Fortsetzung von Teil I und II.
„Warum falsche Therapien zu wirken scheinen” legte der kanadische Psychologe Barry L. Beyerstein in zehn Punkten im Skeptical Inquirer dar (September/Oktober 1997).
Eine Übersetzung (von Jan Schedel) findet sich in “Heilungsversprechen” (Alibri-Verlag).
Einige Auszüge:
4. Der Placebo-Effekt.
Ein Hauptgrund, warum Schein-Medikamenten subjektive und gelegentlich objektive Besserungen zugeschrieben werden, ist der allgegenwärtige Placebo-Effekt.
Die Geschichte der Medizin ist voll von Beispielen für Heilmethoden, die im Nachhinein als verrückt erscheinen, einst aber von Ärzten und Patienten gleichermaßen begeistert aufgenommen wurden. Falsche Zuschreibungen dieser Art entstehen aus der irrigen Annahme, dass eine Veränderung bei den Symptomen, die auf eine Behandlung erfolgt, eine spezifische Folge der Behandlung sein muss.
Durch eine Mischung aus Suggestion, Glauben, Erwartung, kognitivem Neuinterpretieren und Umleitung der Aufmerksamkeit erfahren Patienten, denen eine biologisch gesehen wirkungslose Behandlung verabreicht wird, oft eine erkennbare Erleichterung.
Einige Reaktionen auf Placebos bewirken tatsächliche Veränderungen im körperlichen Zustand. Andere bewirken subjektive Veränderungen, sodass der Patient sich gelegentlich besser fühlt, obwohl sich keine objektive Veränderung der eigentlichen Krankheit ergeben hat. […]
5. Einige angeblich geheilte Symptome sind psychosomatisch.
Eine bei allen Versuchen, die Wirksamkeit einer Therapie zu bestimmen, auftretende Schwierigkeit ist, dass viele körperliche Beschwerden sowohl aus psychosozialen Leiden entstehen als auch durch Unterstützung und Beruhigung gelindert werden können.
Auf den ersten Blick gleichen diese Symptome (die zu verschiedenen Zeiten „psychosomatisch“, „hysterisch“ oder „neurasthenisch“ genannt wurden) denen anerkannter Krankheiten. Es gibt zwar viele Vorteile (psychologischer, sozialer und ökonomischer Art) für die, die auf diese Weise in die Rolle des Kranken schlüpfen.
Dennoch müssen wir sie nicht der bewussten Simulation beschuldigen, um darauf hinzuweisen, dass ihre Symptome nichtsdestoweniger durch feine psychosoziale Vorgänge aufrecht erhalten werden.
„Alternative“ Heiler sind auf diese „besorgten Gesunden“ eingestellt, die irrtümlicherweise davon überzeugt sind, krank zu sein. Ihre Beschwerden sind ein Beispiel für Somatisierung, die Angewohnheit, psychologische Sorgen in einer Sprache auszudrücken, wie sie für die Symptome organischer Krankheiten verwendet wird. […]
6. Linderung der Symptome versus Heilung.
Neben der völligen Heilung bewerten kranke Menschen die Linderung von Schmerzen und Beschwerden am höchsten.
Viele angeblich heilende Behandlungen, die von Alternativmedizinern angeboten werden, beeinflussen zwar nicht den Verlauf der Krankheit selbst, machen aber das Unwohlsein erträglicher – allerdings lediglich aus psychologischen Gründen.
Schmerz ist ein Beispiel. Die Forschung zeigt, dass Schmerz einerseits ein Sinneseindruck ist wie Sehen oder Hören, andererseits ein Gefühl. Es wurde wiederholt herausgefunden, dass eine erfolgreiche Verringerung der Gefühlsseite des Schmerzes den Sinneswahrnehmungsanteil überraschend erträglich werden lässt.
Auf diese Weise kann Leiden oft durch psychologische Mittel verringert werden, selbst wenn das zugrunde liegende Krankheitsbild sich nicht verändert. […]
(Fortsetzung hier.)
Zum Weiterlesen:
- Michael Shermer/Lee Traynor (Hrsg.): Heilungsversprechen. Alternativmedizin zwischen Versuch und Irrtum (Skeptisches Jahrbuch III). Alibri-Verlag, Aschaffenburg 2000
- Homöopathische Omni-Potenzen, Esowatch-Blog am 17. Oktober 2011
19. Oktober 2011 um 10:47
Es ist sicherlich gut, skeptisch zu sein.
Aber:
– Spontanheilung: Wissenschaftlich ist die Existenz anerkannt. Die Mechanismen sind gänzlich unerforscht.
– Placeboeffekt: Die grundlegenden Auslöser sind nicht bekannt.Erst in diesem Jahr wurden Etats geschaffen, die Grundlagenforschung auf diesem Gebiet erlauben.
Der derzeitige, wissenschaftliche Stand über Heilungsmechanismen ist ziemlich lückenhaft. Und es könnte durchaus sein, dass psychologische Faktoren eine bedeutendere Rolle spielen, als bisher angenommen.
19. Oktober 2011 um 16:21
@Uwe:
Ihr „Aber“ verstehe ich nicht – in dem Beitrag steht doch wenig anderes als das, was Sie sagen?
<< Die grundlegenden Auslöser sind nicht bekannt. << Mag sein - aber man weiß, *dass* es funktioniert. Und allein das ist schon ein großer Unterschied zur Homöopathie, bei der es weder eine Wirkung noch einen Wirkmechanismus gibt.
19. Oktober 2011 um 17:03
@Bernd
Mein Beitrag sollte sicherlich keine Verteidigung der Homöopathie werden. Ich erkenne ebenfalls keinen Wirkmechanismus in „Hochpotenzen“.
Richtig ist aber auch, dass Homöopathie (wie andere alternative „Heilverfahren“) Placeboeffekte auslösen können.
Und für mich stellt sich deshalb einfach die Frage, weshalb, wissenschaftlich, nicht die verschiedenen Auslöser untersucht werden.
Anstatt Geld, Zeit und Intelligenz in den Beweis der Unwirksamkeit alternativen Methoden zu investieren. Denn, die Menschen, die an einen dieser Methoden glauben, werden sich überzeugen lassen.
19. Oktober 2011 um 18:50
@Uwe:
Nun ja, sicherlich, deshalb berichten wir auch regelmäßig, wenn es was Neues in Sachen Placebo-Effekt gibt, z.B.:
https://blog.gwup.net/2011/05/22/themenband-placebo/
Allerdings scheint das Ganze recht kompliziert zu sein, denn es ist weder per se gesagt, dass „Alternativ“-Medizin ein *guter* Trigger für Placebo-Effekte ist:
https://blog.gwup.net/2011/07/22/spontanheilungen-und-placebo-medizin/
Noch ist sicher, ob man diese Effekte überhaupt gezielt auslösen/nutzen kann:
http://www.scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/2011/10/placebos-sind-seltsam.php
Von der ethischen Komponente („Patienten-Betrug mit Schein-Medikamenten“) ganz abgesehen …