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Krankenkassen: Wie man mit professionellem Zynismus die Homöopathie verteidigt

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Über den immerselben Wortbaukasten der Homöopathen mit den ewig falschen Behauptungen haben wir uns zuletzt hier amüsiert („Behnkes kalter Morgenkaffee im Fakten-Check“).

Aktuell bedient sich dieser Phrasen eine homöopathische Ärztin in Bayern (die natürlich auch „Beirätin“ im Landesverband Bayern des DZVhÄ ist), und zwar bei einem „Pro und Contra“ in der Bayerischen Staatszeitung.

Da darf, wie üblich, nichts fehlen: weder die „vier Metaanalysen“ mit angeblich „eindeutig positivem Ergebnis“ für die Homöopathie (in Wahrheit sind es elf systematische Reviews, die allesamt keine belastbare Evidenz zeigen) noch der Verweis auf das das Globuli-Paradies Schweiz (wo die öffentliche Debatte über die Erstattung homöopathischer Mittel längst wieder eingesetzt hat).

Soweit geschenkt.

Bislang unübertroffen dürfte indes die Chupze der BKK VBU-Chefin Andrea Galle sein, die bei Zeit-Online nicht wirklich ein Interview gibt, sondern eine Art Musterleitfaden für geschickte Krisenkommunikation abarbeitet. Wenn das Ganze nicht so unverfroren wäre, hätte die Dame glatt einen Buchvertrag verdient.

Inhaltlich ist dieses Lobbyistengeschwätz mit der „Copy & Paste gegen Schwurbelei“-Anleitung von Sankt Johann und anderen kurzen Twitter-Sentenzen leicht zu widerlegen, zum Beispiel:

Galle: Menschen haben die unterschiedlichsten Lebensvorstellungen. Was sie für ihre Gesundheit als wichtig erachten, liegt in ihrem Ermessen und in dem der Ärzte. Wir als Kasse würden das niemals bewerten wollen, solange es den gesetzgeberischen Auflagen entspricht.

Wirklich? Oder ist es nicht vielmehr so:

Galle: Lediglich 0,01 Prozent unserer Gesamtausgaben entfallen auf homöopathische Mittel, homöopathische Behandlungen schlagen gerade mal mit 0,02 Prozent zu Buche. Das entspricht Ausgaben von gerade mal 400.000 Euro pro Jahr – eine Summe, die angesichts unserer Jahresausgaben von 1,6 Milliarden Euro komplett zu vernachlässigen ist.

Mal wieder das „Peanuts“-Argument.

Erstens ist Nichts immer zu teuer. Auch 400 000 Euro pro Jahr könnte man wesentlich sinnvoller einsetzen.

Zweitens ist das nicht der einzige, ja nicht einmal ein vorrangiger Aspekt bei der Forderung, Homöopathie nicht mehr durch Krankenkassen zu bezahlen. Denn: „Die Erstattung adelt Homöopathie als wirksam, was sie nachweislich nicht ist, so wird sie von Teilen der Bevölkerung als Alternative empfunden, was gefährlich ist. Das Argument für die Abschaffung der Kassenleistung ist die Patientensicherheit, nicht das Geld.

Oder: „Dass Krankenkassen Marketinginteressen über wissenschaftliche Erkenntnisse stellen dürfen, ist nur sekundär eine Frage der Kosten. Primär ist es eine Frage von Kompetenz und Redlichkeit – und von Vertrauen.“

Galle: Hier wird eine Bagatelle skandalisiert – und das, obwohl wir wirklich viel größere Baustellen haben.

Diesen Whataboutismus hat sich Frau Galle anscheinend von diversen Kassenkollegen abgeschaut:

Galle: Ich bin natürlich dafür, dass wir gute Evidenzen haben. Aber liegt es nicht auch in der Logik des medizinischen Fortschritts, dass Therapien angewandt und teils auch erstattet werden, deren Wirksamkeit erst später bewiesen oder vielleicht auch widerlegt wird?

Quatsch:

Naturgesetze und Wissenschaft sind Erkenntnisgrundlagen, keine Beschränkungen. Homöopathie ist wissenschaftlich erklärbar: Sie hat keine pharmazeutische Wirkung und widerspricht allen Kenntnissen über die Naturgesetze.“

Galle: Was ich gut finde, ist der ganzheitliche Ansatz, der bei der Komplementärmedizin in Verbindung mit der Schulmedizin mitspielt.

Warum sagt die Kassen-Chefin nicht einfach direkt, dass Globuli austauschbare Placebos sind und es nur um die Kontexteffekte des Gesprächs geht?

Und der Hammer:

Galle: Sehhilfen werden bis zum Alter von 18 Jahren und bei starker Kurz- oder Weitsichtigkeit – wenn ein Ausgleich von mehr als sechs Dioptrien erforderlich ist oder die Sehschärfe bei nur 30 Prozent liegt – von den Krankenkassen bezahlt.

Wow – bei „mehr als sechs Dioptrien“ oder einer Sehschärfe „bei nur 30 Prozent“. Geht’s eigentlich noch? Und spätestens hier zeigt sich dann auch vollumfänglich der professionelle Zynismus der Frau „Wir geben unseren hochgeschätzen Kunden doch alles, was sie wollen“ Galle.

Alles in allem das typische Verkaufsrhetorik-Seminar: auf den ersten Blick scheinbar bestechend. Man darf bloß keine Sekunde darüber nachdenken.

Update vom 20. Juli: Ärzteblatt-Chefredakteur widerspricht BKK VBU-Chefin: Homöopathie-Kosten sind „kein Sommerlochthema“.

Zum Weiterlesen:

  • „Wenn gewünscht, erstatten wir auch eine Tafel Schokolade pro Tag“, Zeit-Online am 18. Juli 2019
  • Soll man Krankenkassen die Kostenerstattung von Homöopathie verbieten? Bayerische Staatszeitung am 18. Juli 2019
  • Jede Krankenkasse bezahlt Homöopathie, medium am 14. Juli 2019
  • Mit Copy & Paste gegen Schwurbelei, medium am 6. Juli 2019
  • Erster Hersteller bekommt Homöopathie-Streit zu spüren, FAZ am 19. Juli 2019
  • Sollen Schweizer Globuli wieder selbst bezahlen? 20 Minuten am 19. Juli 2019
  • Nun sag, wie hast du’s mit den Globuli? medonline am 10. Juli 2019
  • Nein, das ist kein Argument …, Gesundheits-Check am 20. Jui 2019

16 Kommentare

  1. Die BKK VBU. Die sich in der Vergangenheit auch gelegentlich schon mal eher weniger mit Ruhm bekleckert hat.

    Mein Kommentar bei Zeit online zur Glanzleistung von Frau Galle:

    „Bravo, Frau Galle.

    Mit diesem Statement verabschieden Sie sich von der Rolle der Krankenkasse als eine der Säulen im Gesundheitssystem und reduzieren sie auf die einer buchhalterischen Einrichtung. Auf den Unsinn wie zB „noch nicht nachgewiesen“ – ausgerechnet im Zusammenhang mit der widerlegten Homöopathie – will ich dabei gar nicht eingehen.

    Glauben Sie wirklich, man könne andere Baustellen im Gesundheitswesen angehen, solange man unwissenschaftlichem Hokuspokus bei der Patientenschaft ein Renommee verschafft und „Freibier für alle“ propagiert? Nichts anderes tun sie hier.“

    Manchmal frage ich mich wirklich, ob die Leute überhaupt mal irgendwie über ihren Job und seinen Inhalt reflektieren. Oder nein, eigentlich frage ich mich das schon lange nicht mehr…

  2. Dass die Homöopathiefunktionäre sich nicht entblöden, solch einen Bullshit öffentlich hinauszuposaunen.

    Aber klar, wer Anekdoten als ultimativen Beweis akzeptiert und jede noch so schlechte Studie als Beweis abfeiert, findet auch die Versorgungsstudien plausibel, ist ja auch egal, Hauptsache sie belegen den eigenen Glauben.

    Rationales Argumentieren ist mit Gläubigen und Homöopathielobbyisten nicht möglich, schade. Für Patienten ist das kein gutes Zeichen, wenn Ärzte Homöopathiekritik so unreflektiert ablehnen, das zeigt klar auf, dass sie mit einem auf Fakten basierenden und wissenschaftlich akzeptierten Diskurs nichts am Hut haben.

    Erschreckend. Als würde ein Psychologe die Astrologie verteidigen, oder ein Biologe den Kreationismus oder ein Physiker ein Perpetuum Mobile.

  3. @Skeptikertante:

    „Für Patienten ist das kein gutes Zeichen, wenn Ärzte Homöopathiekritik so unreflektiert ablehnen.“

    Als Beispiel mag diese angebliche Neurologin dienen:

    https://twitter.com/Fotograf_Lauer/status/1152131904247926784

    https://twitter.com/drluebbers/status/1152124894336999424

  4. Danke für die „Fundstücke“. Eins schlimmer als das andere.

    Da, von ganz abgedrehten Exemplaren abgesehen, auch die Homöopathen wissen, das Argumente wie „kostet nicht viel“ oder „die Leute wollen es“ keine Rolle bei der Frage nach der Wirksamkeit spielen, muss man davon ausgehen, dass sie diese Argumente rein manipulativ einsetzen.

  5. @Skeptikertante

    Unter den studierten Psychologen zumindest gibt es solche, die Astrologie aktiv einsetzen.

    Eine einfache Google-Suche vorhin mit den Suchworten Psychologie und Astrologie ergibt knapp 29 Millionen Treffer. Ziehen wir den Löwenanteil derjenigen davon ab, die Psychologie nur gekapert haben, sei es, weil psychologische Astrologie gut klingen mag, sei es beispielsweise aus Büchern oder Prüfungsvorbereitung zum Psychoheilpraktiker, dann blieben bedauerlicherweise immer noch reichlich Menschen übrig, die mit einem abgeschlossenen Psychologiestudium und zweifelhaften Werkzeugen auf ihre Klienten losgehen.

    Allein auf der ersten Trefferseite finden sich davon einige – zu viele, wie ich meine. Und hoffentlich sind es verschwindend wenige aus der Gesamtmenge der Psychologen.

  6. Wir sollten Frau Golla (studierte Betriebswirtin und Wirtschaftsingenieurin (FH)) in einem Punkt dankbar sein.

    Wenn man das gesamte Geschwurbel und die Halbwahrheiten um Homöopathie in dem Interview ausblendet, dann wird knallhart offenbar, warum es ihr und im weiteren Sinn der BKK VBU geht:

    Evidenz, Gesundheit, Solidargemeinschaft, scheiß drauf. Wichtig ist, dass die Bilanz am Ende des Jahres stimmt.

  7. In der Kommentarspalte unter dem „Pro und Contra“ in der Staatszeitung spielen sich veritable homöopathische Wutausbrüche ab…

  8. @Udo Endruscheit

    Niedrig oder hochpotenzierte Wutausbrüche? ;)

  9. „veritable homöopathische Wutausbrüche“

    Wir empfehlen Nux vomica D12. Vernunft nehmen sie ja nicht an.

  10. Unsinn wird nicht wahrer, wenn man ihn nur oft genug wiederholt.

    „Es gibt sehr viele wissenschaftliche Studien, die die Wirkung der Homöopathie belegen …“

    „Das Dilemma ist, dass man nicht nachweisen kann, wie die Homöopathie wirkt. Das sie wirkt, ist wissenschaftlich nachweisbar …“

    „Und nicht zuletzt kann die Homöopathie einen Beitrag dazu leisten, dass möglichst wenig Antibiotika eingesetzt werden und somit auch Resistenzen vermieden werden.“

    „Aber die Wirkung der potenzierten Mittel auf Zellkulturen sei messbar.“

    https://www.muensterschezeitung.de/Lokales/Staedte/Greven/3884376-Dr.-Christian-Beuning-ist-Hausarzt-und-Homoeopath-Natuerlich-ist-die-Homoeopathie-wirksam

  11. Eine Frechheit den Patienten gegenüber, die ihre pflanzlichen wirksamen OTC Präparate zB Cimicifuga in ordentlicher Dosierung selbst bezahlen müssen.

  12. 1% für Homöopathie und 13% für Freibier…das läßt hoffen :-)

  13. Was haben sie hier eigentlich für ein Problem? Ich selber bin auch nicht unbedingt ein Anhänger der Zuckerkügelchen. Es gibt aber nicht wenige Menschen denen Homöophatie geholfen hat, ob nun wissenschaftlich belegt oder nicht. Auch meinem Sohn haben Globuli im Kleinkindalter nachweislich geholfen.
    Und das Wissenschaft auch nicht immer der Weisheit letzter Schluss ist, dürfte doch wohl jedem halbwegs intelligenten Menschen klar sein. Wie lässt es sich sonst erklären, dass wissenschaftliche Erkenntnisse oft nach einiger Zeit revidiert werden, gerade wenn es um Ernährung und Gesundheit geht.

    Auf den Seiten hier wird nur genörgelt, angeprangert und schwarz/weiß gesehen. Dabei gibt es unzählige Grautöne und ein wenig Toleranz anders denkender Menschen gegenüber hat noch niemanden geschadet. Aber bitte, toben sie sich hier nur weiter aus in ihrem Sandkasten.

  14. @DieAndereSicht:

    Bevor Sie mit Ihrem Schäufelchen Sand auf die anderen werfen, sollten Sie sich vielleicht erst mal einen Überblick über die Diskussion verschaffen.

    Alle Ihre Einwände sind hier und anderswo schon x-mal diskutiert worden, zum Beispiel:

    „Es gibt aber nicht wenige Menschen denen Homöophatie geholfen hat, ob nun wissenschaftlich belegt oder nicht.“

    Das sagt aber nichts aus. Bitte lesen Sie:

    https://www.netzwerk-homoeopathie.eu/faq/40-mir-hat-die-homoeopathie-aber-geholfen

    „Wie lässt es sich sonst erklären, dass wissenschaftliche Erkenntnisse oft nach einiger Zeit revidiert werden, gerade wenn es um Ernährung und Gesundheit geht.“

    Es geht bei der Homöopathie nicht darum, dass wir etwas noch nicht wissen, sondern die Sache ist längst erledigt. Wir wissen in allen Details, dass Homöopathie nicht wirkt und warum sich auch gar nicht wirken kann. Daran wird keine neue Erkenntnis der Wissenschaft und auch kein Zeitrahmen etwas ändern.

    Bitte lesen Sie:

    https://www.netzwerk-homoeopathie.eu/faq/38-frueher-dachte-man-doch-auch-die-welt-waere-eine-scheibe

    „und ein wenig Toleranz anders denkender Menschen gegenüber hat noch niemanden geschadet.“

    Toleranz gibt es gegenüber Meinungen. Wenn die Fakten aber eindeutig sind, geht es nicht mehr um „Toleranz“ oder „Meinungen“.

    Lesen Sie zum Beispiel:

    https://blog.psiram.com/2018/12/zur-neutralisierung-fundierter-kritik-durch-falsche-journalistische-ausgewogenheit-beispiel-homoeopathie/

    „Auf den Seiten hier wird nur genörgelt, angeprangert und schwarz/weiß gesehen.“

    Auf den Seiten hier und anderswo werden die Fakten dargelegt – völlig unabhängig davon, ob Ihnen und anderen diese gefallen oder nicht.

  15. „Was sie für ihre Gesundheit als wichtig erachten, liegt in ihrem Ermessen und in dem der Ärzte. Wir als Kasse würden das niemals bewerten wollen…“ Lüge des Jahres. Zahlungsverweigerung für diverse verschriebene Hilfsmittel, aber jetzt aufmal wollen Sie niemanden bevormunden?

    https://twitter.com/FraMoell/status/1151958034501001231

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