Öffentliche und mediale Proteste. Ein offener Brief der Gesellschaft für kritisches Denken (GkD). Nominierungen für das Goldene Brett. Hohn und Spott. – Nichts konnte „die Feinstofflichen“, die 15 000 Energetikerinnen und Energetiker bei der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ), bislang kratzen.

Sogar einen Oberschamanen „Berufsgruppenobmann“ haben die Bachblütler, Kinesiologen, Aromatherapeuten, Ayurveden, Chakrenarbeiter, Cranio-Sacral-Balanceure, Feng Shuiten und Lomi Lomi Nuier, die von dieser Körperschaft des öffentlichen Rechts (vergleichbar mit der IHK in Deutschland) offiziell anerkannt werden.

Besagter Herr Lechner sieht sich  – wie auch? – nicht in der Lage, eine „scharfe Grenze zwischen der Esoterik und der Energetik zu ziehen“, ist aber gewiss, dass beides irgendwie etwas mit „Lebensqualität“ und „individuellem Glück“ zu tun hat.

Die Sicht der Wirtschaftskammer ist offenbar, dass die bloße Existenz von Nachfrage alleine bereits das Anbieten von Kursen für jedweden pseudowissenschaftlich fundierten Plunder rechtfertigt“,

merkt dazu Kritisch gedacht an.

Wunderbar, dachte sich die fabelhafte Mrs. MIR – und fasste spontan den Entschluss:

Ich werde Humanenergetikerin!“

Kein Problem, denn können muss man dafür überhaupt nichts:

Bezugnehmend auf Ihre Anfrage teilen wir Ihnen mit, dass das Energetikergewerbe ein freies Gewerbe ist. Das heißt, Sie benötigen keinen Befähigungsnachweis“,

bestätigte ihr die Wirtschaftskammer Niederösterreich auf Nachfrage (und fügte überaus fürsorglich den „Methodenkatalog Humanenergetik“ bei, der das Nobelpreiskomitee wahrlich zum Staunen bringen würde).

Also los ging’s:

Das schwierigste am neuen Job war das Ausfüllen des Formulars nach mehreren Gläsern Wein, bei 35 Grad hochsommerlichen Temperaturen. Sofort bestellte ich ein hübsches Messingtürschild:

Mrs. MIR – PRAXIS FÜR HUMANENERGETIK

Oh, wie klingt das geil! Da wird die Briefträgerin schauen!! Warum war ich nicht schon viel früher auf die Idee gekommen mir einen neuen Job zu kaufen der noch dazu so gut klingt?

Ich überlegte kurz, ob ich auch gleich den Job „Tierenergetikerin“ dazukaufen sollte, aber protzen ist nicht mein Ding.“

Ausgerüstet mit immerhin einem neuen Kugelschreiber, Manner Original Neapolitaner Schnitten, einer Glaskugel und

… weißen Wänden für die fehlenden Zertifikate, welche man nicht braucht, um als Humanenergetikerin arbeiten zu dürfen“,

empfahl sie sich im Internet.

Und dann passierte das Unglaubliche:

Eine „Berufsgruppe“, die in ihrem „Methodenkatalog“ allen Ernstes Scherzartikel wie

Hilfestellung zur Erreichung einer körperlichen bzw. energetischen Ausgewogenheit mittels Alohim Methode 21 Ebenen“

feilbietet, fand das überhaupt nicht lustig und schickte der neuen Kollegin einen geharnischten Brief, in dem etwas von „herabwürdigender Agitation“ und „diffamierenden Äußerungen“ daher schwadroniert wird.

Wie poetisiert der Herr „Berufsgruppenobmann der Energetiker“ auf der WKÖ-Homepage doch gleich:

Holz schwimmt auf Wasser, auch wenn Archimedes nicht geboren worden wäre.“

Und Bretter vorm Kopf sind auch dann offenkundig, wenn man sie nicht sieht.

Aber vielleicht bekommt die Wirtschaftskammer Österreich ja am 21. Oktober in Wien eines verliehen – sogar gülden.

Zum Weiterlesen:

• Mrs. MIR wird Humanenergetikerin, FSMoSophica am 3. Oktober 2015
• “Betrüger oder Idiot”: Prana-Verblödung am WIFI, Kritisch gedacht am 31. Oktober 2011
• Geistheilung am WIFI? Ein offener Brief von Krista Federspiel, Kritisch gedacht am 7. August 2008
• Ausbildung zum/zur Astrologen/-in, Kritisch gedacht am 7. November 2007
• Das Geschäft mit der Energie, kurier am 7. April 2013
• Interview mit Florian Aigner: Vorgegaukelte Seriosität, progress-online am 3. Oktober 2015
• Wirtschaftskammer Österreich, Esoterik und Energetik: Eine Begriffsdefinition und eine Nominierung zum Goldenen Brett, FSMoSophica am 1. Oktober 2015