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„Eine jährliche Demonstration reicht nicht“: Dr. Julia Offe zum „March for Science“

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Heute „Im Profil“ bei wissenschaftskommunikation.de: Dr. Julia Offe von der GWUP.

In dem Gespräch geht es auch um den „March for Science“:

Ich habe 2017 den March for Science in Hamburg maßgeblich mitorganisiert und ich fand diese weltweiten Demonstrationen von Wissenschaftlern auch toll. Ich denke, dass die Aktion das Thema gut in die Öffentlichkeit gerückt hat.

Dennoch glaube ich, dass sich Fake News, Wissenschaftsverdrossenheit und das „Hinbiegen“ des wissenschaftlichen Forschungsstandes durch interessengeleitete Politiker nicht mit einer jährlichen Demonstration bekämpfen lassen. Sie reicht auch nicht aus, um den Bürgern kritisch-wissenschaftliches Denken nahezubringen. Und wir alle sollten Behauptungen heute mehr denn je hinterfragen.

Ich denke, dass regelmäßige, kleinere Veranstaltungen, bei denen Bürgerinnen und Bürger mit Forschenden in den Dialog treten können, wirkungsvoller sind und dass wir sie dringend brauchen.“

Zum Weiterlesen:

4 Kommentare

  1. Drei fragende Anmerkungen, ohne dass ich Antworten zu bieten hätte:

    1. Gibt es wirklich eine allgemeine „Wissenschaftsverdrossenheit“ dergestalt, dass mehr Menschen als früher Wissenschaft an sich infrage stellen? Oder ist es eher so, dass sich bei bestimmten politischen Themen (Klimawandel, Geschlechterverhältnisse, Gesundheit, Umwelt usw.) die Interessenkonflikte zugespitzt haben und stärker als früher auch öffentlich als Streit um die wissenschaftliche Evidenz ausgetragen werden, selbst dort, wo man recht viel weiß?

    In den Worten der Tabakindustrie: „Doubt is our product since it is the best means of competing with the ‘body of fact’ that exists in the mind of the general public. It is also the means of establishing a controversy.”

    2. Welches Verständnis von Wissenschaftskommunikation oder Kommunikation über Wissenschaft oder über Wissen steht hinter Formaten, „bei denen Bürgerinnen und Bürger mit Forschenden in den Dialog treten können“? Könnte es sein, dass das ein zu instrumentelles Verständnis von Wissenschaftskommunikation ist, vergleichbar dem, wenn Politiker sagen, wir müssen unsere Politik besser erklären, dann machen die Leute auch mit?

    3. Was bedeutet es, wenn auf medial aufwändigen Seiten wie „Wissenschaft im Dialog“ im Blog stets null Kommentare sind (https://www.wissenschaft-im-dialog.de/blog/)?

  2. Zu 1. Das Internet gestattet Menschen, die zuvor quasi im Verborgenen dahinschimpften o. mal einen geharnischten Leserbrief schrieben, und alles „Neue“ und alles, was ihnen unverständlich oder abstossend erschien, abzulehnen oder zu verdammen, sich sehr schnell zusammenzufinden, ohne sich je real begegnen zu müssen; es ist super einfach geworden, sich (obwohl nur oberflächlich) zu vernetzen und sich gegenseitig im Hass zu bestärken.

    Bisher wollte ja niemand „auf sie hören“; es spielt IMO die narzisstische Kränkung eine Rolle. Jetzt mit Internet hat jeder Hater schnell 10.000 Follower, wenn er oder sie zB gegen Muslime hetzt.

    Brutales Benehmen setzt sich so noch massiver durch gegen gemässigte oder lebensbejahende und freundlich-neugierige Stimmen. Ich erfuhr das neben anderem am Beispiel Feminismus; daß es misogyne Menschen gibt, war mir bereits vor 20 Jahren bewusst. Daß es eine gefährlich anwachsend zu scheinende Größe ist, die weder vor verbaler noch teilweise vor realer Gewalt zurückschreckt, hat mich in den letzten Jahren immer wieder erstaunt.

    Mit der scheinbaren Übermacht reaktionärer bis faschistoider Backlashes im virtuellen Leben wächst anscheinend das Selbstbewusstsein jener Menschen, die vor dem Internet eher nicht auffielen, auch im realen Leben, und es entstehen Netzwerke wie Pegida und schlimmeres.

    Genauer und detaillierter wird das im Buch „Das Internet muss weg“ von Schlecky Silberstein beschrieben, welches ich zur Zeit noch am lesen bin, und in dem ich manches lesen muss, das mir nicht bekannt war, obwohl ich dachte, ich wüsste über „das Internet“ gut Bescheid…

    Ich weiss nicht, wie Wissenschaftsverdrossenheit entsteht. Vielleicht aus Übersättigung o. Überforderung, vielleicht Desinteresse, vielleicht ist es das Unvermögen, in größeren und damit komplexeren Zusammenhängen zu denken (zu versuchen). Vielleicht gab es bei „Wissenschaftsverdrossenen“ nie ein Interesse an Wissenschaft und das tritt nun mit den Möglichkeiten des Internets nur deutlicher zu Tage.

    Mir sind einige Freundschaften daran zugrunde gegangen, daß vier, fünf Leute lieber ihre esoterischen Vorstellungen o. faschistoiden Weltbilder teilweise aggressiv verteidigten, als daß sie die Themen Antisemitismus, Homöopathie, Kornkreise und rechte Esoterik hinterfragt hätten (klar, sie sahen sich total im Recht). Die teilweise erstaunlichen Hassausbrüche dieser Menschen gegen Kritik an ihren Neigungen und Überzeugungen waren interessanterweise vehementer als ihre Neigungen und Überzeugungen an sich (nach meinem Verständnis, aber da kann ich mich aus Gutmütigkeit irren).

    Sie sahen sich jedenfalls in ihrer kompletten Individualität kritisiert, obwohl es um Anteile ihrer Neigungen und Überzeugungen ging. Vielleicht sind sie nicht in der Lage, da eine Trennung zu vollziehen. Und vielleicht ist es deshalb für sie „einfacher“, Kritik komplett abzulehnen, weil sie sich durch sie vernichtet sähen, bzw ihre Integrität, die vermutlich jedem reifen Menschen wichtig ist.

    Zu 2. „[…] ein zu instrumentelles Verständnis von Wissenschaftskommunikation ist, […]“ — Ja, könnte sein.

    Vermutlich spielt es auch eine Rolle, daß Wissenschaft zur Atombombe und Pestiziden führte, Entwicklungen, die das Individuum nicht beeinflussen konnte und kann. Die positiven Seiten der Wissenschaft wie zB gewaltige medizinische Fortschritte, Chemie im Alltag o. das schrittweise Verstehenlernen der Geschichte der Religion, Gesellschaft, Familie usw., um unser heutiges Leben zu begreifen, geraten aus dem Fokus.

    Zu 3. Keine Ahnung. Ich frag da ja auch nicht. Solche Seiten bieten mir ggf. einen Anreiz, bestimmte Bücher zu lesen, aber nicht, mich dort mit dummen Fragen (ja, die gibt es) zu blamieren – im Netz! Wo mich jede*r dissen kann! ;-)

  3. Es gibt auch andere Stimmen:

    „Der deutschen Wissenschaft geht es so gut wie nie zuvor.“

    https://www.zeit.de/2017/35/deutsche-wissenschaft-forschung-studien

  4. Bernd, das halte ich nicht für einen Widerspruch. Es kann den wissenschaftlichen Einrichtungen gut gehen, und trotzdem können gleichzeitig mehr Leute mehr Unsinn glauben.

    Zu „Wednesday“s Antwort hätte ich noch ad 2) zu ergänzen, dass ich denke, dass es für Bürgerinnen und Bürger wichtig ist zu sehen, dass WissenschaftlerInnen „Menschen wie du und ich“ sind, und dass das das Vertrauen in die Wissenschaft stärken kann.

    Da geht es bei ersten Begegnungen vielleicht weniger um Inhalte als ums Zuhören und sich Zeit dafür zu nehmen.

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