Dick und schwer wie ein Versandhauskatalog liegt sie am Kiosk – die Jubiläumsausgabe der deutschen Vogue. Anscheinend trägt der Teufel immer noch Prada. Auch nach 30 Jahren.
Schön, vielleicht gibt’s für uns Männer ja zumindest ein Fotoshooting mit Kate Moss.
Doch beim raschen Durchblättern der 730 Seiten fällt dann etwas ganz anderes ins Auge als schrille Close-ups des englischen Mager-Models: ein ganzseitiges Hochglanzinserat, das nur aus dem sauber kalligrafierten Schriftzug „25 Jahre bahnbrechende DNA-Forschung“ vor einem sternfunkelnden blauen All besteht. Darunter, wie eine Signatur: „Estée Lauder“.
Nun wäre mir neu, dass die 2004 verstorbene Kosmetik-Unternehmerin in ihrer Freizeit als Molekularbiologin reüssiert hätte. Doch potz Blitz: Tatsächlich finden sich in der weltgrößten medizinischen Datenbank PubMed 38 Einträge der „Estée Lauder Research Laboratory“, hat der Scienceblog Plazeboalarm recherchiert.
Eindrucksvoll. Ebenso wie das Interview in der Vogue mit dem Präsidenten der neuen Pflegelinie „Les Fleurs de Bach“ über Bachblüten als Kosmetikpräparat. „Wir haben herausgefunden“, erzählt da Monsieur Gérard Wolf aufgeräumt, „dass man die Blütenessenzen nicht unbedingt einnehmen muss.
Die wohltuende Wirkung erreicht man auch, wenn man entsprechend konzipierte Cremes oder Duschgels auf die Haut aufträgt.“
Toll.
Dagegen kann nicht mal der Axe-Effekt anstinken. Gibt es eigentlich auch homöopathische Kosmetik? Muss ich zuhause gleich nachschauen.
Doch das erübrigt sich. Denn am selben Tag finde ich die Fahnen der deutschen Ausgabe von „Bad Science“ des englischen Arztes und Journalisten Ben Goldacre in der Post – der Fischer Taschenbuch Verlag sei dafür bedankt.
„Die Wissenschaftslüge“ wird das Buch heißen und voraussichtlich ab Mitte Januar 2010 in den Buchläden stehen. Untertitel: „Wie uns Pseudo-Wissenschaftler das Leben schwer machen.“
Zum Beispiel „große, gut organisierte Forschungsteams aus internationalen Biotech-Firmen“, die sich als moderne Alchemisten für Kosmetikkonzerne verdingen. Ein ganzes Kapitel hat Goldacre ihnen gewidmet – und zwar eines der amüsantesten in seiner verdienstvollen Abrechnung mit dem galoppierenden Schwachsinn.
Teure Kosmetik – das kann man als einen „speziellen freiwilligen Tribut betrachten, den Menschen zahlen, die nicht so ganz begriffen haben, wie Wissenschaft funktioniert“, holt der Guardian-Kolumnist aus.
Und weil das so ist, können die Meister der Tiegel und Tuben unbedarfte Konsumenten mit Phantasiesemantik wie „Regenium XY Technologie“, „Nutrileum Komplex“ oder „Tenseur Peptidique Végétal“ hypnotisieren.
Oder eben mit „DNA-Forschung“ – mit bahnbrechender, versteht sich.
Die sieht dann so aus, erklärt Goldacre:
Valmont Cellular DNA Complex zum Beispiel arbeitet mit speziell aufbereiteter Lachsrogen-DNA.
Dabei ist es ausgesprochen unwahrscheinlich, dass DNA – ein wirklich sehr großes Molekül – über die Haut aufgenommen werden kann, und selbst wenn, dass sie überhaupt von Nutzen wäre für die synthetische Aktivität, die darin vor sich geht.
Denken Sie nach: Würde die Lachs-DNA tatsächlich im Stück von Ihrer Haut absorbiert werden, dann hätten Sie plötzlich fremdartige Baupläne in Ihren Zellen, genauer gesagt vom Fisch – also die Anweisung, um Fischzellen zu bauen, für die Sie als Mensch keinerlei Verwendung hätten.“
Kurzum, folgert Goldacre: die Kosmetikindustrie verkaufe die Weltsicht einer „Teen Talk Barbie“ von Mattel, die man mit einem süßen kleinen Sprachchip versehen hat, damit sie auf Knopfdruck Dinge sagen kann wie : „Mathe ist ganz schön schwer!“
Wie schon erwähnt: Auch die Vogue– Jubiläumsausgabe ist ganz schön schwer. Rein äußerlich. Da wünscht man sich doch glatt das gute alte „TAED-System“ aus der Waschmittelreklame der 1970er-Jahre zurück. Das gab’s nämlich wirklich. Und hat funktioniert.
Zum Weiterlesen:
- Ben Goldacre: Die Wissenschaftslüge. Wie uns Pseudo-Wissenschaftler das Leben schwer machen. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt 2010
12. Oktober 2009 um 21:15
Gegen Veröffentlichungen aus dem Hause Estée Lauder ist erstmal nichts einzuwenden. Dass diese Firma, wie viele andere Unternehemen auch, ausgesuchte Aspekte ihrer Forschungen in der Fachliteratur veröffentlicht, ist normal. Ihre Beiträge sollten aber natürlich genau so mittels peer review begutachtet werden wie alle anderen auch.
Da es sich bei Kosmetik nicht um mein Fachgebiet handelt, kann ich den Wert dieser Veröffentlichungen oder den Ruf der Zeitschriften, in denen sie erschienen sind, beim besten Willen nicht beurteilen. Auffällig an den Titeln ist aber, dass vieles davon nach Grundlagenforschung klingt (in-Vitro-Experimente, Ermittlung des „Hautalters“ anhand Computer-Auswertung von Photos,…) und nicht nach klinischen Studien über die Wirksamkeit von Hautcremes.
Das Ganze erinnert aber natürlich an die Eigenwerbung der „forschenden Pharmaunternehmen“. Wissenschaftliche Veröffentlichungen sind in gewisser Weise auch Werbung, so dass es mitunter weniger auf den Inhalt und mehr auf die Präsentation ankommt. Gut möglichm, dass es abseits von PubMed jede Menge halbseidener Paper und Konferenzbeiträge gibt, die halbwegs als „wissenschaftliche“ Veröffentlichungen durchgehen, deren Inhalt einer kritischen Prüfung aber nicht standhalten würde.