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Kräutermedizin oder Fehlinformation?

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Von der Aufregung der letzten Tage über ein angebliches Verbot von Heilpflanzen war bereits in Scienceblogs und Wissenslog zu lesen. Das Gerücht vom Heilpflanzenverbot ist natürlich Unsinn. Science-Blogger Florian Freistetter bemerkt dazu zu Recht, dass man heute „mit der Angst der Menschen so gut wie alles verkaufen kann“. Ein Beispiel ist das von Prominenten wie Al Gore und Gordon Brown unterstützte Internet-Portal avaaz.org, das sich gern als unabhängig von der Industrie stilisiert und dennoch das Geschäft eines Industriesektors betreibt – auf Kosten des Patienten- und Konsumentenschutzes.

Tatsächlich löst die Lektüre der EU Richtlinie 2001/83/EG und der darin enthaltenen, in diesen Tagen viel diskutierten Richtlinie 2004/24/EG bei kritischen Denkern kaltes Grausen aus – allerdings aus völlig anderen Gründen, als uns die Panikmacher glauben machen wollen. Denn die Vorschriften setzen die Arzneimittelsicherheit für Präparate mit bestimmten Etiketten außer Kraft.  Dies geschieht durch Ausnahmeregelungen für „traditionelle“ Medikamente auf pflanzlicher Basis. Einen ähnlichen Sonderstatus genießen Homöopathie und anthroposophischen Medizin schon seit langem. 

Der Hintergrund: Die Richtlinie 2001/83/EG legt Qualitätsstandards für Medikamente fest, unter anderem durch die Forderung, die Wirksamkeit der Präparate zu belegen. Damit hätte man es bewenden lassen können. Doch an dieser Stelle setzte die Lobbyarbeit von Big Herb und Big Quack ein. Da sie wissen, dass sie nach wissenschaftlichen Kriterien die Wirksamkeit ihrer Präparate – sie „Medikamente“ oder Medizin zu nennen, wäre unredlich – nicht belegen können, brauchen sie Ausnahmeregelungen. Diese wurden nun in die Richtlinie aufgenommen. Für eine weitere Aushöhlung des Verbraucherschutzes sorgt Richtlinie 2004/27/EG . Wim Betz schreibt hierzu, bezogen auf die Homöopathie:

Die Verkäufer von HMPs dürfen nun sogar Krankheiten oder Symptome nennen, wenn es dafür eine „traditionelle“ homöopathische Anwendung gibt. „Angemessene Literaturangaben“ genügen als Beleg, ohne dass klar wäre, was genau das heißt.

Offiziell werden nun durch diese Richtlinien der Fehlinformation von Verbrauchern und Patienten lediglich gewisse Grenzen gesetzt, die sogar noch durch nationale Regelungen ausgehebelt werden dürfen. Den Betreibern von Avaaz.org ist auch das nicht genug: Dort wird gefordert, diese Grenzen gänzlich abzuschaffen. Sollte es so weit kommen, bräuchte es keinerlei objektiven Beleg mehr dafür,  dass diese heilig traditionellen Produkte halten, was sie versprechen.

Dass „traditionelle“ pflanzliche Mittel nicht immer ungefährlich sind, belegen Fälle aus Belgien, wo chinesische Kräutermischungen mit Aristolochia  schweres Nierenversagen bei Frauen auslösten. Der Stern zählt eine ganze Menge giftiger Pflanzen auf, bei denen äußerste Vorsicht geboten ist.

Umso mehr sollte klar sein, dass es bei Gesundheit und Patientenschutz keine Ausnahmen geben darf. Die Forderung nach einer vernunftgeleiteten Medizin bleibt ein Kernanliegen der GWUP. Die europäische Skeptiker-Dachorganisation ECSO hat dazu 1998 eine Resolution verabschiedet, die bis heute nichts von ihrer Aktualität verloren hat. Von so einer vernunftgeleiteten Medizin sind wir noch weit entfernt, wenn sogar die Eingrenzung der Irreführung von Patienten und Verbrauchern Petitionen auf den Plan ruft.

Zum Weiterlesen:

Ein Kommentar

  1. avaaz ist an sich ja durchaus eine vernünftige Institution. Nur eben, ähnlich wie die Huffington Post, in diesem Themengebiet eine absolute Niete.

    Ich habe dort bereits gemeckert. Es wäre nett, wenn Andere das auch tun.
    http://www.avaaz.org/de/contact (auf deutsch) oder
    http://www.avaaz.org/en/contact (auf englisch)

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