Mai Thi vertont, was Impfgegner, Homöopathen und Co. nicht wahrhaben wollen:
Selbst die Naturkräuter-Zahnpasta ohne Fluoride ist Chemie, alles besteht aus Molekülen, es gibt keine unchemischen Verbindungen auf dieser Welt.“
Zum Weiterlesen:
- Chemie ist böse und vergiftet uns alle, derStandard am 18. August 2015
- Natur ist gut und Chemie böse, GWUP-Blog am 13. Oktober 2013
- „Natur ist toll“-Doktrin: Das freut die Bestatter-Lobby, GWUP-Blog am 10. Juni 2015
- Fatales Natürlichkeitsdenken der Impfgegner, GWUP-Blog am 11. Mai 2014
27. März 2018 um 11:03
Ob die chemische Industrie das wahrhaben will. Wenn alles Chemie ist, dann wäre der Begriff ziemlich bedeutungslos. Es gibt da schon einen Begriff, der sich auf Methoden bezieht, die eben auch in dem wissenschaftlichen Bereich Chemie angewandt/entwickelt werden (es raucht und zischt^^).
Der Begriff der Chemie der chemischen Industrie und der Impfgegner, Homöopathen und Co ist da ziemlich ähnlich und er ist auch sinnvoll. Das sagt natürlich nichts darüber aus, wie die Risiken bewertet werden. Auch natürliche Substanzen können schädlich sein.
Die Begriffskritik an „Chemie“ ist aber merkwürdig. Als wenn einem nicht klar ist, dass ein Wort verschiedene Bedeutungen haben kann. Alles ist Chemie, es ist aber nicht alles ein Produkt chemischer Methoden. Im letzten Satz sind die beiden verschiedenen Bedeutungen von Chemie enthalten.
Ein Streit um Worte hat aber immer das Schöne, dass man nicht inhaltlich streiten muss und eignet sich hervorragend für Polemik.
Wobei inhaltliche Argumente bei Impfgegnern, Homöopathen und Co auch eher schwierig sind, sodass ich verstehen kann, wenn man polemisch agiert.
27. März 2018 um 12:45
Ich stimme liberatator hier zu und meine mich zu erinnern, dass wir die gleiche Diskussio hier schon einmal hatten.
Auch wenn manche Skeptiker oder Chemiker das nicht wahrhaben wollen: Der Begriff „Chemie“ wird in unterschiedlichen Bedeutungen verwendet und eine davon ist „Produkte der chemischen Industrie“ (z.B aus der Wikipedia: ‚Im Alltag wird der Begriff „Chemie“ oft in einem eingeschränkten Sinn als Abkürzung für „Produkt der chemischen Industrie“ verwendet‘ ).
Jemand der sagt, er will „keine Chemie im Essen“ ist sich dieser Bedeutung bewusst und kann trotzdem verstehen, dass man auch Naturstoffe in „chemischen Formeln“ notieren kann.
Diese „Feinheiten“ in der Bedeutung des Begriffs nicht zu erkennen oder mutwillig zu ignorieren ist daher kein Zeichen von brillianter Argumentation sondern von einer gewissen Ignoranz.
Diese (Schein)-Argumentation ist das Paradebeispiel für den „Mehrdeutigkeitsfehlschluss“ (siehe: https://www.ratioblog.de/entry/fehlschluss-36-der-mehrdeutigkeitsfehlschluss ).
Die Diskussion darüber, ob man begründeterweise keine „Produkte der chemischen industrie“ in seinem Essen, seinen Arzneimitteln oder seiner Kosmetik haben wil, oder ob da irrationale Ängste zu Grunde liegen kann man nicht über die Begriffsbedeutung des Wortes „Chemie“ führen.
27. März 2018 um 14:50
Ich kann euch nicht zustimmen, denn die Esos meinen gar nicht immer Produkte der chemischen Industrie, wenn sie Chemie ablehnen.
Da können durchaus auch ganz andere Dinge mit gemeint sein – z.B. „künstlich“ hergestellte Nahrungsmittel, die rein gar nichts mit der chemischen Industrie zu tun haben.
Beispielsweise meint meine Mutter auch, dass Kartoffelbrei- oder Sosenpulver „böse Chemie“ ist, und das hat mit der chemischen Industrie nichts zu tun. Also wenn die Esos sagen, sie mögen keine Chemie, dann meinen die alles, was irgendwie mit chemischen Prozessen – die sie nicht verstehen und nicht nachvollziehen können – hergestellt ist, sogar getrocknete Kartoffeln – insofern sie diese nicht Zuhause selbst getrocknet haben, was dann natürlich in dem Fall kein böser chemischer Prozess ist, aber im Fall von Pfanni Knödeln eben doch.
Die Esos unterscheiden da gar nicht – gleicher Prozess (Trocknung) ist eben in einer großen Fabrik Chemie und Zuhause total natürlich. Also ist es auch komplett richtig, diesen Leuten mal beizubiegen, was Chemie ist und was chemische Prozesse sind.
27. März 2018 um 19:09
@Kryptische
Im Tüten-Kartoffelbrei sind in der Regel Emulgatoren und Antioxidantien/Konservierungsmittel enthalten. Das sind Chemikalien aus industrieller Herstellung.
Man kann da vielleicht anfangen Haare zu spalten darüber wo nun „chemische“ Industrie anfängt (zählt die Extraktion von Naturstoffen schon dazu, oder die Teilverseifung von Fetten?).
Ich habe in dem Zusammenhang kein Verständnisproblem wenn jemand sagt er will keine „Chemie“ in seinem Essen, es ist mir klar, was derjenige damit sagen will.
Ich habe eher ein inhaltliches Problem: Warum haben Menschen mehr Angst vor Konservierungsmitteln als vor verdorbenen Lebensmitteln? Solche Fragen sollte man aber inhaltlich angehen und nicht über die Bedeutung des Wortes „Chemie“.
Wenn jemand explizit sagen würde:“Ich will keine Produkte der chemischen Industrie in meinem Essen!“, klänge dann: „Aber Naturstoffe haben auch chemische Formeln!“ wie eine sinnvolle Erwiderung?
27. März 2018 um 21:11
Ich höre das mit der „bösen Chemie“ ja auch immer wieder in meiner Praxis. Da erkläre ich den entsprechenden Patienten immer wieder gerne, welch potente Gifte die Natur so hervorgebracht hat, das bringt die Leute dann oft zum Grübeln.
28. März 2018 um 13:30
@Severin Ich bin mir nicht sicher, ob die Leute, die „Chemie“ ablehnen, wirklich nur die Chemikalien aus industrieller Herstellung meinen.
Es geht hier ja auch nicht so sehr um die Bedeutung des Wortes Chemie, sondern allgemein darum, dass die meisten Leute mit Chemie eben nur die Petrochemie oder chemische Industrie verbinden und nicht wissen, das eben alles Chemie ist und was das eigentlich bedeutet.
Zeig denen mal die Inhaltsstoffe von einem normalem Apfel und sie erschrecken sich fast zu Tode weil Aluminium drin ist und fragen sich, wie es da rein kommen mag.
Ich denke schon, dass da viel Aufklärung nötig ist und eben auch Aufklärung darüber, das Chemie nicht nur in Fabriken statt findet, sondern dass sich die böse Chemie auch in „natürlichem“ Essen befinden kann und z.B. Gifte auch ganz natürlich vorkommen.
Und ich ganz persönlich möchte einfach, dass die Leute nicht mehr sagen: „Ich will keine Chemie“.
Weil sich mir bei dem Satz die Nackenhaare aufstellen (oder bei dem Satz meiner Mutter zu Weihnachten – OTon: „Die Soße habe ich ganz ohne Chemie gekocht“ — ARRRGGHHH diese Schmerzen, ich fühle sie immer noch).
29. März 2018 um 09:15
„OTon: „Die Soße habe ich ganz ohne Chemie gekocht“ — ARRRGGHHH diese Schmerzen, ich fühle sie immer noch).“
Aber es stimmt doch.
Wenn man unter „Chemie“ die wissenschaftliche Disziplin versteht, dann hat sie ohne Rückgriff auf Wissen aus dieser Disziplin gekocht.
Oder wenn man darunter Produkte der chemischen Industrie versteht, dann vermutlich auch.
Lediglich, wenn man darunter alles versteht dann stimmt das nicht. Dann ist der Begriff aber auch ziemlich nutzlos, wenn es um makroskopische Gegenstände geht.
29. März 2018 um 14:28
Meine Debattenerfahrung hat mir gezeigt, dass „die Leute“, wenn sie von „keine Chemie“ sprechen, damit durchweg eine subjektiv empfundene Trennung zwischen „gut“ und „böse“, keine reflektierte Einordnung, meinen.
Eine gedankliche Trennung mit der Definition von „Produkte der chemischen Industrie“ beispielsweise, das geschieht durchaus nicht. „Chemie“ wird als pauschales Feindbild verstanden. Gentechnik ist „Chemie“, pharmazeutische Medizin ist „Chemie“, Homöpathie wieder nicht, synthetisch hergestelltes Vitamin C ist „keine Chemie“, Zahnpasta ist nur „Chemie“, wenn sie fluoridiert ist usw. usw.
Im Umkehrschluss ist es Naturverklärung, eine Ausprägung des „naturalistischen Fehlschlusses“. Das hat mich schon im letzten Sommer zu diesem Beitrag veranlasst:
http://die-erde-ist-keine-scheibe.de/2017/07/08/fuer-mich-bitte-nur-ohne-chemie/
1. April 2018 um 01:24
„Keine Chemie“ ist genauso blöd, wie keine Physik…laßt uns alle schweben, denn die Gravitation ist außer Kraft gesetzt…ein hoch auf die „Alternativ-Physik“ ;-)