Wieder mal gibt’s Streit um die Homöopathie – so wie schon vor 175 Jahren, als die Huschi-Fuschi-Methode sich in Deutschland verbreitete. Der Würzburger Arzt und Politiker Gottfried Eisenmann entrüstete sich seinerzeit:
Solange die Hahnemanie in den Köpfen einiger Weniger spukte und etwa noch dem einem oder andern halbverhungerten Stiefsohne Äskulaps als Leiter zum Brotkorb diente, da ließ man sich die Sache gefallen. Doch nun ist die Narrheit zum Modeartikel geworden.“
Mit dieser unzweideutigen Einstellung zum Thema Homöopathie stand Eisenmann keineswegs allein.
In der reichen Handelsmetropole Nürnberg, wo der anämische Adel bei dem Homöopathen Johann Jakob Reuter ein- und ausging, tat sich insbesondere Medizinalrat Friedrich Wilhelm von Hoven als entschiedener Kritiker der Hahnemann-Jünger hervor.
Unter dem Pseudonym „Dr. Ernst Friederich Wahrhold“ brachte von Hoven 1834 die Schrift „Auch Etwas über die Homöopathie“ in Stellung. Daraufhin entspann sich ein gelehrter Disput zwischen den beiden Arzt-Kollegen, berstend von Sotissen und Gossip.
Einen Eindruck davon gab’s bei der Veranstaltung „Der Streit um die Homöopathie“ im Deutschen Medizinhistorischen Museum zu Ingolstadt, wo der Erlanger Medizinhistoriker Dr. Fritz Dross in die Rolle des Medizinalrats von Hoven/Wahrhold schlüpfte und Museumsdirektorin Prof. Marion Maria Ruisinger den Part des Johann Jakob Reuter übernahm.
In einer szenischen Lesung dokumentierten sie den historischen Schlagabtausch, der vor allem eines deutlich machte: „Dass es in 200 Jahren nicht gelungen ist, neue Argumente gegen die Homöopathie zu finden“, wie Dross nach dem Dialogstück feststellte.
In der Tat, denn die Repliken des Streitgesprächs klingen ziemlich heutig und seien im Folgenden auszugsweise wiedergegeben (Orthografie originalgetreu):
Wahrhold: Was gegen sie (die Homöopathie; Anm. d. Autors) zu sagen ist, ist längst gesagt. Sie ist wissenschaftlich geprüft, sie ist scherzhaft und satyrisch behandelt worden; ich könnte nichts thun, als das bereits Gesagte wiederholen …
Daß ihr Sturz nicht schon jetzt erfolgt ist, kommt lediglich daher, dass ihr Urheber nicht nur weit mehr versprochen hat, als die Urheber früherer Systeme, sondern auch besser, als jeder andere, die Leichtgläubigkeit der Menschen zu benutzen verstanden hat …
Wie viele Charlatans auch zu allen Zeiten aufgetreten sind, keiner, weder ein religiöser noch ein medicinischer, hat eine so große Rolle gespielt wie Hahnemann, kein Paracelsus, kein Cagliostro, kein Meßmer, kein Gaßner, kein Hohenlohe. Das waren nur Charlatans gewöhnlicher Art, er ist ein Charlatan in der höhern Potenz …“
Reuter: Keine Sylbe höre ich davon, daß jede homöopathische Arznei ein specificum gegen eine bestimmte Krankheitsform sey. Kann der Blinde fordern, daß man seinem Urtheile über die Farben glaube? Und in der That, Herr Doctor, Schriften von Homöopathen scheinen in ein nicht viel näheres Verhältniß zu Ihnen gekommen zu seyn, als die Farben zum Blinden.“
Wahrhold: Also noch einmal: die Homöopathen geben eigentlich gar keine Arzeneyen. Sie überlassen die Heilung ihrer Kranken lediglich der Natur … Daß eine so unsinnige, den ersten Grundsätzen der Physik, und selbst dem gesunden Menschenverstand zuwiderlaufende Lehre by Layen und Aerzten Beyfall fand, ist leicht zu begreifen. Sie ist auf die Unwissenschaft und Aberglauben berechnet, und was vermag bey den meisten Menschen mehr, als das Wunderbare, Unbegreifliche, Unsinnige?“
Reuter: Daß die Grundsätze der Physik auf lebende Körper nicht passen, ist schon von den Allöopathen ganz klar ausgemittelt und braucht von mir nur angeführt zu werden. Es ist daher kein Vorwurf für die Homöopathie, daß sie den Gesetzen der Schwere, der Optik entgegen ist. Es giebt noch viele Kräfte in der Natur, die wir bisher nicht ahneten. Wollen wir eine neuentdeckte Kraft deßwegen wegleugnen, weil sie in unsern Erkenntnißkreis nicht paßt?“
Wahrhold: Sie (die Homöopathie; Anm. d. Autors) ist eigentlich gar keine Heilart, denn welcher vernünftige Mensch kann glauben, daß der millionste oder gar der decillionste Theil eines Arzeneystoffes noch etwas bewirken könne?
Der Glaube thut Wunder, sagt man, und solche Wunder thut auch der Glaube an die Homöopathie … Ihre Tröpfchen, Pülverchen und Kügelchen nützen nichts, weil sie nichts nützen können. Helfen sie etwas, so geschieht es, weil die Kranken an ihre Wirksamkeit glauben. Diesen Glauben dem Publikum beyzubringen, ist die große Kunst der Homöopathen.“
Schließlich beschwor Reuter seine Gegner, nicht alles nach Gewicht und Maß zu beurteilen und die neue Heilmethode nicht voreingenommen theoretisch, sondern praktisch zu überprüfen. Und tatsächlich kam es daraufhin zu einem Experiment, das durchaus vergleichbar ist etwa mit der Kampagne „1023 – Homeopathy: there‘s nothing in it“ britischer Skeptiker von 2010.
Mehr noch:
Der „Nürnberger Kochsalzversuch“ gilt als erster Doppelblindtest der Medizingeschichte
Erst die Auseinandersetzung mit neuen, alternativen Heilverfahren wie dem Mesmerismus und der Homöopathie führte schließlich dazu, dass man Versuchsanordnungen ersann, die es in nie dagewesener Weise erlaubten, verfälschende Einflüsse auszuschalten, um so die Wirksamkeit der Medikamente beweisen oder widerlegen zu können“
schreibt der Würzburger Medizinhistoriker Prof. Michael Stolberg in einem Aufsatz im Katalog zur Homöopathie-Ausstellung „200 Jahre Organon“ im Deutschen Medizinhistorischen Museum.
Kurz zusammengefasst:
Am 19. Februar 1835 nahmen 55 Probanden im Gasthof „Zum Rothen Hahn“ in der Königstraße an dem Experiment teil, das die „Nullität“ der Homöopathie beweisen sollte. Die Probanden schluckten nach dem Vorschlag Reuters einige Tropfen einer dreißigfach „potenzierten“ Kochsalzlösung auf nüchternen Magen. Ein homöopathisches Standardwerk jener Zeit behauptete eine „15 bis 20 Tage anhaltende Wirkung“.
Und auch Johann Jakob Reuter selbst versprach den Teilnehmern, dass sie „etwas Ungewöhnliches darauf fühlen werden, auch ohne Glauben“.
Und wie ist er nun ausgegangen, der erste „Homeopathic Challenge“ anno 1835? Ernüchternd – für die Pro-Homöopathie-Fraktion.
Die große Mehrheit der Versuchsteilnehmer (42) gab an, nichts Ungewöhnliches in ihrem Befinden bemerkt zu haben. Von ihnen hatten streng doppelblind 19 das homöopathische Arzneimittel und 23 „normales“ Wasser eingenommen. „Die übrigen acht berichteten vor allem von leichten Unterleibsbeschwerden oder Erkältungen“, schreibt Stolberg weiter. „Fünf von ihnen hatten potenziertes Kochsalz und drei reines Wasser erhalten.“
Und doch: Das Ziel, die Öffentlichkeit von der Nichtigkeit der Homöopathie zu überzeugen und dem homöopathischen Treiben im Königreich und in Nürnberg selbst den Garaus zu machen, erreichten die Gegner nicht. Reuter avancierte nach Eigendarstellung gar zum „beschäftigtsten Arzt der Welt“ und protzte mit „täglich hundert Patienten“.
Das zeitgenössische Publikum wiederum sah sich „einmal mehr in der Überzeugung bestätigt, dass man ärztlichen Versprechungen gleich welcher Art am besten grundsätzlich mit gesundem Misstrauen begegnete“.
Den vollständigen Veranstaltungsbericht gibt’s im Skeptiker (3/2010).
16. Juli 2010 um 03:07
Interessanter Fund, danke. Ist wirklich spannend zu lesen, obwohl oder weil einem die Äußerungen tatsächlich auch aus heutiger Zeit bekannt vorkommen. Lässt befürchten, dass die Diskussion in weiteren 200 Jahren immer noch mit den gleichen Argumenten wie damals und heute geführt werden wird bzw. muss, nur mit weiter leicht veränderter Rechtschreibung.
16. Juli 2010 um 13:58
Vielen Dank für die historische Beleuchtung! Ich wusste, dass öffentliche „Überdosis“-Demonstrationen bereits vor der 10:30-Kampagne stattgefunden hatten – z.B. hat James Randi dies seit Jahren regelmäßig bei seinen Vorträgen gemacht -, aber dass es bis ins 19. Jahrhundert zurückgeht, war mir neu.
10:23 ist auch weiter aktiv – am 6. Februar 2011 wird es wieder eine öffentliche „Überdosis“ geben. Dann vielleicht nicht nur in UK und Australien, sondern auch in Deutschland – wir arbeiten daran.