar – allerdings hat der Betroffene selbst den Film bei Youtube hochgeladen (via Adornochrom):

Daneben ist heute bei Zeit+ der Artikel

erschienen:

In meinem Fall ist es meine Mutter, es ist meine Tante – es geht hier um meine Familie. Hätte mir jemand zu Beginn der Pandemie gesagt, dass die beiden an Verschwörungstheorien glauben würden – ich hätte gelacht. Niemals, hätte ich gesagt. 

Der Konflikt beginnt – wie könnte es anders sein – mit einem Video, das der junge Mann von seiner Tante über Telegram zugeschickt bekommt:

Zu sehen war ein angeblicher Arzt, der erklärt, warum Corona mit einer Grippewelle vergleichbar sei und die Maßnahmen der Regierung „maßlos und rechthaberisch“ wären.

Ich dachte: Okay, schau ich mir mal an. Ende März war vieles noch unklar, die Unsicherheit war groß, auch bei mir. Ich wollte offen sein.

Schnell merkte ich jedoch, wie sehr das Video den Informationen, die ich durch andere Medien bekam, widersprach. Ich informierte mich regelmäßig über die Seite des Robert Koch-Instituts, ich las den Spiegel, die ZEIT, schaute tagesschau und ließ mir auf YouTube von jungen Wissenschaftlern erklären, wie dieses Virus funktioniert. Ich wusste, dass Covid-19 keine einfache Grippe ist und war überzeugt, die Maßnahmen der Regierung seien richtig.

Von meiner Tante bekam ich weitere Videos, in denen Menschen behaupteten, ein Geldadel habe sich dazu verschworen, die Weltherrschaft an sich zu reißen. Die Videos begannen mit Rockefeller und endeten bei Bill Gates, einer Zwangsimpfung und einer Elite, die Kinder entführt. Manchmal bekam ich am Tag zwei bis drei solcher Videos.

Der Erzähler wird Tag für Tag mehr mit einer absurden Parallelwelt konfrontiert, die ihm „Angst macht“. Zugleich spürt er, wie Mutter und Tante „sich radikalisieren und gegenseitig anstacheln. Sie driften ab.“

Obwohl er die Machart der Verschwörungsvideos und die Manipulationstechniken schnell durchschaut, gelingt es ihm nicht, diese zu vermitteln:

Die Videos arbeiteten alle mit einer hochemotionalisierten Sprache. Normale Bedenken, wie die Sorge um die eigene wirtschaftliche Existenz, wurden benutzt und mit Unwahrheiten verknüpft. Die Videos waren teilweise so diffus, dass man nicht ein klares Argument erkennen konnte, die Aussagen blieben immer vage und ließen dadurch viel Platz für Interpretation. All das machte es für mich wahnsinnig schwierig, einen festen Punkt für ein Gegenargument zu finden.

Auch eine rein sachbezogene Auseinandersetzung mit Mutter und Tante scheitert:

Ich schickte ihnen meine Faktenchecks. Statt einer Antwort bekam ich einfach ein neues Video zurück. Mit keiner Silbe gingen sie auf meine Argumente ein. Es fühlte sich an, als würden sie ein Spiel mit mir spielen, aber nur ich hielt mich an die Regeln. Argumente, Logik, Vernunft – all das zählte für die beiden offenbar nicht mehr.

Videos von maiLab oder MrWissen2go werden als „von den Mainstream-Medien gesteuert“ zurückgewiesen, dafür Trump und Putin als „großartige Staatsmänner“ gepriesen, und dann „mischt sich auch noch rechtes Denken in ihre Argumente“.

Trauriges Fazit des langen Beitrags:

Ich sah wie unsere Basis, dass wir eine Familie sind und uns lieben, langsam zerbrach […] Ich habe die beiden wichtigsten Menschen in meinem Leben verloren und das Schlimmste ist: In ihrer Logik wollten sie mich eigentlich nur retten. Mir die Augen öffnen, mir klarmachen, wie die Welt wirklich ist. Dasselbe wollte ich auch, nur andersherum.

Darüber haben wir hier im Kommentarbereich schon diskutiert: Solche Gespräche sind ungeheuer anstrengend – und es gibt keinerlei Erfolgsrezept oder Garantie, dass man tatsächlich etwas damit erreicht.

Aber wie Sibylle Berg schon schrieb: Aufgeben „beraubt Sie der Chance, wenigstens die aufgeschlossenen zwei Prozent zu erreichen“.

Zum Weiterlesen:

• Wir dürfen die Welt nicht unseren Feinden überlassen, SPON am 3. Mai 2014
• Verschwörungstheorien: „Mama schrieb: Ich schäme mich, dich als Sohn zu haben“, Zeit+ am 9. September 2020
• „Querdenken“-Bewegung: Radikale geduldet, Zeit-Online am 8. September 2020
• Corona-Demos: Wo Zweifler sich in Rage chatten, Zeit-Online am 5. September 2020
• Der schwierige Umgang mit Verschwörungsgläubigen, GWUP-Blog am 15. Mai 2020
• „Auf dem Schlachtfeld“: Umgang mit Verschwörungsgläubigen, GWUP-Blog am 7. September 2020
• „Das Killer-Argument gibt es nicht“, engels am 4. August 2020