Ich hab’s versucht, ehrlich …
Mich durch die, äh, „Info“-Broschüre von impfkritik.de zum Thema EHEC („Die wahren Hintergründe einer erfundenen Seuche“) durchzukämpfen.
Nach wenigen Seiten dieses textgewordenen Hirnschlags habe ich – fast – aufgegeben.
Warum? Ein paar Kostproben:
Sterben die [Enterohämorrhagische Eschericha coli-] Bakterien ab, werden bestimmte giftige Substanzen – sogenannte Shiga-Toxine – frei, die nach Ansicht der Experten zuvor Teil des Bakteriums waren und unter anderem zu Blutmangel, blutigem Stuhl und Nierenversagen führen können. Dies ist jedoch nur möglich, wenn der Darm derart aus dem Gleichgewicht gebracht wurde, dass das E. coli nicht mehr überleben kann. Die wichtigsten Ursachen dürften hier falsche Ernährung und Medikamentennebenwirkungen sein.“
Hier beschleicht einen schon die vage Ahnung, dass die vorangestellte Warnung („Als Autor und Herausgeber dieser Schrift bin ich mir sehr wohl bewusst, dass ich unvollkommen bin und irren kann.“) sehr ernst zu nehmen ist.
Denn EHEC-Toxine werden nicht nur dann frei, wenn das Bakterium stirbt, sondern die Toxine werden auch aktiv freigesetzt.
Gut, kann ja mal passieren.
Aber wenn der Autor seine Leser schon explizit darum ersucht
Bitte prüfen Sie die enthaltenen Aussagen zumindest stichprobenartig auf Plausibilität.“
dann tun wir ihm doch gerne diesen Gefallen:
Auch aus schulmedizinischer Sicht [ist] eine Antibiotika-Behandlung im Rahmen einer EHEC-Infektion ein schwerer – und unter Umständen tödlicher – Kunstfehler. [Und ] über Kunstfehler spricht man nicht.
Aus dem Umfeld des städtischen Krankenhauses in Kiel, in dem kürzlich eine Frau nach einer EHEC-Infektion verstarb, wurde mir zugetragen, dass diese Frau mit Antibiotika behandelt worden war.“
Wow, da ist der Autor ja an echte Top-Secret-Informationen gelangt …
Oder er hat einfach die Webseite des Bayerischen Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit gelesen:
Eine antibiotische Behandlung von EHEC-Infektionen ist problematisch. Es wurde beobachtet, dass die Abtötung oder Schädigung der Erreger durch Antibiotika verstärkt EHEC-Giftstoffe freisetzt und das Krankheitsbild verschlimmern kann.“
Selbiges meldete die Deutsche Presse-Agentur (dpa) schon am 23. Mai.
Was nun immer in Kiel genau passiert ist: Dass Antibiotikagabe die HUS-Symptomatik verschlimmert, ist korrekt – aber deswegen kein Kunstfehler, der unter den Teppich gekehrt werden müsste. Denn zur primären Therapie (wenn noch nicht klar ist, was der Patient hat), wird bei FUO („fever of unknown origin“) häufig mit Antibiotika anbehandelt.
Spätestens ab Seite 4 geht’s denn auch vollends in Konspirologische über:
Der gegenwärtige Ausbruch bezieht sich jedoch hauptsächlich auf Erwachsene. Spätestens an diesem Punkt bin ich stutzig geworden: Ich habe in den letzten Jahren eine ganze Reihe von sogenannten Epidemien und Pandemien analysiert und sehe Parallelen z. B. zur sogenannten Schweinegrippe.
In Mexiko, wo diese Schein-Pandemie begann, waren den Behörden zufolge ebenfalls hauptsächlich junge Erwachsene erkrankt. Das gleiche gilt auch für den Schweinegrippe-Ausbruch von 1976 und die Spanische Grippe von 1918, beide in den USA. In beiden letzteren Fällen waren vor allem Kasernen betroffen, in denen kurz zuvor Massenimpfungen stattgefunden hatten!“
Ist das denn die Möglichkeit?
Im neuen Skeptiker findet sich eine kurze und prägnante Definition von Aberglauben:
Aberglaube [ist] nichts anderes als das vorschnelle Annehmen kausaler Zusammenhänge.“
Stimmt.
Und deshalb kommt unserem vernagelten „Impfkritiker“ auch nicht ansatzweise in den Sinn, dass Ausbrüche insbesondere in Gemeinschaftsunterkünften wie Kasernen a) der Enge des Zusammenlebens (eine Toilette für mehrere Personen) und b) mangelnder persönlicher Hygiene (Händewaschen nach Toilettengang etc.) geschuldet sind – und nicht etwa den „Massenimpfungen“.
Sowohl bei der Spanischen Grippe als auch bei der Mexikogrippe erklärt man sich den hohen Anteil junger Erwachsener zudem mit der fehlenden Immunisierung im Kindesalter (zum einen wegen Krieg, zum anderen weil der letzte H1N1-Stamm nicht mehr „aktiv“ war).
Und so weiter, und so fort.
An dieser Stelle wollte ich das Pamphlet eigentlich schon beiseite legen – aber irgendwie ist es mit dem wirren Schrieb wie mit einem Autobahnunfall auf der Gegenfahrbahn: grauenvoll, aber man muss einfach hinsehen.
Und tatsächlich hätte ich mich damit um die Schluss-Gags gebracht, zum Beispiel:
Alternative Therapien, wie z. B. hochdosierte Vitamininfusionen, die bei verschiedensten Infektionskrankheiten wahre Wunder wirken können, oder auch Homöopathika, kommen für „etablierte“ EHEC-Ärzte offensichtlich nicht in Frage.“
Zum Glück für die Betroffenen, mag man da nur anmerken, denn nach homöopathischer Lehre existiert EHEC gar nicht, wie der Blogger-Kollege von Piratenleben ausführt.
Natürlich darf auch der verschwörungstheoretische Zirkelschluss „Wer von einem Ereignis profitiert, muss es verursacht haben“ nicht fehlen.
Dass das Cui-bono-Argument stimmen kann, aber keineswegs zwingend ist, erklärt Skeptiker-Autor Lars Demuth unter anderem hier.
Wer sind nun die „Profiteure“ der „gegenwärtigen EHEC-Hysterie“?
Natürlich …
… die beteiligten Ärzte […], deren Karriere sicherlich nicht unter der gesteigerten öffentlichen Aufmerksamkeit und der einmaligen Chance zu publizieren, leiden wird. Da sind zudem die Hersteller von Labortests, die sich in einem rapide wachsenden Markt bewegen.“
Zum Schluss versteigt sich unser „Impfkritiker“ Hans Tolzin zu dem Appell:
Lassen Sie sich von Ärzten, Gesundheitsbehörden und sogenannten Experten kein X für ein U vormachen.“
Denn „die Behörden und Experten“ tun schließlich nichts anderes, als „Panik [zu] verbreiten und die Menschen in einem Zustand der Angst und Unwissenheit [zu] halten.“
Meint der gelernte Molkereifachmann, der sich anscheinend kurz vorm Medizin-Nobelpreis wähnt.
Im Epilog lässt Tolzin schließlich noch einen „Allgemeinmediziner“ schwurbeln, der sein Examen möglicherweise aus der Akasha-Chronik gechannelt hat:
Wenn in einem Land mit 80 Millionen Einwohnern hundert Menschen im Laufe einer Woche sterben, haben wir es innerhalb einer Woche mit einem Todesfall unter einer Million Menschen zu tun. Haben wir es also zahlenmäßig mit einer bedrohlichen Krankheit zu tun, über welche die Medien täglich berichten müssen?“
Zu einer ähnlichen Frage hat sich unlängst auch GWUP-Vorstandsmitglied und Lebensmittelchemiker Dr. Jochen Bergmann auf der Mitgliederliste der Skeptiker geäußert. Ein paar Auszüge:
Schauen wir mal, welche Informationen und Fragen es vor zirka drei Wochen gab:
- EHEC ist ein hochansteckender Erreger, der eine schwerwiegende Krankheit auslösen kann.
- Ob es sich um eine neue, besonders aggressive Variante handelt, war damals nicht klar.
- Betroffen sind roh verzehrte Gemüsesorten. Durcherhitzen oder andere übliche Haushaltstechniken scheiden damit zur Unschädlichmachung aus.
- Auch wenn andere ähnliche Erreger absolut betrachtet mehr Schaden anrichten, hat die aktuelle EHEC-Serie in relativ kurzer Zeit zu relativ vielen Erkrankungen und Todesopfern geführt.
Die Verbraucherschutzministerin hatte damit die Wahl auf einer Skala zwischen zwei Extremen:
- Einerseits nichts tun und an allgemeine Hygieneregeln erinnern.
- Oder andererseits vor dem Verzehr von rohem Gemüse warnen und alle verdächtigen Lieferungen vernichten.
Die eher an Sicherheit ausgerichteten Maßnahmen der letzten Wochen mögen übertreiben erscheinen. Es betrifft aber immerhin nur ein paar Tonnen Gemüse.
Auf der anderen Seite der Bilanz hätten vielleicht mehr Erkrankte und Tote gestanden. Dann wäre die Entrüstung groß gewesen über die Ministerin, die für die Landwirtschaftslobby Menschenleben und -gesundheit opfert.
Wenn man Nahrungsmittelqualität und Verbraucherschutz mit Leben füllen will, muss man gelegentlich entschieden vorgehen und etwas riskieren, was sich im Nachhinein als Überreaktion herausstellt.“
Hans Tolzin riskiert dagegen bloß, als Trottel da zu stehen.
Aber das ist er ja gewohnt.
13. Juni 2011 um 16:25
Über das Plausibilitäts-Argument habe ich mich auch schon in anderem Zusammenhang (auch EHEC, aber bezüglich der Milchkuh-Fütterung) geärgert. Ein hervorragendes Beispiel für eine plausible, aber faktisch völlig unsinnige Argumentation liefert Andreas Thiel:
http://www.youtube.com/watch?v=rmaCDoQa6b4
13. Juni 2011 um 19:31
Irgend wie kommt jedes Jahr etwas neues, entweder die Vogelgrippe, dann die Schweinegrippe. Wann hört das endlich auf? Wenn man es sich so überlegt, darf man nicht essen und nichts trinken. Man muss sich den eigenen Garten anschaffen und dann wird alles gut. Aber kann ja nicht dagegen ankommen und muss das alles mitmachen und abwarten bis es endlich vorbei ist.
14. Juni 2011 um 07:37
Wieso scheiden Durcherhitzen oder andere übliche Haushaltstechniken zur Unschädlichmachung des EHEC-Erregers aus, wenn doch (scheinbar nur) roh verzehrte Gemüsesorten betroffen sind?
Das leuchtet mir nicht so ganz ein. Wenn ich etwas Durcherhitze ist es doch eben nicht mehr roh.
14. Juni 2011 um 08:32
mich würde die Meinung der Skeptiker hierzu interessieren:
http://info.kopp-verlag.de/hintergruende/deutschland/udo-ulfkotte/ehec-raetsel-geloest-informationen-ueber-ein-geheimes-b-waffen-forschungsprojekt-der-bundeswehr.html
14. Juni 2011 um 08:36
@Schungit: Kennen Sie das Lied und die Bedeutung des Textes „We didn’t start the fire“ von Billy Joel? Es hört nie auf. Und Krankheiten sind normal.
14. Juni 2011 um 11:28
@ArnoNym:
Nun ja, was soll man dazu sagen?
Der Autor baut aus Zirkelschlüssen und nicht überprüfbaren „Geheiminformationen“ eine selbstimmunisierende Verschwörungstheorie wie aus dem Baukasten auf:
“ … Sicher ist demnach ….“
„… Und sicher ist zudem …“
Also folgt daraus, dass …
Das sind klassische argumentative Trugschlüsse, die einen zumindest stutzig werden lassen sollten:
http://www.univie.ac.at/linguistics/schreibprojekt/Grundlagen/6_4.htm
Dass Autoren, die beim Kopp-Verlag publizieren, nicht gerade für ihre Dignität bekannt sind, hatten wir auch schon öfter:
https://blog.gwup.net/2011/03/22/wie-gerhard-wisniewski-fur-panik-sorgt/
14. Juni 2011 um 11:30
@Grnsfrz: Das ist vielleicht missverständlich formuliert: Man müsste das eigentlich als Rohgemüse gedachte Zeug auf mindestens 70 Grad (im Inneren) erhitzen – was sicher möglich ist, wenn jemand auf verkochten Gemüsematsch steht.
14. Juni 2011 um 12:49
Ok, Danke, jetzt habe ich’s begriffen.
Formulierungsvorschlag (damit’s auch solche wie ich kapieren ^^):
„… Durcherhitzen oder andere übliche Haushaltstechniken scheiden damit zur Unschädlichmachung auf Produzentenseite aus.“
14. Juni 2011 um 14:31
@ArnoNym,
als Satire ist der Verlag immer gut, oder um sich einen Überblick zu verschaffen, was man sich so alles zusammenfriemeln kann, wenn man nur will. Mein Tip: einfach mal ein paar Freunde einladen und die Videos gemeinsam ansehen, das ist richtiges Kino. Ich frage mich nur, wer denen eigentlich den ganzen Unsinn finanziert. Ich vermute eine internationale Verschwörung ;-))
14. Juni 2011 um 15:33
@anonym und Bernd Harder:
ich finde es sehr aufschlussreich, das sich ein Ulfkotte gleich 2 (!) Verschwörungstheorien ausdenkt! Siehe Kopp-info:
Einmal die schwarzen Erntehelfer in Spanien, später die schwarzen Bakterienträger, die deutsche Soldaten bedrohen.
Was beide Ulfkotte-Phantasien gemeinsam haben:
Eine lantente Schwarzafrikaner-Xenophobie! Noch deutlicher kannn man eine rassistische Intension beim bastelen faktenfreier Verschwörungstheorien nicht offenbaren! Sehr aufschlussreich! und es passt zum braun-esoterischen Kopp-Verlag!
15. Juni 2011 um 10:03
Der Autor, der vorschlägt, EHEC mit Vitamininfussionen oder homöopathischen Mitteln zu behandeln, hätte nie den Mut, im Rahmen eines Selbstversuchs die Wirksamkeit dieser Methode unter Beweis zu stellen.
Die meisten Homöopathen scheinen nicht den Mum aufzubringen, ihr Leben und Gesundheit bei solchen Selbstversuchen aufs Spiel zu setzen.
16. Juni 2011 um 20:04
@Jahn W.
ne kenne ich nicht. Aber danke. Aber es muss doch irgendwann ein Ende haben, oder nicht?
18. Juni 2011 um 01:55
Nein. Nie.