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Positiv denken gegen Krebs?

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Mit den Gefahren des verordneten Optimismus („Gute Laune auf Befehl“) beschäftigt sich ZEIT Wissen.

In dem Artikel geht es indes nicht nur um diese lästigen „Positiv-Denker“ à la Carnegie, Höller, Murphy und Co., die jedem Dorfplatzkicker eintrichtern wollen, dass er mit genug „Tschakaa“-Geschrei in der Fußball-Nationalmannschaft mitspielen kann. Sondern um echte Risiken:

Anfang 2009 erfuhr Inge Hufer, sie habe Lungenkrebs. Ein Teil des linken Lungenflügels wurde entfernt, eine Chemotherapie angesetzt. Was der Kölnerin aber nach eigener Aussage mehr Kraft abverlangte als die schmerzhaften Behandlungen, waren die zahlreichen Ermahnungen zum positiven Denken: Ärzte, Krankenschwestern, Freunde – alle hielten mir pausenlos vor, ich solle optimistisch sein, sagt Hufer.

Als sie vor einem ihrer Ärzte zusammenbrach, erklärte dieser, ihre Einstellung sei wenig hilfreich, und empfahl ihr die Lektüre von Carnegie. Der Erfolg des Buches ließ die Patientin damals aufhorchen. 2,8 Millionen Mal hat sich der Klassiker des positiven Denkens hierzulande verkauft, über 1000 Wochen war er auf den Bestsellerlisten zu finden. Ich dachte, wenn so viele das Buch gekauft haben, muss es helfen können, erzählt Hufer.“

Positiv denken gegen Krebs? Mit dieser Empfehlung haben wir uns schon vor acht Jahren im Skeptiker beschäftigt. Es ging um eine Studie im British Medical Journal zu der Frage, ob es einen Zusammenhang gibt zwischen psychologischem Umgangsstil und der Überlebenszeit von Krebspatienten beziehungsweise dem Wiederauftreten eines Tumors (Rezidiv). Die Ergebnisse erbrachten wenig, was für den Rat des o.g. Arztes sprechen würde:

  • Kampfgeist (fighting spirit): Es fanden sich 10 Studien zum Überleben, von denen nur 3 kleine Studien einen positiven Einfluss beobachten konnten. Zur Rezidivhäufigkeit fanden 3 kleine von insgesamt 4 Studien einen positiven Zusammenhang, die vierte größere Studie jedoch nicht.
  • Hilflosigkeit oder Hoffnungslosigkeit (helplessness, hopelessness): Hierzu wurden 12 Studien zum überleben identifiziert, von denen 2 eine Assoziation fanden. Die 5 Studien zur Rezidivneigung hatten inkonsistente Ergebnisse.
  • Verleugnung oder Vermeidung (denial, avoidance), also die Krankheit zu ignorieren oder nicht wahrhaben zu wollen: Von den 10 Studien zur „Verleugnung“ fand keine eine signifikante Beziehung zwischen Coping-Stil und Überleben. Die 5 Studien zur Rezidivhäufigkeit lieferten unterschiedliche Ergebnisse, wobei die positiven wiederum klein und von methodisch ungenügender Qualität waren. Das gleiche Bild ergibt sich für die Rezidivneigung, wo eine kleine von insgesamt 8 Studien zu einem positiven Ergebnis kam.
  • Stoisches Akzeptieren oder Fatalismus (stoic acceptance, fatalism): Hierzu wurden 9 Studien gefunden; keine der 4 Studien von ausreichender methodischer Qualität fand einen positiven Effekt. Für die Rezidivhäufigkeit ergab sich ein ähnliches Bild.
  • Ängstlicher oder depressiver Umgang (anxious coping/anxious preoccupation, depressive coping): Bezüglich des Überlebens wurden 10 Studien gefunden, auch hier waren die Ergebnisse uneinheitlich. Zur Rezidivhäufigkeit gab es keine positiven Ergebnisse.
  • Aktiver oder problemorientierter Bewältigungsstil (active or problem focused coping): Hierzu wurden 11 Studien gefunden. Eine kleine Studie zeigte einen positiven Effekt, eine große (mit 850 Patienten) methodisch sorgfältige Studie zeigte keinen Effekt. Bezüglich der Rezidivhäufigkeit konnte kein positiver Effekt gefunden werden.
  • Emotionale Faktoren, etwa gefühlsorientierter Umgang oder Unterdrücken von Gefühlen (emotional factors, including suppression of emotions and emotion focused coping): Hierzu wurden 6 Studien zum Überleben gefunden. Die beiden größten und methodisch sorgfältigen Studien ergaben widersprüchliche Ergebnisse.

Ähnliches findet sich in der Fachzeitschrift Psychotherapie im Dialog [2010; 11(2): 145-150]:

Psychische Faktoren tragen über ihren Einfluss auf den Lebensstil zur Entwicklung von Krebserkrankungen bei. Der direkte Einfluss psychischer Faktoren (Stress, belastende Lebensereignisse, Depression) auf die Entstehung von Krebs ist möglich, biologisch erklärbar, aber empirisch nicht gesichert [..]
Bisherige systematische Reviews und Metaanalysen können diese Zusammenhänge bislang nicht bestätigen, ihre Ergebnisse sind jedoch durch methodische Probleme eingeschränkt. Der Effekt psychotherapeutischer Interventionen auf den Verlauf von Krebserkrankungen ist nicht belegt.“

Auch mit dem Mythos, wie schön doch die Welt durch eine rosarote Brille aussieht, räumt der Zeit-Artikel dankenswerterweise auf. Fachleute warnen schon länger davor, dass der kurzfristigen Euphorie nach „Smile or Die“-Büchern und -Seminaren oftmals tiefe Ernüchterung bis hin zur Depression folgt.

„Positives Denken“ mit simplen Erfolgsformeln wie „Ich bin voller Kraft und Energie“ mag in einem kurzfristigen Stimmungs- und Motivationstief einen leichten Kick geben und die eigenen Potenziale in Erinnerung rufen. Bei echten Problemen aber hilft kein „Wünsche-werden-wahr-Training“. Ganz im Gegenteil.

Die „positivdenkerische“ Ausblendung und Verdrängung von Problemen trägt in der Regel zu deren Verschärfung bei, weil der Rat, alles positiv zu sehen, eine selbstkritische und objektive Auseinandersetzung mit der eigenen Lebenssituation unterbindet – und damit auch Lösungsansätze.

Die Zeit hat das schon früher mal schlicht „ein Paradies aus gedroschenen Binsen“ genannt.

Zum Weiterlesen:

  • Uwe Peter Kanning: Wie Sie garantiert nicht erfolgreich werden – Dem Phänomen der Erfolgsgurus auf der Spur. Pabst Science Publishers, 2007 (Rezension hier)
  • Günter Scheich: Positives Denken macht krank. Eichborn-Verlag, Frankfurt 2001
  • „Positives Denken“ in Kursbuch Seele, online bei „VIKAS – Psychotherapien auf dem Prüfstand“
  • Positives Denken nach Murphy, suite101 am 29. April 2008
  • Die Diktatur der guten Gefühle, suite101 am 10. März 2008
  • Meta-Analyse: Fördert psychologische Betreuung die Heilung nach der OP? journalMed am 22. Dezember 2010
  • „Ich mache Sie reich!“ Kostspielige Selbsttäuschung armer Seelen mit atomisiertem Ich, psychotherapie.de am 21. Juni 2001

3 Kommentare

  1. Hallo! Dass allein das positive Denken eine Heilung gegen Krebs hervorbringt, dürften wohl selbst die Ärzte und Pfleger rund um Inge Hufer nicht geglaubt haben. Insofern erstmal vielen Dank für den reißerischen Titel ;o)

    Die „mir scheint die Sonne aus dem A§%$&“-Fraktion finde ich sehr suspekt. Dass ein zu häufiges Auffordern zum Glücklichsein nerven und ins Gegenteil umschlagen kann, finde ich nachvollziehbar.

    Man darf in einer solchen Darstellung allerdings nicht den Nocebo-Effekt vergessen, also das Gegenteil. Ein Arzt, der Frau Hufer sagt „Sie sterben in 2 Monaten, machste nix dran, kaufen Sie einen Sarg!“ sorgt mit hoher Wahrscheinlichkeit für ein frühzeitiges Eintreffen genau dieser Diagnose. Insofern kann sich einfach nur die Darstellung der reinen Fakten negativ auf das Krankheitsbild auswirken. Dazu gehören eben auch Diagnosen von Ärzten und Erläuterungen von Nebenwirkungen (siehe Wikipedia-Artikel „Nocebo-Effekt“).

    Passt zum Thema: Bayern2-Podcast von IQ Wissenschaft und Forschung: „Nocebo – der dunkle Zwilling des Placebo“ http://cdn-storage.br.de/mir-live/bw1XsLzS/bLQH/bLOliLioMXZhiKT1/iLCpbHJG/uwQtsKFCuwJC/_2rc_U1S/_AJS/_-8p5K1S/uLoXb69zbX06/101207_1805_IQ—Wissenschaft-und-Forschung_Nocebo—Der-dunkle-Zwilling-des-Placebo.mp3

  2. Neue Studie aus Skandinavien:
    http://aje.oxfordjournals.org/content/172/4/377.abstract

    Zitat:
    „Results showed no significant association between [personality] traits and the hazard ratio for death after cancers at all sites, and they do not support the hypothesis that extraversion and neuroticism are direct risk factors for cancer or survival after cancer.“

    Dazu Artikel in der NY Times:
    http://www.nytimes.com/2011/01/25/opinion/25sloan.html

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