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Flacherdler und ihre Form der Garagenforschung

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Im aktuellen Laborjournal gibt’s ein interessantes Editorial von dem Neurologen Ulrich Dirnagl zum Thema „Wissenschaftsskepsis“.

Dirnagl geht davon aus, dass gegen die Ablehnung relevanter Ergebnisse aus der Wissenschaft weder „mehr Wissenschaft“ (in der Schule und in den Medien) noch „die Eindämmung von Falsch­information in den sozialen Netzen“ hilft.

Denn:

Es geht den Kritikern nicht um wissen­schaftliche „Wahrheit“. Es geht um ganz konkrete Dinge, die ihnen nicht passen – die aber im Namen der Wissen­schaft verordnet werden […]

Warum Ablehnung von Evolutions­theorie? Weil die Wissen­schaft hier der Religion ganz grundsätzlich widerspricht! Warum Impfgegner­schaft? Weil sich Eltern ernste Sorgen um ihre Jüngsten machen! Warum Klima­wandel? Weil die Leute nicht ihren Lebensstil ändern wollen, sondern lieber weiter SUV fahren und mit dem Flieger nach Mallorca jetten! Warum Homöo­pathie? Weil die klassische Medizin ihnen oft nicht hilft und manchmal sogar schadet!

Anders ausgedrückt:

In der Kritik steht nicht die Wissen­schaft – sondern vielmehr Institutionen, Autoritäten und Eliten.

Das hat auch die Physikerin und SZ-Redakteurin Marlene Weiß festgestellt, als sie die internationale Flat-Earth-Konferenz Ende September in Amsterdam besuchte:

Man könnte sich ärgern über diese bizarre Veranstaltung. Auch wenn es lustig zugeht, treten die Teilnehmer über Jahrhunderte gesammeltes und akribisch dokumentiertes Wissen in die Tonne, nur weil es ihrer Intuition widerspricht. Sie sind stolz auf ihr kritisches Denken, plappern aber den erstbesten Mist aus dem Internet nach – na toll.

Wenn man aber die Irritation über den offensichtlichen Unsinn herunterschuckt, kann man viel lernen über das, was es bedeutet, Mensch zu sein auf einer Erde, deren schnelle Drehung doch so einige überfordert. Man lernt freundliche Männer und Frauen kennen, die Dinge infrage stellen und ernsthaft versuchen, ihr Bild von der Welt mit ihrem Gefühl in Einklang zu bringen.

Wie konnte es eigentlich passieren, dass sie auf diesem Weg so falsch abgebogen sind, dass es keinen Rückweg zu geben scheint? Und was sagt das aus über den Stand der Wissenschaft in der Gesellschaft?

Den entscheidenden Punkt beschreibt Weiß so:

Für die Leute hier in Amsterdam heißt „beobachtbar, überprüfbar“ nicht, dass Experimente nur dann einen Wert bekommen, wenn sie reproduzierbar sind. Sie meinen damit vielmehr: Ich kann es sehen, in meinem Vorgarten, ohne weitere Vorkenntnisse.

Dass ihre Messungen der Erdkrümmung mit selbstgebastelten Instrumenten und irgendwelchen Lasern wenig zuverlässige Ergebnisse produzieren, ist zweitrangig – Hauptsache, die Daten kommen aus erster Hand, immerhin ist da nichts getrickst oder gefälscht.

Historisch betrachtet ist diese Form der Garagenforschung ein schrecklicher Rückschritt, und zwar in doppelter Hinsicht. Erstens macht sie die systematische Erforschung der Natur unmöglich, die ein weiteres Grundprinzip evidenzbasierter Wissenschaft ist: Die Arbeit des einen baut auf jener vieler anderer auf.

Und zweitens sollte man seinen Eindrücken – wie dem Gefühl, dass sich da nichts bewegt und nichts krümmt – nicht allzu blind vertrauen. Oder noch schlimmer, sie zu einer Pseudowissenschaft überhöhen.

Eine Antwort haben weder Weiß noch Dirnagl auf die Frage, warum wir eigentlich glauben sollen, dass der Globus eine Tatsache ist, oder mit welchen Argumenten wir auf der Rolle des Menschen beim Klimawandel beharren.

Dirnagls Vorschlag:

Wir [sollten] vermitteln, wie Wissen­schaft ganz grund­sätzlich funktioniert, welcher Mechanis­men der Akzeptanz oder Wider­legung von Resultaten sie sich bedient.

Dass ihre Hypothesen logisch konsistent, durch Evidenz (empirisch) belegt und falsifi­zierbar sein müssen. Dass ihre Ergebnisse reprodu­zierbar zu sein haben.

Dazu käme das Aufzeigen und Vorleben der Normen von Wissen­schaft. Allgemein akzeptiert sind dies (nach Robert Merton): Kommu­nismus (nicht erschrecken, hier gemeint als gemein­sames geistiges Eigentum und kollektive Zusammen­arbeit), Univer­salismus, Selbstl­osigkeit sowie organisierte Skepsis.

Neumodisch mit dabei: Transparenz (Open Science).

Lassen wir mal so stehen.

Zum Weiterlesen:

  • Warum trauen WIR dem Weltklimarat …? Laborjournal am 29. Oktober 2019
  • Die Erde, so flach, SZ+ am 8. November 2019
  • Brazil’s flat Earthers to get their day in the sun, The Guardian am 6. November 2019
  • How the Internet Made Us Believe in a Flat Earth, medium am 12. Dezember 2018
  • Wenn es quakt wie eine Ente, war es im Zweifel die Regierung, heise am 24. August 2019
  • Flacherdler und ihre vorgebliche Suche nach „Gegenbeweisen“, GWUP-Blog am 22. Juli 2019
  • Mimikama und die Verschwörungstheorien zu HAARP, GWUP-News am 9. November 2019
  • Klimawandel: Wissenschaftliche Skepsis versus Wissenschaftsleugnung, hpd am 29. Oktober 2019

11 Kommentare

  1. „,,, Warum Klima­wandel[-Skepsis im Sinne von Leugnung wissenschaftlich ermittelter Sachstände]? Weil die Leute nicht ihren Lebensstil ändern wollen, sondern lieber weiter SUV fahren und mit dem Flieger nach Mallorca jetten! …“

    Ich bin davon überzeugt, dass hier tatsächlich des „Pudels Kern“ getroffen wurde.

    Dass also hinter der teilweise bizarren Leugnerei wissenschaftlicher Sachstände die durchaus valide Erwartungshaltung steckt, jedwede Anerkennung der ermittelten Sachstände werde sowohl im gesamtgesellschaftlichen Umfeld als auch dadurch im real individualen Umfeld durchaus markante Änderungen in Lebensstil, -planung, -führung und persönlichen Wunscherfüllungen notwendig machen.

    Oder simpler: es wird „mich“ mehr (eigenes) Geld kosten und deutlich einschränken (z.B.: durch „erzwungene“ Nutzung öffentlicher Transportsysteme anstatt Auto, was dann automatisch längere Wegezeiten bewirkt).

    Das heißt auch – und das sollte man sich in dieser Sache immer klarmachen! -, dass HINTER der (teilweise bizarren) „Leugnung“ eine zweckrationale Haltung steht, die an sich und für sich genommen völlig valide ist.

    Das wiederum heißt, dass dann, wenn tatsächlich mal politische Beschlüsse gefasst würden, die den wissenschaftlichen Erkenntnissen Rechnung tragen, die wahre und wirkliche Auseinandersetzung erst *beginnt*.

    Der Musterfall ist natürlich hier Frankreich und eine der Basismotivationen für die sog. „Gelbwesten“.

    Ich erwähne diese durchaus offensichtliche und vielfach angesprochene Problematik im Zusammenhang eigentlich nur, weil oben im Blogbeitrag u.a. die „Süddeutsche Zeitung“ (oder generell: journalistische Produkte) angegeben ist. Denn u.a. in der SZ wurde kürzlich mal wieder eine „Klimakrisen“-Serie ins Blatt gehoben (die auch hier im Blog schon verlinkt wurde als Beleg für irgendwas) in Reaktion auf die kürzlichen Gesetzgebungsmaßnahmen, die häufig in der Presse als „unzureichend“, oder „ungenügend“ bewertet wurden.

    Unter den Kritikern allen voran: die SZ.

    In einem der abschließenden Meinungsartikel verstieg sich z.B. ein/eine Autor/in zu der Meinung, dass die „Bevölkerung“ oder „Gesellschaft“ in der Sache „weiter sei als die Bundesregierung“ (also etwa in der Bereitschaft zum Verzicht oder darin, höhere Kosten tragen zu wollen).

    Dazu im Gegensatz bin ich persönlich mir darin absolut sicher, dass genau dies gerade NICHT der Fall ist – und zwar interessanterweise trotz der durch Meinungsforschungsinstitute erfassten Meinungs- und Stimmungslagen, die den/die Autor/in in dieser Meinung bestätigen könnten.

    Die Leute „sagen“ etwas ganz anderes als sie es dann tätsächlich „tun“.

    Das wissen u.a. auch die Parteien ganz genau (u.a. wieder gerade durch die „Gelbwesten“ brutal demonstriert): wenn sie durch „harsche“ Maßnahmen den „Leuten“ echt ans Geld gehen oder (was letztlich dasselbe ist) ans Zeitmanagement/an die Mobilität, dann werden sie gnadenlos an den Urnen abgestraft werden – von sonstigen Protesten mal ganz abgesehen.

    Es sind Nanny-State-Journalisten, die hier in der Sache nicht begreifen (wollen), wie die gesellschaftliche Situation real bestellt ist und dadurch die eigentliche Problemlage in ihren Artikeln völlig verfehlen.

  2. Zur Ergänzung: Ulrich Dirnagl unterhält auch einen sehr lesenswerten Blog, mit vielen klugen Überlegungen rund um das Thema Studien und Studienqualität: https://dirnagl.com/

  3. Vielleicht sollte man einfach den FAKT, das die Erde rund ist, geheim halten…

  4. Es ist klar – back to the roots: Nicht zur Garagenforschung, aber zur Vermittlung kritischen Denkens von der ersten Schulklasse an!

    Ein Bekannter von mir, Physikprofessor, beklagt seit vielen Jahren, dass die Erstsemester mit einem Packranzen voll lexikalischen Wissens in die Uni kommen und ganz stolz darauf sind – aber vom modernen Wissenschaftsbegriff und Grundlagen der Empistemologie null Ahnung haben.

    Er macht lieber Prosemiare dazu als zu Mathematik. „Wenn die im 5. Semester immer noch nicht wissen, was wir hier eigentlich tun, brauchen sie auch nicht rechnen zu können.“

    Ich habs schon oft konstatiert: Es ist zu großen Teilen ein Bildungsproblem. Was auch erklärt, dass gerade die „nicht bildungsferne“ Mittelschicht so anfällig für Pseudokram ist.

    Sie haben eine Bildung erhalten, in der Pseudokram letztlich niemals von ernsthafter Wahrheitssuche abgegrenzt wurde. Wobei ich natürlich keineswegs ausschließen möchte, dass all das dann auch noch zur Rationalisierung mangelnden Altruismus (na, sagen wir ruhig Egoismus) dient.

  5. @Udo

    Seh ich genauso. Schon seit langem halte ich unser Schul- und Berufsbildungssystem für ziemlich (vielfach ideologisch getrieben) kaputtreformiert.

    Wobei: Noch nicht ganz! Aber der „professional bachelor“ ist ja schon in Arbeit. Da werden Dinge eingeführt und abgeschafft und eingeführt und abgeschafft, aber was dabei noch nie eine Rolle gespielt hat: Medienkompetenz, Kritisches Denken, Erkenntnistheorie, Wissenschaftstheorie.

    Grob vereinfacht: Kaum ein Akademiker hier hat eine wirklich akademische Ausbildung erhalten. Bei den NaWis sieht das nach meiner Erfahrung noch am besten aus, aber deren philosophische Bildung beruht i.w. auf Drive-By-Downloads. Kritischer Medienrezipient wird man so auch nicht.

    Natürlich käme man nicht auf null Prozent Bullshitresistenz, aber ein erheblicher Beitrag zur Immunisierung wäre es ja schon, wenn man diese Fächer von Kindesbeinen an lehrte.

    Ich wiederhole mich gern: Warum gibt es nur die GWUP und kein MPI für Aufklärung?

  6. Ich finde das Foto von dem Astronauten über der (flachen) Erde mit dem schnurgeraden Horizont so cool. Denn, wie man auf dem Scheiben-Erd-Bild (drüber) sieht, würde eine Foto-Aufnahme in dieser Höhe über der Erdscheibe ebenso einen gekrümmten Rand zeigen müssen, da der Rand der Erd-KREIS-Scheibe natürlicher Weise krumm – nämlich kreisförmig – ist. Und um zu dieser Erkenntnis zu kommen, brauche ich nicht mal (m)ein naturwissenschaftliches Studium – ein wenig räumliche Vorstellungskraft via Geometrie genügt.

    Alternativ wäre die Erde eine quadratische Platte. Aber wieso gibt es dann keine Aufnahme mit einer der Ecken drauf? Ach, die werden geheim gehalten, richtig…

  7. @ gedankenknick:

    Die Ecken haben SIE natürlich dort versteckt, wo sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen. wo der Pfeffer wächst, wo der Hund begraben ist, am A**** der Welt sozusagen, wo man nicht einmal seinen schlimmsten Feind hinschicken würde, um Bartel seinen Most zu holen.

  8. @ noch’n Flo
    Oder die Ecken wurden abgesägt und zu Toblerone und RitterSport verarbeitet. Man weiß es einfach nicht…

    Da ich (leider) schon einen Hund begraben musste, kann ich Dir aber versichern: Da, wo der Hund begraben liegt, ist keine Ecke, sondern nur der Gartenzaun daneben.

  9. Blasphemie!

    Die Erdscheibe wird selbstverständlich von 4 Elefanten getragen, die wiederum auf dem Rücken der Schildkröte Groß-A’Tuin stehen.

  10. @RPGNo1

    Dann solltest Du aber aufpassen, dass Du immer gut den Toilettendeckel wieder herunterklappst, damit Dir der der Drache der Traurigkeit nicht in den Po beißt.

    Übrigends, der 5. Elefante ist von der Schildkröte abgerutscht und bei seinem Einschlag auf der Scheibe formte er das Überwald-Gebirge. Dort lebt man heute noch vom bergmännischem Abbau gewinnträchtiger Fett-Flöze (in Schmalzberg) sowie eisenhaltiger Knochenüberrest-Fragmente und ehemaligen Nervenfastern aus reinem Gold…

  11. @Gedankenknick

    „Der fünfte Elefant“. https://de.wikipedia.org/wiki/Der_f%C3%BCnfte_Elefant

    Muss ich mal wieder lesen. :)

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