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Ökonomische und astrologische Prognosen

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Schon grotesk: Eine vorgebliche „Qualitätszeitung“ wie Die Welt entblödet sich nicht, ein Jahreshoroskop zu veröffentlichen, für das sogar die Vogue sich schämen würde. Und fragt aber zugleich den obersten Wirtschaftsberater der Bundesregierung:

Warum waren Ihre Prognosen so falsch, Herr Franz?“

Hmmm. Was wollen die Welt-Redakteure uns damit bedeuten? Dass wir künftig besser Astrologen und Hellsehern vertrauen sollten? Das wäre ein denkbar schlechter Rat, wie ein Blick auf den Wahrsagercheck des Mathematikers und GWUP-Mitglieds Michael Kunkel zeigt.

Oder dass Wirtschaftsprognosen von ähnlicher Qualität und Aussagekraft sind wie Kaffeesatzlesen? Darüber könnte man zumindest diskutieren. Und die ersten drei Fragen des Interviews mit dem Vorsitzenden der fünf Wirtschaftsweisen, Prof. Wolfgang Franz, gehen auch in diese Richtung:

Frage: Herr Franz, vor einem Jahr warnten Sie, der Aufschwung werde nicht kommen. Nun ist die Wirtschaft 2010 so stark gewachsen wie noch nie seit der Wiedervereinigung. Warum haben Sie sich so geirrt?

Franz: Es ist bekanntlich unmöglich, die Zukunft vorherzusehen, Sie erwarten von mir also Unmögliches. Trotzdem: Unmögliches wird sofort erledigt, Wunder dauern etwas länger! Im Ernst: Alle Prognosen beruhen auf Erfahrungswerten. Doch diese fehlten 2009, da die Finanzkrise und ihre Folgen für die deutsche Wirtschaft der Nachkriegszeit einmalig waren.

Frage: Zwischen Ihrer Vorhersage von 1,4 Prozent Wachstum für 2010 und der Realität von rund 3,7 Prozent liegt schon ein gewaltiger Unterschied!

Franz: Wir haben uns alle Ende 2009 mit Prognosen darüber schwergetan, wie es weitergeht. Für eine nächste Wirtschaftskrise dieser Art haben wir nun entsprechende Erfahrungswerte, so makaber das klingt.

Frage: Vor ein paar Tagen wurde ein Prognose-Ranking veröffentlicht, bei dem der Sachverständigenrat unter 48 Institutionen auf Platz 38 lag.

Wolfgang Franz: Die Prognosetätigkeit ist, im Vergleich zu dem, was wir als Sachverständigenrat an Ratschlägen und Analysen im Jahresgutachten anbieten, der kleinste Teil unserer Arbeit. Gleichwohl, ich will nicht darum herumreden: Wir haben uns geirrt, lagen bei dieser Krise jedoch noch besser als andere. Aber unter Blinden ist bekanntlich der Einäugige König.“

Nun ja, das klingt nicht gerade sehr überzeugend – aber mehr können und dürfen wir wohl nicht erwarten. Astro- und Prognosenexperte Michael Kunkel sieht das übrigens ähnlich.

Dieser Tage entspann sich auf der Mailing-Liste unserer Regionalgruppe Rhein-Ruhr eine Diskussion zu der Frage, was zum Beispiel wirtschaftswissenschaftliche Prognosen denn eigentlich von astrologischen Vorhersagen unterscheidet? Kunkels Antwort:

Die Güte und Treffsicherheit der Prognosen der Wirtschaftsinstitute wird regelmäßig von der Fachpresse beurteilt – warum sollte die GWUP sich hier einmischen? Hinzu kommt, dass solche Prognosen keineswegs beanspruchen, die Zukunft vorauszusagen. Es sind Abschätzungen auf Basis der vorliegenden Informationen aus der Vergangenheit und unter Berücksichtigung von Zukunfts-Szenarien für verschiedene volkswirtschaftliche Kenngrößen.
Diese Szenarien werden in den dazugehörigen (und viele Seiten umfassenden) Ausarbeitungen detailliert beschrieben und sind – selbstverständlich – als Meinung der jeweiligen Autoren gekennzeichnet. Deshalb unterscheiden sich die Prognosen der verschiedenen Institute ja auch voneinander.

Die Institute ändern und optimieren ihre Modelle laufend – wohl wissend, dass sie es niemals schaffen werden, ,perfekt passende‘ Prognosen zu liefern. Das müssen und wollen sie aber auch gar nicht, denn für eine erste Planung (und genau dafür benötigt die Politik solche Daten) reicht das allemal. Man muss allerdings regelmäßige Anpassungen an die Realität vornehmen.

Im privaten Bereich machen es die Menschen übrigens ähnlich: Wer ein Haus baut oder kauft und über Kredite finanziert, geht auch von dem normalen Szenario aus und nicht davon, dass er in einem Jahr seinen Job verlieren wird oder ähnliches. Falls dann doch etwas Negatives passiert, ist das Szenario hinfällig (umgekehrt bei einem Lottogewinn natürlich auch) und es müssen Anpassungen (Haus verkaufen? Teile des Hauses vermieten?) vorgenommen werden.

Das ist ein himmelweiter Unterschied zu den esoterischen Prognosen, denn diese behaupten ja tatsächlich, sie könnten in die Zukunft sehen. Die Wirtschaftsinstitute behaupten genau das nicht.“

Interessante Debatte. Müsste man bei Gelegenheit vielleicht mal vertiefen – etwa hier im Blog. Das Kommentarfeld ist offen!

Zum Weiterlesen:

  • Wirtschaftsprognosen – Blick nach vorn oder doch zurück? Panorama-Blog am 4. Januar 2011
  • Tücken der Konjunkturprognosen, FAZ am 29. März 2010
  • Falsche Prognosen: Warum Ökonomen so oft daneben liegen, Der Spiegel vom 25. März 2009
  • Warum Wirtschaftsprognosen niemals stimmen, Focus vom 26. Dezember 2008
  • Warum sind Wirtschaftsprognosen so oft falsch? FAZ am 22. Juni 2007
  • Ist die Standard-Volkswirtschaftslehre eine Pseudowissenschaft? Skeptiker 2/2009
  • Die Wissenschaft, die Wirtschaft und die Wirklichkeit, Skeptiker 2/2009
  • Prognosen: Ein Jahr voller Joker, Die Zeit am 6. Januar 2011

5 Kommentare

  1. Mich würde zuallererst mal interessieren, warum und wofür die Politik solche Prognosen braucht, wenn jeder weiß, dass sie eh nicht stimmen???

    Wenn „falsche“ Prognosen also regelhaft zu einer „falschen“ Politik führen – warum lässt man das Ganze dann nicht ganz schnell bleiben?

  2. Was wäre denn die Alternative? Würfeln? Dann doch lieber „Prognosen“ (die besser „Szenarien“ heißen sollten, wie oben von Hr. Kunkel bemerkt).

  3. Ein Grund könnte das Phänomen „Illusion der Kontrolle“ sein. Wir benötigen das Gefühl Dinge zu tun, weil wir einen Grund haben. Erklärungen helfen zu verstehen, Muster zu erkennen, das Gefühl zu vermitteln, es gibt einen Sinn oder macht Sinn, egal. Bei Wirtschaftsprognosen ist es sicherlich so, dass aufgrund der Modelle und Annahmen insbesondere der Vergangenheit auf die Zukunft geschlossen wird. Da man aber keine Experimente machen kann und die Parameter sich ständig, vor allem zukünftig ändern, fischt man irgendwie immer im Trüben. Worauf man sicherlich verzichten könnte wären Angaben von 1,7 % oder so, dann lieber gleich: zwischen 2 und 3 % aber das wäre den Politikern und Journalisten wieder zu schwammig.

  4. 1. Wenn die Zeitungen nicht nur den Punktschätzer, sondern auch die Konfidenzintervalle veröffentlichen würden, lägen die Prognosen nicht dermaßen daneben.
    2. Dass nicht bei allen alles Kaffeesatzleserei ist, sieht man im langfristigen Trend: http://www.ftd.de/wirtschaftswunder/index.php?op=ViewArticle&articleId=2550&blogId=10
    3. Für die Artikelliste:
    The Past, Present, and Future of Macroeconomic Forecasting
    von Francis X. Diebold, Journal of Economic Perspectives, 12, 175-192.

  5. @ Patch: Der FTD-Artikel sagt nichts über die Qualität der Prognosen aus, sondern nur, wer über einen relativ kurzen Zeitraum (9 Prognosen) besser getippt hat als seine Kollegen. Wichtiger wären hier die Prognosen und die tatsächlichen Ergebnisse verglichen mit einem bloßen Würfeln…. und da sähe das Ergebnis nicht sehr günstig für diese Glaskugelguckerzunft aus….

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