Klar, man kann das Thema „Homöopathie“ auch in drei kurzen Worten zusammenfassen, so wie hier.
Die Zeit gibt diese Woche (50/2010) immerhin zwei Doppelseiten aus für „Glauben und Globuli“. Doch auch dieser Beitrag im Ressort „Wissen“ (oder besser: die vier Einzel-Artikel) ist lesenswert.
Das Highlight ist wohl die ausführliche Widerlegung einer homöopathischen Standard-Ausrede:
Die Tatsache, dass unsere Präparate hervorragend bei Tieren wirken, ist ein Argument gegen den Placebo-Effekt“,
zitiert die Autorin Franziska Badenschier in ihrem Beitrag „Alles für die Katz?“ den kommerziellen Huschi-Fuschi-Produzenten Heel.
Ist es nicht. Tiere sprechen nämlich durchaus auf Scheinpräparate an:
Beim Menschen ist die Zuneigung durch den Arzt eine wissenschaftlich anerkannte Erklärung für den Placebo-Effekt. Das kann man auch auf Tiere übertragen“,
kommt etwa der Medizinpsychologe und Placebo-Forscher Manfred Schedlowski zu Wort. Außerdem:
Infektionen zum Beispiel laufen wellenförmig ab. Wenn man auf dem Höhepunkt der Infektion mit einer Therapie beginnt, dann wird sie von sich aus besser und nicht wegen des homöopathischen Medikaments.“
Wer das – wie zum Beispiel die Karl und Veronika Carstens-Stiftung – anders sieht, dem schlägt der Physiker Prof. Martin Lambeck schon seit einigen Jahren ein ebenso simples wie preisgünstiges Studiendesign vor. Einigermaßen rätselhaft, warum sich bis heute noch kein Tierhomöopath an dieses aufschlussreiche Experiment gewagt hat.
Möglicherweise deswegen, weil von den rund 250 veterinärhomöopathischen Studien in der Datenbank der Carstens-Stiftung gerade mal fünf auch nur halbwegs wissenschaftlichen Standards genügen, wie Badenschier herausfand. Und:
Das Ergebnis dieser fünf Studien fällt überwiegend negativ für die Homöopathie aus.“
Ähnliches gilt für die Humanmedizin:
Tatsächlich ist der Heilungseffekt der Globuli äußerst dürftig. Die Datenlage nach 200 Jahren Homöopathie und etwa 200 klinischen Studien ist eindeutig negativ, fasst der Alternativmedizinforscher Edzard Ernst zusammen.“
Dem haben Homöopathen üblicherweise nichts weiter entgegenzusetzen als ihre „persönlichen Erfahrungen“ – die indes nicht weiter hinterfragt werden und eine erschreckende Unkenntnis der Medizinwissenschaft offenbaren:
Für Curt Kösters, den zweiten Vorsitzenden des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte, ist es nichtsdestoweniger eindeutig, dass die Homöopathie Effekte hat. In seiner Praxis mache er immer wieder dieselbe Erfahrung: Ich gebe ein Mittel, und es tut sich nichts. Ich gebe ein zweites Mittel, auch das hilft nicht. Erst beim dritten Mittel verändert sich etwas, wird die Krankheit besser – dann aber in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Mittelgabe.
Was Gegner als zeitlich passende Spontanbesserungen erklären würden, wertet Köster als eindeutigen Wirknachweis, denn die Linderung sei reproduzierbar bei einem Rückfall.“
Was nun eine Symptomlinderung (die noch dazu bloß kurz anzuhalten scheint) mit Heilung zu tun haben soll, bleibt ebenfalls offen. Und angesichts dieser akuten Unfähigkeit von Homöopathen zur kritischen Selbstreflexion ihres Handelns tut der Hauptartikel „Glauben und Globuli“ gut daran, sich nicht in einem endlosen argumentativen Schlagabtausch zwischen Befürwortern und Kritikern der Homöopathie zu ergehen.
Statt dessen arbeitet Jan Schweitzer die sinnvolle Frage heraus, „was die Schulmedizin von ihr [der Homöopathie] lernen kann“. Zum Beispiel: „Menschlichen Kontakt, Empathie, Sympathie, Verständnis und einfach jemanden, der Zeit hat, zuzuhören.“
Das ist gewiss richtig. Und führt uns auf direktem Weg zurück zu einer Diskussion hier in diesem Blog, die sich an unserem Beitrag „Thema der Woche: Homöopathie“ entfachte. Im Kern ging es darum, wie „Placebo-Medizin“ am besten funktioniert – und ob sie überhaupt ethisch vertretbar ist.
Zitat aus dem Zeit-Artikel:
Homöopathisch arbeitende Ärzte sind geradezu Meister darin, solche Erwartungseffekte auszureizen. Es beginnt schon damit, dass der Patient für seine Therapie meist selbst in die Tasche greifen muss (noch ein Placebo-Effekt: Teure Medikamente wirken stärker als kostengünstige). Auch die Zeit, die sich viele homöopathische Ärzte nehmen, ist hilfreich.“
Weiterer Faktor: der „magische und spirituelle Touch“ der Homöopathie:
Das Geheimnisvolle, dass eigentlich keiner richtig erklären kann, wie sie wirken soll.“
Damit wäre gewissermaßen die größte Schwäche der Homöopathie zugleich eine ihrer größten Stärken. Aber stimmt das so? Nein, erklärt Edzard Ernst zum Schluss von „Glauben und Globuli“:
Wenn die Medizin sich wieder in das Gebiet der Glaubensbekenntnisse begibt, wäre das sehr betrüblich. Das haben wir eigentlich seit 50 Jahren hinter uns.“
Abgerundet werden die vier Seiten „Homöopathie“ in der Zeit von einem „Pro und Contra“. Bemerkenswert daran ist, dass dem „Pro“-Autoren eigentlich kaum etwas einfällt, was nun tatsächlich genuin für die Homöopathie sprechen würde.
Denn der Verweis auf diverse Schwächen der wissenschaftsbasierten Medizin und so manches „irrationale Motiv“ hinter einer kurzfristig lebensverlängernden Krebstherapie sagt nun einmal sehr wenig über den Nutzen von Homöopathie aus.
Für den „Contra“-Part ist die Sache dagegen eindeutig. Homöopathie sei
… eine Beleidigung der Vernunft.“
Zum Weiterlesen:
- Glauben und Globuli, Zeit-Online am 13. Dezember 2010
- Esoterische Medizin an deutschen Universitäten, GWUP-News vom 9. Dezember 2010
- Homöopathie im GWUP-Blog
- Simon Singh/Edzard Ernst: Gesund ohne Pillen – Was kann die Alternativmedizin? Hanser-Verlag, 2009
- Das müssen wir klären: Warum immer nur Edzard Ernst? Plazeboalarm am 14. Juli 2010
- Erfolge der Homöopathie – nur ein Placebo-Effekt? GWUP-Info
9. Dezember 2010 um 17:27
Wie üblich angenehm direkt und auf den Punkt… Make my day :)
9. Dezember 2010 um 21:24
Die Beiträge in der Zeit sind sehr gut. Schön, dass endlich mal klar gesagt wird, dass Tiere und Kinder nicht an Placebo glauben müssen, sondern auch diese für Zuneigung, Zuversicht und Vertrauen empfänglich sind. Sehr gut, auch die Forderung endlich mehr Zeit für Gespräche zu haben. Die 5-Minuten-Medizin ist der falsche Weg. Der unmündige, unkritische Patient der nichts hinterfragt sondern blind alles schlugt ist nicht das Ideal. Hier hat erwartet die Homöopathie die gleiche schweigende Gläubigkeit wie die Pharmaindustrie die auch möchte, dass wir blind vertrauen und alles schlucken.
Jedenfalls ein sehr gelungener Beitrag. Herzlichen Glückwunsch für die ZEIT Redaktion.
10. Dezember 2010 um 13:01
Professor Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer, gehört inzwischen zu den Förderern von pseudowissenschaftlicher Medizin..
Wie wird man Präsident dieser Organisation??? Wenn es durch eine Wahl geschieht, dann steht es schon ganz schlimm um die deutsche Medizin!!!
Wünsche mir auch in Österreich eine Zeitung wie die Zeit!
13. Dezember 2010 um 07:52
@ REALM
Anscheinend ist es mit den Medizin-Politikern nicht anders als mit denen in der übrigen Politik: Schon so lange aus dem eigentlichen Job draussen, dass man den wissenschaftlichen Anschluss längst verloren hat (in diesem Fall offenbar schon vor 50 Jahren ausgestiegen ist) oder ihn noch nie hatte…
13. Dezember 2010 um 15:16
Ist jetzt online: http://www.zeit.de/2010/50/Homoeopathie
18. Dezember 2010 um 12:20
Ich habe den „Beweis namens ‚Ich'“ von Jens Jessen auf meinem Blog kommentiert. Etwas zu lang für einen Kommentar hier, also klick: http://evidentist.wordpress.com/2010/12/17/ein-witz-namens-homoeopathie/