Es klingt erst einmal seltsam:
Gerade hat Spiegel-Online zu Recht mal wieder „das Geschäft mit dem Blutgruppen-Wahn“ gegeißelt – da melden Welt, Süddeutsche und andere Medien, dass die Blutgruppe anscheinend das Herzinfarkt-Risiko beeinflusst:
Für ihre Untersuchung hatten Forscher der Harvard School of Public Health Daten der US-amerikanischen Nurses Health Studie und der Health Professionals Studie ausgewertet.
Im Rahmen dieser Erhebungen wurde der Gesundheitszustand und Lebensstil von 62.073 Frauen und 27.428 Männern über 20 Jahre hinweg verfolgt. Die Wissenschaftler prüften in den Daten, ob es blutgruppenbedingte Unterschiede in der Anzahl der Herzinfarkte bei den Probanden gab.
Andere Risikofaktoren wie Ernährung, Alter, Gewicht oder das Rauchen wurden in den Vergleichen berücksichtigt.
Die Auswertung ergab, dass Probanden mit der Blutgruppe 0 am seltensten einen Herzinfarkt erlitten. In Deutschland gehören nach Angaben des Deutschen Roten Kreuzes 41 Prozent zu dieser Gruppe. Ihnen gegenüber hatten Träger der Blutgruppen A oder B in der Studie ein fünf beziehungsweise elf Prozent höheres Risiko.
Besonders gefährdet seien aber Menschen mit der seltenen Blutgruppe AB, berichten die Forscher. Bei ihnen sei das Infarktrisiko 23 Prozent höher als bei der Blutgruppe 0. Die Blutgruppe AB tragen rund fünf Prozent der Deutschen.“
Die Erklärung für diesen Effekt sei unklar, schreibt die Süddeutsche:
Sie hätten die biologischen Mechanismen hinter diesen Zahlen noch nicht untersucht, erklären die Forscher. Es gebe aber Hinweise darauf, dass die Blutgruppe A häufig mit einem leicht höheren Gehalt des sogenannten Low-Density-Cholesterins (LDL-Cholesterin) verbunden sei. Dieser Cholesterintyp fördert die Arteriosklerose.“
Zunächst einmal:
Die Beziehung zwischen ABO-Blutgruppen und Koronarkrankheit ist bereits seit langem bekannt, wurde bislang aber kaum beachtet. Erst sogenannte Genomweite Assoziationsstudien fokussieren zunehmend auch auf diesen Aspekt.
Kurz zusammengefasst:
Die methodischen Fortschritte der letzten Jahre haben es möglich gemacht, das gesamte Genom des Menschen nach krankheitsassoziierten Genen abzutasten. Solche genomweiten Assoziationsstudien (GWAS) haben zur Identifizierung von mehr als 20 Genorten geführt, an denen häufige genetische Polymorphismen (Sequenzvariationen) das Risiko für die Koronare Herzkrankheit modulieren.
Diese Erkenntnisse ermöglichen neue Einsichten in die Pathogenese der Atherosklerose und sollen künftig neue Therapieansätze hervorbringen sowie zur Individualisierung der Behandlung beitragen.
Was hat das nun mit der Blutgruppe zu tun?
Die Blutgruppe eines Menschen wird durch ein Gen auf Chromosom 9 vererbt, das sogenannte ABO-Gen. Folglich heißt dieser Genort (also die physische Position eines Gens im Genom) „ABO-Lokus“.
Der ABO-Lokus wiederum hat bekanntermaßen Einfluss auf die Konzentration des von-Willebrand-Faktors (das Trägerprotein eines wichtigen Blutgerinnungsfaktors) und steht fernerhin mit dem Cholesterinstoffwechsel in Verbindung.
Und just während ich das hier schreibe, erscheint parallel dazu ein weiterer Artikel bei Welt-Online, der genau da ansetzt, wo ich gerade weitermachen wollte:
Wie genau die Blutgruppe mit dem Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen zusammenhängt, das weiß man zwar noch längst nicht. Aber es kursieren immerhin schon einige Hypothesen.
So gäbe es Hinweise, dass die Blutgruppe A mit einer Erhöhung des „schlechten“ Cholesterins einhergehe, dem sogenannten LDL. Dass ein erhöhtet LDL-Spiegel das Herzinfarktrisiko maßgeblich steigert, ist schon lange bekannt.
Darüber hinaus seien die Entzündungszeichen bei den Blutgruppen A, B und AB erhöht, was zusätzlich zur Entstehung der Arteriosklerose beitragen könnte. Eine letzte Hypothese zielt dagegen auf eine ganz bestimmte Eigenschaft ab, die man dem Blut der Gruppe 0 nachsagt.
Es soll nämlich weniger vom sogenannten Von-Willebrand-Faktor enthalten – ein Protein, das zur Blutgerinnung beiträgt. Personen mit der Blutgruppe 0 würden deshalb weniger häufig Blutgerinnsel entwickeln.“
Allerdings muss man dazu sagen, dass der ABO-Lokus wohl etwas mit KHK zu tun hat, für sich genommen aber zu den schwächeren Prädiktoren zählt. In der Praxis verwenden kann man den Befund nur in Kombination mit den ganzen übrigen Loci für die Koronare Herzerkrankung, in Form eines Genetik-Risk-Scores.
Das ist soweit echte Wissenschaft. Der angebliche Einfluss der Blutgruppe auf Charakter oder Ernährung ist dagegen lupenreine Pseudowissenschaft.
Über den Unterschied haben wir heute morgen schon hier gesprochen.
Zum Weiterlesen:
- Large-scale association analysis identifies 13 new susceptibility loci for coronary artery disease, Nat Genet. 2011 Mar 6;43(4):333-8.
27. Oktober 2015 um 08:27
Super spannender Beitrag zu den Blutgruppen – Danke dafür! Was ich mich während des Lesens fragte ist, ob es für bestimmte Blutgruppen auch andersweitige Medikamete gibt. So müssten doch theoretisch AB-Blutgruppen ein „stärkeres“ Medikament bekommen, sofern man das so einfach sagen könnte…?!