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Skepkon 2013: Pseudoverfahren in der Allergologie

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Wenn in den Medien von unseriöser Allergiediagnostik die Rede ist, dann geht es meistens um die Bestimmung von IgG-Antikörpern, mit denen manche Anbieter Patienten mit Nahrungsmittelallergien oder -unverträglichkeiten ködern.

Allerdings sind Nahrungsmittelallergien und Nahrungsmittelunverträglichkeiten nicht dasselbe – und eine IgG-Produktion gegenüber Nahrungsmittelproteinen gehört zur normalen Immunantwort und hat keinerlei Krankheitswert.

Aus diesem Grund bezeichnet das Deutsche Ärzteblatt die IgG-Diagnostik mit Nahrungsmitteln als „ohne Nutzen“.

Doch „zum Leidwesen vieler Allergologen“ (DocCheck) wird nicht nur für IgG-Tests zum Teil aggressiv geworben.

Auch eine ganze Reihe weiterer pseudomedizinischer Diagnostik- und Therapiemethoden suggerieren Allergiepatienten einen Vorteil gegenüber bewährten Verfahren.

Was es damit auf sich hat, darüber referierte Prof. Johannes Ring bei der Skepkon 2013.

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Ring ist Inhaber des Lehrstuhls für Dermatologie und Allergologie am Universitätsklinikum der TU München.

Davor arbeitete er unter anderem als klinischer Oberarzt und Leiter der Allergieabteilung an der Hautklinik der LMU München und war Direktor der Universitäts-Hautklinik und Allergieabteilung am Universitätskrankenhaus Hamburg-Eppendorf.

Der praktizierende Allergologe verbringt einen Großteil seiner Zeit mit Debatten über Für und Wider von unkonventionellen Methoden“,

sagte Ring bei seinem Konferenzvortrag.

Der Allergie-Experte machte dafür unter anderem „die Sehnsucht nach Wundern“ verantwortlich, aber auch mangelnde Reflexionsfähigkeit, wie sie sich beispielhaft in dem Satz „Wer heilt, hat recht“ ausdrücke.

Die Aussage „Wer heilt, hat recht“ sei ebenso unsinnig wie „Wer gewinnt, ist schön“.

„Scheuklappendenken“ liege einem Arzt, der auf dem Boden der Wissenschaft steht, indes völlig fern, stellte Ring klar.

Daher haben er und seine Fachkollegen neben klassischen klinischen Studien eine Reihe von sorgfältig angelegten Plazebo-kontrollierten Doppelblindstudien zu verschiedenen „unkonventionellen Verfahren“ selbst durchgeführt oder analysiert.

Unter anderem erhoben Ring et al. die „Inanspruchnahme alternativer diagnostischer und therapeutischer Verfahren bei allergischen Erkrankungen“ (2002) sowie die häufigsten unkonventionellen Methoden, die bei Allergiepatienten eingesetzt werden, und fragten nach deren Sinnhaftigkeit (2002).

Ein Überblick über die Ergebnisse findet sich hier, der Volltext der letztgenannten Studie („Komplementärmethoden oder sogenannte Alternativmethoden in der Allergologie“) hier.

Dabei ergaben sich keine wissenschaftlich haltbaren Wirksamkeitsnachweise für populäre „Alternativ“-Verfahren wie zum Beispiel Bioresonanz, Kinesiologie, Elektroakupunktur nach Voll, Eigenbluttherapie oder Homöopathie.

In einem Blog-Beitrag von 2012 beim Deutschen Zentralverein homöopathischer Ärzte zum Thema „Homöopathie bei atopischer Dermatitis (Neurodermitis)“ heißt es übrigens:

Betrachtet man die Studienlage zur Homöopathie bei atopischer Dermatitis, ergibt sich ein heterogenes Bild.

Studien der Charité Berlin aus dem Bereich der Versorgungsforschung (Outcomeforschung) zeigen eindeutig die Wirksamkeit der Homöopathie bei atopischer Dermatitis und anderen chronischen Krankheiten.

Randomisierte, placebokontrollierte Doppelblindstudien kommen dagegen generell seltener zu einem positiven Ergebnis für die Homöopathie.“

Das ist kaum verwunderlich, denn die Versorgungsforschung ist nicht dazu da, einen Effekt zu belegen, sondern beschäftigt sich mit der Kranken- und Gesundheitsversorgung und deren realen Rahmenbedingungen

In einer randomisierten, placebokontrollierten Doppelblindstudie zum atopischen Ekzem (2009) hatten …

… individualisierte homöopathische Arzneien [denn auch] keinen über Placebo hinausgehenden Effekt.“

Apropos Plazebo:

Interessant war, dass in der diagnostischen Aussagekraft die Kinesiologie sogar schlechter abschnitt als die Zufälligkeit eines Würfels“,

erklärte Ring weiter,

… sowie das Ergebnis einer Doppelblindstudie, bei der Plazebo eindeutig besser war als Verum. Einer der Autoren erhält noch Jahre nach dieser Studie Dankespost zu Weihnachten von Patienten der Plazebo-Gruppe mit der Aussage „Sie haben mich geheilt“.

Dieser „extrem hohe Bereich der Plazebo-Response“, der bis zu 70 Prozent  (in einer eigenen Studie mit oraler Hyposensibilisierung) reichen könne, sei bei vielen Studien auffällig gewesen:

Psychoneurologische Forschungen mögen diesen Befund der hohen Suggestibilität näher erforschen, die möglicherweise bei Allergikern stärker ausgeprägt ist als bei Normalpersonen.

Umstritten ist derzeit noch die Wertigkeit von Akupunktur bei der Behandlung von Allergiepatienten:

Sowohl in der Bekämpfung von experimentell-induziertem – bei gesunden Freiwilligen -, aber auch spontan entstehendem Juckreiz bei atopischem Ekzem fanden sich signifikante Effekte einer klassischen Akupunktur in einer Doppelblindstudie“,

erklärte Ring.

Daraufhin entspann sich mit dem Skepkon-Referenten Dr. Benedikt Matenaer („Akupunktur kritisch betrachtet“) eine Diskussion über das zugrunde liegende Studiendesign, in der Matenaer argumentierte , dass insbesondere patientenseitig keine eindeutige Verblindung gesichert werden konnte.

In einer aktuellen Studie (2013) zur Wirkstärke von Akupunktur bei saisonaler allergischer Rhinitis stufen die Autoren den klinischen Nutzen der Nadelung als „unklar“ ein.

Rings Fazit:

Wir schließen aus unseren Erfahrungen, dass die Suggestivkraft eines guten Arztes in der Behandlung von Patienten mit chronischen Erkrankungen nicht unterschätzt werden sollte. Als wissenschaftlicher Mediziner müssen wir den Plazebo-Effekt mitnehmen, auf den sich dann die bewiesene gesteigerte Wirksamkeit eines Verfahrens aufbaut.“

In der Auseinandersetzung mit sektiererhaft propagierten unkonventionellen Methoden helfe die Aussage:

Das ist wie Religion, und ich streite mit meinen Patienten nicht über Weltanschauung“.

Vor allem gelte:

Zuhören, nicht schimpfen!“

Der gute Arzt müsse offen sein und dem einzelnen Patienten gegenüber tolerant  – jedoch ohne die Bedeutung wissenschaftlicher Evidenz zu verleugnen – und seine Überzeugung von den positiven Wirkungen der von ihm vorgeschlagenen wissenschaftsbasierten Therapieoption glaubhaft vermitteln.

Bei der Frage nach Toleranz versus Billigung verwies Ring auf den philosophischen Text „Ist die Wahrheit intolerant?“.

Darin heißt es:

Die Toleranz benötigt ein Fundament der Wahrheit, wenn sie nicht der Intoleranz zum Opfer fallen will.“

Ring ließ keinen Zweifel daran, dass Wissenschaft die Basis unserer Erkenntnis ist – und nach Karl Jaspers der Verlust der Wissenschaftlichkeit zur Unmenschlichkeit führt.

Zum Weiterlesen:

  • Wirkt Akupunktur bei Heuschnupfen? skeptiker.ch am 1. Juni 2013
  • Komplementärmethoden oder sogenannte Alternativmethoden in der Allergologie, hautsache.de am 2. Juni 2008
  • Allergien: alternative Diagnostik & Therapie, gesundheit.de am 24. Februar 2012
  • Nahrungsmittelallergie und – unverträglichkeit: Bewährte statt nicht evaluierte Diagnostik, Dtsch Arztebl 2005; 102(27)
  • GWUP-Konferenz 2013: Alle Vorträge

 

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