Das Leben von Joe Nickell Leben war so facettenreich, dass es sich nicht annähernd in einem einzigen Artikel fassen lässt. Auf Wikipedia heißt es zu seiner beeindruckenden Karriere:
Nickell worked professionally as a stage magician, carnival pitchman, private detective, blackjack dealer, riverboat manager, university instructor, author, and paranormal investigator, and he lists more than 1,000 personae on his website.
Der promovierte Literaturwissenschaftler schrieb die Kolumnie Investigative Files für den Skeptical Inquirer, verfasste zahlreiche Bücher, wurde mit mehreren Preisen der Skeptikerbewegung ausgezeichnet und war Senior Research Fellow beim Committee for Skeptical Inquiry (CSI).
Bekannt wurde Nickell vor allem als Investigator – durch seine akribischen Untersuchungen paranormaler Phänomene. Der Skeptic schreibt über ihn:
During his life, Joe had more adventures and investigated more mysteries than most avid readers will encounter in a stack of their favourite books.
Er war unter anderem daran beteiligt, das sogenannte „Jack the Ripper Diary“ von James Maybrick als Fälschung zu enttarnen und widmete sich der Untersuchung des Turiner Grabtuchs.
Am 4. März verstarb Joe Nickell im Alter von 80 Jahren. Sein Tod hinterlässt eine große Lücke in der Skeptikerbewegung. Im Gedenken an ihn werfen wir einen Blick auf einen kurzen Auszug seines Wirkens.
Auch in den DACH-Staaten ging Nickell auf mehreren Reisen seiner investigativen Arbeit nach. Im Oktober 2002 begleitete ihn Martin Mahner auf einer Reise durch Deutschland, um gemeinsam verschiedenen paranormalen Phänomenen auf den Grund zu gehen.
Das Geisterpferd von Wehrheim (siehe skeptiker 1/2007):
In einem kleinen hessischen Dorf untersuchten sie die Geschichte um das ‚Geistepferd‘ Gloa. Das Tier war verstorben, doch seine Besitzerin, Frau S., war überzeugt, dass es weiterhin existiere. Als Beweis führte sie einen mysteriösen kahlen Fleck im Gras an der Stelle an, an der Gloa gestorben war, sowie eine angebliche Erscheinung des Pferdes auf einer Koppel.
Nickell und Mahner untersuchten das Grundstück und stellten fest: Solche Grasflecken fanden sich mehrfach auf der Wiese, was darauf hindeutete, dass der merkwürdige Fleck auf die natürliche Bodenbeschaffenheit zurückzuführen war. Außerdem zeigten sie Unbeteiligten das Foto des vermeintlichen Pferdeabdrucks; diese konnten die angedeutete Form erst erkennen, als Nickell und Mahner sie darauf aufmerksam machten. Das Muster entstand also nicht durch ein übernatürliches Phänomen, sondern durch die menschliche Neigung, in zufälligen Formen vertraute Muster zu erkennen. Ein klassischer Fall von Pareidolie und selektiver Wahrnehmung.
Auch die angebliche Sichtung auf der Koppel ließ sich erklären. Nickell vermutete eine sogenannte „Erscheinungserfahrung“, ein psychologisches Phänomen, das bei Routinearbeiten oder in Tagtraumzuständen auftreten kann. Dazu schrieb er: „Ich vermute, dass bei Frau S., als sie zur Koppel ging, um die anderen Pferde zu füttern, unbewusst eine Erinnerung an Gloa ausgelöst wurde, welche zeitweilig das normale visuelle Geschehen überlagerte. Wie Frau S. berichtete, war Gloa nämlich häufiger zu ihr an den Koppelzaun gekommen, um sie zu begrüßen – wie es später auch die Erscheinung getan hat.“ Damit ließ sich das Rätsel um das ‚Geisterpferd“ auf rein psychologische und natürliche Ursachen zurückführen.
Weiterhin besuchten sie auf ihrer Reise die Burg Frankenstein, identifizierten in Sachsen einen vermeintlichen Alien-Mensch-Hybriden als menschlichen Fötus, prüften Berichte über Geistersichtungen im KZ Dachau und analysierten den sagenumwobenen „Fußabdruck des Teufels“ in der Münchener Frauenkirche (siehe Skeptical Inquirer Vol. 27, No. 2).
Im Zuge dieses Rückblicks stellte ich Martin Mahner einige Fragen über seine Zusammenarbeit mit Joe Nickell.
GWUP-Blog: Wie kam es zu Euren gemeinsamen Reisen durch Deutschland, Österreich und die Schweiz?
MM: Wie unsere Reisen (es waren mindestens zwei, eventuell drei) zustand kamen, weiß ich nicht mehr genau. In den Anfangsjahren hat CSICOP (wie es damals noch hieß, heute CSI) das 2000 gegründete Zentrum für Wissenschaft und kritisches Denken der GWUP stärker unterstützt. In diesem Rahmen fanden mehrere Besuche statt, sowohl bei uns in der Zentrale als auch auf unseren Konferenzen. In diesem Kontext sind auch unsere Reisen zustande gekommen.
GWUP-Blog: Was hat Dich an seiner Arbeitsweise besonders beeindruckt?
MM: Da wir hauptsächlich Örtlichkeiten besichtigt haben, wie z.B. Spukstätten, hatten wir keine Gelegenheit, experimentell zur arbeiten. „Weiße Frauen“ und andere vermeintliche Schröcklichkeiten, die auf Burgen ihr Unwesen treiben, kann man ja leider nicht beobachten. Nickells Arbeit bestand hauptsächlich darin, Fragen zu stellen und sich Notizen zu machen. Beeindruckend war stets, was nach vielen Monaten dabei an Text herausgekommen ist. Seine eigentliche Arbeit bestand in unserem Fall also eher in Folkloreforschung, bei der er allgemeine Topoi mit konkreten Orten und lokalen Sagen in Verbindung brachte. Nickell hatte also immer eine multidisziplinäre Arbeitsweise, die es ihm erlaubte, genau die natur- oder geisteswissenschaftlichen Methoden anzuwenden, die der Fall benötigte.
GWUP-Blog: Gab es einen Moment oder eine Untersuchung auf Eurer Reise, die Dir besonders in Erinnerung geblieben ist?
MM: Für mich als studierten Biologen war der Besuch im Naturalienkabinett Waldenburg von besonderem Interesse. Dort findet sich der berühmte „Hühnermensch von Taucha“, der gern als Alien-Fötus gehandelt wird.
Welches Vermächtnis hinterlässt Joe Nickell Deiner Ansicht nach für die skeptische Bewegung, und welche Lehren können zukünftige Skeptiker aus seiner Arbeit ziehen?
Der wichtigste Punkt ist schon in Frage 2 erwähnt worden: Verwende alles, was wissenschaftliche Disziplinen hergeben, sei es natur- oder geisteswissenschaftlich. Und tricktechnische Kenntnisse aus der Zauberkunst sind ebenfalls hilfreich. Mit anderen Worten: Verfolge einen multi- und interdisziplinären Ansatz. Höre geduldig und verständnisvoll zu und dokumentiere alles sorgfältig. Wenn du gut sein willst, sollte dich echte Neugier und Leidenschaft antreiben.
Unwiederbringlich ist natürlich der riesige Wissensschatz, über den Nickell verfügte. Glücklicherweise hat er viel davon in zahlreichen Büchern und Artikeln hinterlassen.
Zum Thema:
- Artikel: Joe Nickell, legendary skeptical investigator, dies at the age of 80, The Skeptic vom 10.03.2025
- Artikel: Remembering Joe Nickell, Iconic Skeptic and Investigator, Center for Inquiry vom 06.03.2025
- Artikel: Song of a Siren: A Study in Fakelore, Joe Nickell (Skeptical Briefs Vol. 24.1) vom 05.11.2014
- Artikel: Paracelsus: The Magic and the Science, Joe Nickell (Skeptical Briefs Vol. 20.1) vom 28.09.2010
- Artikel: Cagliostro: ‚Quack of Quacks‘, Joe Nickell (Skeptical Briefs Vol. 19.1) vom 01.03.2009
- Artikel: Nickell, J. (2007): Ein Geister-Pferd in Hessen. Übersetzer: Martin Mahner. skeptiker 1/2007, S. 30.
- Artikel: Headless Ghosts I Have Known, Joe Nickell (Skeptical Briefs Vol. 16.4) vom 01.12.2006
- Artikel: Germany: Monsters, Myths and Mysteries, Joe Nickell (Skeptical Inquirer Vol. 27, No. 2) von März/April 2003
- Artikel: Legend of the White Lady, Joe Nickell (Skeptical Briefs Vol. 13.1) vom 01.03.2003
- Artikel: Harder, B.; Kamphuis, A. (2002): Der X-Man. Ein“Investigating“-Workshop mit Joe Nickell. skeptiker 4/2002, S. 156 – 158.
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