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Ärztekammerpräsident regt „kleinen Zusatzbeitrag“ für Homöopathiepatienten an

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Der Präsident der Bundesärztekammer, der Allgemeinmediziner Klaus Reinhardt, regt einen „kleinen Zusatzbeitrag“ für Kassenpatienten an, die sich homöopathisch behandeln lassen wollen.

Der Rheinischen Post sagte er:

Ich wende Homöopathie nicht an, es gibt auch keine wissenschaftliche Evidenz, dass sie wirkt. Daher ist es nachvollziehbar, dass sie nicht aus den Beitragsmitteln der Krankenkassen bezahlt werden soll.

Kassenpatienten, die homöopathische Behandlungen wünschen, könnten aber einen kleinen Zusatzbeitrag zahlen und sich so den Zugang sichern.

Anfang dieses Jahres hatte Gesundheitsminister Karl Lauterbach angekündigt, die Erstattung von Homöopathie durch die gesetzliche Krankenversicherung zu beenden.

Seitdem hat man von seinem Vorhaben nichts mehr gehört – außer gelegentlichen Medienberichten über „Risse in der Ampel“ auch bei diesem Thema.

In der Tageszeitung Der Standard erklärt Prof. Edzard Ernst, die österreichische Medizin mache sich ob ihrer Homöopathieförderung „zum Gespött der restlichen Welt:

Wichtiger jedoch ist, dass es die Prinzipien der evidenzbasierten Medizin mit den Füßen tritt. Und noch wichtiger erscheint mir, dass die Österreichische Ärztekammer ihre ethische Pflicht gegenüber dem Patienten offenbar aus rein pekuniären Gründen vernachlässigt.

Allerdings gibt es auch in Deutschland nach wie vor wortstarke Proponenten der homöopathischen Quacksalberei, etwa den Münchner Medizinhistoriker Josef Maximilian Schmidt, der beim „77th World Homeopathic Congress“ Anfang Oktober in Sevilla die magischen Grundlagen der Homöopathie ernsthaft zur deren „einzigartiger Multidimensionalität“ verklärte und sie als „vorbildliche Heilkunst“ lobpries.

Gestern hat Edzard Ernst ihn dafür in seine persönliche „Alternative Medicine Hall of Fame“ aufgenommen.

Bei den „Grazer Fortbildungstagen“ der Ärztekammer für Steiermark referierte Ernst vor zwei Wochen über „Mythen in der sogenannten Alternativmedizin“. Einen Bericht darüber gibt es hier.

Zum Weiterlesen:

  • Is homeopathy in need of a philosophical and political reframing? No! … But my ALTERNATIVE MEDICINE HALL OF FAME has a new member, edzardernst am 1. November 2024
  • „Homöopathie ist bei keiner einzigen Krankheit belegbar wirksam“, derStandard am 30. Oktober 2024
  • Und wieder die homöopathische Lungenkrebsstudie: Ein paar „Korrekturen“ ändern nichts an der massiven Kritik daran, GWUP-Blog am 27. September 2024
  • Ärztepräsident fordert Zusatzbeitrag für Homöopathie, Rheinische Post am 2. November 2024
  • Homeopathy for Rheumatological Diseases: Complete Nonsense Masquerading as a Systematic Review, edzardernst am 2. November 2024
  • Kassenerstattung für Homöopathie vor dem Aus! Oder …? INH am 27. März 2024

12 Kommentare

  1. Am 13. November wird es eine öffentliche Anhörung des Gesundheitsausschusses zum Entwurf des Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (in der Fassung des 3. Referentenentwurfs, also ohne Streichung von Homöopathie aus den Kassenleistungen) geben.

    Anschließend wird der weitere parlamentarische Gang festgelegt.

    Da Minister Lauterbach mehrfach angekündigt hat, das Thema sei für ihn noch nicht vom Tisch und er werde es in den parlamentarischen Beratungen wieder zur Sprache bringen, werden wir ihn genau daran noch rechtzeitig erinnern.

    Dieses krampfhafte Festhalten an der Homöopathie aus rein politopportunistischen Gründen ist längst zu einem unwürdigen Schauspiel verkommen. Professor Ernst hat mit der Bewertung der Situation in Österreich ganz recht – und mit der hierzulande auch.

    Immerhin gibts in Österreich keinen Cent aus der Allgemeinen Versicherung für Homöopathie. Dort sind es laute Stimmen in der Ärzteschaft, die sich für unwissenschaftlichen Unsinn verwenden.

    Immerhin sind wir da schon weiter. Wir hoffen, dass sich Ärztepräsident Reinhardt noch an den Beschluss des Ärztetages vom 10. Mai d.J. erinnert, der der Homöopathie als regelhaftem Teil ärztlicher Praxis und Ethik den Stuhl vor die Tür gesetzt hat.

    Und – wenn die Politik nicht einmal dies zur Kenntnis nimmt, dann brauchen wir von Ratio und Wissenschaft in der Politik gar nicht mehr zu reden.

  2. Herr Reinhardt hat nette Ideen. Einen „Zusatzbeitrag“ für die Inanspruchnahme bestimmter Leistungen sieht die solidarische Krankenversicherung nach dem SGB V nicht vor – aus einsichtigen Gründen.

    Die Inanspruchnahme von Homöopathie ist schließlich kein versicherbares Risiko, sondern eine persönliche Präferenz. Hieraus erwächst ja auch die Kritik an den Selektivverträgen mit dem Zentralverein homöopathischer Ärzte, der die Zielsetzung der Selektivverträge auch komplett verfehlt.

    Wer sich auf einen solchen „Zusatzbeitrag“ einließe, würde die Gegenleistung wohl auch (so viel wie möglich) in Anspruch nehmen. Wie sollte das in einem System solidarischer Versicherung abgebildet werden?

    Der bürokratische Aufwand für so etwas wäre vermutlich so hoch, dass die Kassen auch gleich bei der Erstattung per Satzungsleistung bleiben könnten. Und Herrn Reinhardt entgeht die eigentliche Intention, weshalb die Kritiker sich gegen jegliche Art von Kassenerstattung für Homöopathie wehren: nämlich dass dadurch die falsche Reputation der Methode als „wirksame Medizin“ weiter gestärkt wird.

    Ich weiß inzwischen nicht mehr, wie oft ich schon erläutert habe, dass der pekunäre Aspekt bei der Sache eine absolute Marginalie ist. Herr Reinhardt soltlte wirklich einmal den Beschluss des Ärztetages vom 10. Mai nachlesen, der unter seinem Vorsitz gefasst wurde.

    „Seine“ Landesärztekammer Westfalen-Lippe ist übrigens eine der wenigen, die sich immer noch nicht zu einer Streichung der „Zusatzbezeichnung Homöopathie“ in der Landesweiterbildungsordnung verstehen konnten.

  3. @Informationsnetzwerk Homöopathie

    Was sind die politopportunistischen Gründe, von denen Sie sprechen?

    Wenn die Homöopathie morgen als Leistung aus der gesetzlichen Krankenversicherung gestrichen und im weiteren Verlauf das Arzneimittelgesetz geändert wird, erscheint dies dann auf der Titelseite der Zeitung mit den vier großen Buchstaben, gibt es einen homöopathischen Sturm auf den Bundestag, verlieren die Grünen in BW ein paar Stimmen, müssen dann allgemeinmedizinische Praxen schließen? (Das Letzte wäre wirklich ein Problem.)

  4. Was ist mit „Zusatzbeitrag“ gemeint? Die Wiedereinführung der unter Spahn wegen mangelnder Nachfrage gestrichenen Wahltarife (https://scienceblogs.de/gesundheits-check/2019/03/16/nochmal-tsvg-75-000-fuer-562/)?

    Oder eine andere Variante von mehr Kassenbürokratie, die man dann wieder beklagt?

    Ein „kleiner“ Zusatzbeitrag hat bei dem Thema jedenfalls humoristisches Potential.

  5. @Carsten Ramsel:

    Die „politopportunistischen Gründe“ reichen von der Standortpolitik Baden-Württembergs über die Rücksichtnahme auf „Altgrüne“ in deren Partei bis hin zur allgemeinen parteiübergreifenden Befürchtung, man würde allzu viele Wähler verprellen.

    Genau damit wird man vor dem 3. Referentenentwurf zum GSVG Herrn Lauterbach „überzeugt“ haben, die Streichung der besonderen Therapierichtungen aus dem SGB V fallen zu lassen.

    Was die Zeitung mit den vier Buchstaben betrifft, so sei daran erinnert, dass sie anlässlich der Vorlage des 2. Referentenentwurfs im Januar, der die Streichung im SGB V umfassend vorsah, regelrecht in Begeisterung ausgebrochen ist.

    In Übereinstimmung mit einem durchaus allgemeinen positiven Presseecho.

    Dass Praxen in BW schließen müssten, das glauben wir nicht. Vordergründiger ist eben die „Standortpolitik“, aka das Arbeitsplatzargument. Dafür gibts immerhin das Beispiel des weltweit größten Homöopathieherstellers, Boiron in Frankreich, der tatsächlich nach dem Ende der Kassenerstattung ab 1.1.2021 Produktionsstätten geschlossen hat.

    Der Blick der Homöopathielobbyisten dürfte aber noch mehr nach England und Spanien gehen. Es wird ja auch immer vermutet, dass nach dem Ende einer Kassenerstattung der Umsatz an Homöopathika nicht wesentlich zurückgehen würde. Ohnehin besteht ja der Umsatz an Globuli und Co. zu gut vier Fünfteln hierzulande aus Käufen „over the counter“, also ohne therapeutische Konsultation und ohne Rezept.

    England und Spanien zeigen allerdings, dass der Wegfall der Kassenerstattung zu einer regelrechten Marginalisierung des Homöopathe-Umsatzes geführt hat.

    Insofern: Schwer zu prognostizieren. Immerhin ist der Gesamtumsatz in England und Spanien auch weitaus geringer als in Deutschland. Aber klar dürfte sein: Es geht der Homöopathielobby nicht in erster Linie ums Geld und auch nicht um das Wohl der PatientInnen. Es geht ihnen um den Reputationsverlust, den eine Streichung der Homöopathie in SGB V und womöglich auch im AMG mit sich brächte.

    Denn die gesetzliche Adelung ist schlicht der entscheidende Punkt fürs Renommee. Ob die deutschen Fans sich weniger beeindruckt zeigen würden als die in England oder Spanien, das wagt niemnd vorherzusagen.

  6. Der Herr Schmidt erklärt, warum man sich 2024 noch mit Homöopathie beschäftigen sollte:

    Die Schwierigkeit besteht heute darin, aus diesem Mitieu der kurzsichtigen und naiven „Faktencheckerei“ der lnformationsgesettschaft qualifizierten Nachwuchs zu rekrutieren, der sich dafür begeistern lässt, sich in den Dienst einer großen und edlen Aufgabe zu stellen, um später nicht irgendeinen Job, sondern Heilkunst at its best zu betreiben.

    https://epub.ub.uni-muenchen.de/122088/

  7. Diese Menschen erzählen einfach die „schöneren“ Geschichten, s. der ORF und seine Astro-Sendung.

  8. Schön, daß Herr Schmidt dies als gut alimentierter Professor an einer der größten öffentlichen Universitäten Deutschlands auf Kosten der Allgemeinheit tun kann. Auch ich würde gerne den lieben langen Tag in meinem Büro sitzen wollen und Hirngespinsten nachjagen.

    Obwohl, eher doch nicht, denn dann könnte ich mich nach Feierabend nicht mehr selbst im Spiegel betrachten.

    Ein wenig mehr ad hominem: Was um alles in der Welt produziert dieser Mensch denn für ein erbärmliches Zeug? Wo ist er bloß falsch abgebogen?

  9. @ borstel:

    Herr Schmidt gehört nicht zur Gruppe der „gut alimentierten Professoren“. Er hat eine Apl.-Professur, ob er überhaupt auf einer bezahlten Stelle sitzt, weiß ich nicht.

  10. @ Joseph Kuhn

    So, wie er agiert, wird er hoffentlich absehbar keine planmäßige Professur erhalten. Danke für die Aufklärung!

  11. @Joseph Kuhn

    Wenn ich richtig informiert bin, wird eine Apl.-Professur von einer Fakultät verliehen. Also muss es Professoren in einer Fakultät geben, die dem Herrn grundsätzlich professorale Fähigkeiten und Meriten zuschreiben. Dies finde ich befremdlich. Oder hat jemand der Fakultät Geld gespendet und dafür eine Gegenleistung bekommen?

  12. @ borstel:

    Keine Angst: Für eine ordentliche Professur an einer Universität ist er viel zu alt.

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