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Vampyre ohne „Bis(s)“

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Heute startet der dritte „Twilight“-Teil: „Eclipse – Bis(s) zum Abendrot“. Mit den klassischen Vampirstreifen der legendären britischen Produktionsfirma „Hammer“ haben die pappsüßen Kitschfilme um den Kuschelvampir Edward Cullen nichts mehr gemein. Warum nicht? Wir sprachen mit der Psychologin Lydia Ewelin Benecke und dem Kriminalbiologen Dr. Mark Benecke, Autoren des Buches „Vampire unter uns!“

„Dracula“ war in Bram Stokers Erzählung von 1897 ein Erotomane auf dem Kreuzzug gegen die Tabus und Prüderie des viktorianischen Zeitalters – Liebhaber und Verführer, Blutsauger und Zerstörer. Liest man aktuelle Vampir-Romane, hat man das Gefühl, in einer Fotolove-Story der Bravo zu blättern.

Lydia Ewelin Benecke: Das ist richtig. Der Sunnyboy-Vampir Edward Cullen aus der „Bis(s)-Reihe zum Beispiel verkörpert nichts anderes als den klassischen Märchenprinzen. Er wird als überirdisch attraktiv dargestellt, ist moralisch hochstehend und stets um das Seelenheil seiner menschlichen Partnerin Bella besorgt, die er allzeit aus gefährlichen Situationen rettet. Ganz im Gegensatz zu „Dracula“, der als egoistisches, triebgesteuertes Wesen auftritt, christliche Werte verabscheut und die von ihm begehrte Frau Mina nicht beschützen, sondern besitzen will.

Mithin war der Vampir à la „Dracula“ eine subtile literarische Metapher für Sexualität. Heute scheinen die „Bis(s)“-Romane eher der Gegentrend zur viel zitierten Übersexualisierung der Gesellschaft zu sein.

Lydia Ewelin Benecke: Beide Romankonzepte bedienen die Grundbedürfnisse ihrer Zeit – und die sind in der Tat völlig gegensätzlich. „Dracula“ steht für das wilde, rücksichtslose Ausleben sexueller Bedürfnisse, symbolisiert durch das Beißen und Aussaugen. Edward dagegen tut alles, um seine blutlüsternen – also sexuellen – Triebe im Zaum zu halten. Beide, Dracula wie Edward, waren beziehungsweise sind Idole, besonders bei weiblichen Lesern. Möglicherweise hat das etwas mit Grundbedürfnissen zu tun, die in der Realität nicht befriedigend werden.

Welche Bedürfnisse treiben denn die „Fanpires“ von „Bis(s)“ und „Twilight“ um?

Lydia Ewelin Benecke: In der Vergangenheit fanden Wünsche nach Selbsterfüllung und sexueller Freiheit ihren Ausdruck in den Phantasien um die amoralische und zügellose Gestalt des Grafen Dracula. In unserer heutigen Gesellschaft haben glücklicherweise auch Frauen mannigfaltige Möglichkeiten zur Selbstentfaltung – im Beruf ebenso wie in Partnerschaft und Sexualität. Die Kehrseite dieser Entwicklung ist aber, dass Beziehungen oft eben nicht ein Leben lang halten und dass der konservative Traumprinz, der Sex, Treue, Romantik und Sicherheit gleichermaßen garantiert, eher ein Auslaufmodell ist.
Aus dieser Perspektive ist nachvollziehbar, dass ein Romanheld wie Edward, der seine Triebe im Griff hat und Sex nur in einer gefestigten Liebesbeziehung praktiziert, viele Leserinnen mehr anspricht als der hemmungslose Dracula – dessen Lebensstil in einer heutigen Großstadt vermutlich kaum mehr auffallen würde.

Dr. Mark Benecke: Das kann ich unterstreichen. Meiner Erfahrung nach handelt es sich bei den harten „Bis(s)“-Fans weniger um Menschen, die sexuell zu wenig erleben – das vielleicht auch –, sondern eher einen unerfüllten Wunsch nach vollkommener Nähe haben. Dieses Motiv wird durch das Vampirische nach wie vor bedient: ewige Liebe.

Das könnte man wohl durchaus positiv sehen – wenn die „Bis(s)“-Autorin Stephenie Meyer nicht gerade bekennende Mormonin wäre, die an der Brigham Young Universität im Mormonenstaat Utah studiert hat. Einer Institution, deren „Ehrenkodex“ unter anderem außereheliche und homosexuelle Beziehungen untersagt.

Lydia Ewelin Benecke: Ja, die Cullen-Familie in der „Bis(s)“-Reihe lebt im Einklang mit mormonischen Grundwerten. Der dreizehnte Glaubensartikel der Mormonen fasst diese Einstellung so zusammen: „Wir glauben, dass es recht ist, ehrlich, treu, keusch, gütig und tugendhaft zu sein und allen Menschen Gutes zu tun (…). Wenn es etwas Tugendhaftes oder Liebenswertes gibt, wenn etwas guten Klang hat oder lobenswert ist, so trachten wir danach.“
Damit steht der Lebensstil der Cullens in strengem Kontrast zu den anderen Vampiren, die „böse“ sind und ihre Triebe ohne Rücksicht auf Menschenleben ausagieren. Die Vampire in den „Bis(s)“-Romanen sind stereotype Figuren, rigide in Gut und Böse eingeteilt. Stephenie Meyers Botschaft ist mithin typisch für ihren mormonischen Glauben: Sündige Regungen müssen mithilfe starker moralischer Überzeugungen kontrolliert werden.
Andererseits ist die Idee, christliche Werte und Moralvorstellungen in eine Vampir-Geschichte zu verpacken, gar nicht so neu. Auch in Bram Stokers „Dracula“-Roman behalten die Werte, Normen und Institutionen der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung die Oberhand: Der Kampf gegen die verdrängten Triebe wird am Ende durch Draculas Vernichtung gewonnen.

Euer Buch „Vampire unter uns!“ möchte erklärtermaßen dem Vampir-Thema „ein wenig Real Life“ beigeben. Tatsächlich besteht die Vampir-Szene nicht aus jugendlichen „Bis(s)“-Fans. Was sind und tun „echte“ Vampire?

Dr. Mark Benecke: Echte Vampyre – das „y“ im Namen markiert den Unterschied zu den Vampiren aus Film und Literatur – sind eine zahlenmäßig sehr kleine Subkultur, die weltweit nur wenige tausend Anhänger hat. Es handelt sich um Menschen, die von Zwängen, Ängsten und manchmal auch Blutdurst oder Energiehunger getrieben werden. Das mag befremdlich klingen, aber ich kenne mehrere „echte“ Vampyre und finde sie sehr sympathisch.
Darüber hinaus halte ich sie, wenn sie sich – wie jeder andere auch – ihre Schwächen eingestehen, für durchaus entspannt. Niemand von den Vampyren findet die weichgespülten „Bis(s)“-Romane oder „Twilight“- Filme gut. Kein Wunder, denn bei den echten Vampyren geht es wie in allen „identity groups“ um viel tiefer gehende Seelenregungen.

Das vollständige Interview gibt’s im nächsten Skeptiker zu lesen, der voraussichtlich Ende August erscheint.

Zum Weiterlesen:

  • Vampire unter uns!, Edition Roter Drache, Rudolstadt 2009
  • Der wahre Vampir trinkt nur Blutkonserven, Die Welt vom 15. Juli 2010
  • „Die Zeit der Kuschelvampire ist angebrochen“, Die Welt vom 14. Juli 2010

Ein Kommentar

  1. Mein Lieblings-Podcast The Sceptics Guide to the Universe beschäftigt sich in seiner heutigen Show (die Liveaufzeichnung von TAM8) mit Energy-Vampires. Das fand ich interessant, weil das Thema auch kurz in Vampire unter uns! angesprochen wird.

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