Ergänzend zu dem SkepKon-Vortrag
Zweifel am Hirntod: Wie Esoteriker Organspenden verhindern”
gibt es im aktuellen Skeptiker ein ausführliches Interview mit dem Palliativmediziner Dr. Benedikt Matenaer.
Darin geht Matenaer auch auf dieses Thema ein:
Skeptiker: Immer wieder gibt es Berichte über eine Wesensveränderung bei Transplantierten, und auch bei den Argumenten der Gegner spielen solche Erzählungen eine bedeutende Rolle. Was ist aus medizinischer Sicht davon zu halten?
Matenaer: Das lässt sich ganz einfach und ganz menschlich erklären. Man stelle sich vor, ein Patient ist eine lange Zeit mit einem Kunstherzen versorgt und wartet sehnsüchtig auf ein Spenderherz. Er weiß, dass mit dem Kunstherzen nicht so lange Überlebenszeiten möglich sind.
Damit befindet er sich in einer viel kritischeren Situation als beispielsweise ein Dialysepatient und erlebt diese Zeit auch als bedrohlich.
Dann kommt schließlich die Nachricht, dass eine Transplantation möglich ist, und kurze Zeit nach dem Eingriff kann er sich wieder belasten, am Leben teilhaben und hat eine Perspektive für die nächsten Jahre. Ist es da nicht sogar sehr wahrscheinlich, dass sich, für das das soziale Umfeld erkennbar, Wertvorstellungen ändern, Dinge anders wahrgenommen oder neu wertgeschätzt werden?
Wer „dem Tod von der Schüppe gesprungen ist“, ist dankbar und beginnt, noch einmal ein Leben zu leben. Davon berichten viele Betroffene.
Verständlich, dass das Umfeld dies deutlich bemerkt. Manchmal sind es aber auch ganz banale Dinge wie Essensvorlieben, die sich zum Beispiel mit der Einnahme von Immunsuppressiva ändern können. Ähnliches berichten übrigens auch Tumorpatienten nach einer Chemotherapie.
Also, die Erklärung von Persönlichkeitsveränderungen nach einer Transplantation ist einfach, aber natürlich lange nicht so außergewöhnlich wie manche Behauptungen der Eso-Szene. Diese sind zum Teil derart abstrus, dass es einen graust.
Mein persönlicher Favorit ist die These, dass DNA bei der Transplantation vom Spender zum Empfänger gelangt, womit auch Charaktereigenschaften übertragen und dadurch Wesensveränderunge ausgelöst würden. Das ist klasse. Man fängt doch auch nicht an zu grunzen, wenn man viele Schnitzel isst.“
Die Frage, ob nach einer Herztransplantation der Empfänger womöglich Persönlichkeitsmerkmale und Eigenschaften des Spenders annimmt, kam 1999 mit dem Buch „Herzensfremd“ der Amerikanerin Claire Sylvia auf:
Darin beschreibt sie nicht nur, wie ihr Herz und Lunge eines verunglückten Motorradfahrers transplantiert wurden. Mehr noch, bald nach der Operation entdeckte die damals 48-Jährige an sich Wesenszüge und Vorlieben, die sie vorher von sich nicht kannte.
Obwohl die ehemalige Tänzerin bis dahin Fastfood verabscheut hatte, entwickelte sie auf einmal Appetit auf Chicken Nuggets und auch auf Bier.“
Planet Wissen ging dem Phänomen nach und kam zu denselben Erkenntnissen wie Matenaer:
Die immunsuppressiven Medikamente – das sind die Mittel, die verhindern, dass körpereigene Zellen das fremde Gewebe angreifen – bewirken mitunter eine Veränderung des Geschmackssinns. Frühere Leibgerichte schmecken dann vielleicht nicht mehr so gut, andere Speisen werden auf einmal als köstlich empfunden. Wer dies dem Organspender zuschreibt, entwickelt Strategien, mit dem neu gewonnenen Leben umzugehen. Aber das hat nichts Mystisches, es ist erklärbar“,
zitierte das TV-Magazin Prof. Dr. Hans-Werner Künsebeck von der Deutschen Transplantationsgesellschaft.
Das hält indes Esoteriker nicht davon ab, unfassbaren Nonsens zu verbreiten, wie zum Beispiel:
Das transplantierte Organ bringt das Bild- und Informationsmaterial der Seele des Spenders in den Körper des Empfängers und in dessen Seele. Es wird ihm aufgezwungen, wodurch eine Fremdbestimmung stattfindet. Die eigenen Lebensprogramme des Organempfängers einschließlich seiner seelischen Belastungen werden von den Programmen des Spenders überlagert. Dadurch wird es dem Empfänger schwer wenn nicht gar unmöglich, seine eigenen Fehlprogramme zu erkennen und zu bereinigen – worin der eigentliche Sinn unseres Erdendaseins besteht.“
„Organfantasien“ nennt das die Diplomierte Gesundheits- und Krankenschwester (DGKS) Maria Brodtrager in einem Referat für das Klinikum Graz und beschreibt als Alternative zu einem spekulativen „zellulären Gedächtnis“ psychologische Vorgänge:
Organempfänger machen sich sehr viele Gedanken über die Spender. Oftmalig äußern die Patienten den Wunsch, mehr über den Spender zu erfahren, obwohl sie vorher schon darauf aufmerksam gemacht wurden, dass die Anonymität des Spenders gewahrt bleiben muss.
Einerseits besteht der Drang, sich beim Spender oder auch bei dessen Angehörigen zu bedanken, anderseits möchten die Patienten etwas über den Spender erfahren.
Wie alt ist er gewesen, wie ist er ums Leben gekommen und vor allem: Wie war er als Mensch? Ebenso beschäftigen sich die Organempfänger mit der Frage, dass jemand sterben musste, damit sie weiterleben können. Das kann schwere Schuldgefühle auslösen.“
Dass „Organtransplantationen die menschliche Psyche verändern können“, wie „Alternativmedien“ oft und gerne vermelden, ist mithin nicht falsch.
Dass es „bisher keine zufriedenstellende Erklärung für diese Erscheinungen“ gebe, ist eine sensationsheischende Mystifizierung der seelischen Belastungen von Transplantationspatienten.
Ein neues Organ muss in das Körperschema integriert werden. Der psychoanalytische Sozialpsychologe Prof. Oliver Decker erklärt:
Dieser Prozess gelingt meist – aber er benötigt viel Zeit und verläuft niemals ohne Rückschläge.“
Zum Weiterlesen:
- SkepKon-Video: Wie Esoteriker Organspenden verhindern, GWUP-Blog am 30. Mai 2016
- Mit dem Herzen eines Fischers, Süddeutsche am 19. Mai 2010
18. September 2016 um 11:00
„Man fängt doch auch nicht an zu grunzen, wenn man viele Schnitzel isst.“
Der Matenaer kennt wohl keine niederbayerischen Hoferben? ;-)
19. September 2016 um 13:08
Ach das ist doch noch alles gar nicht erforscht. Da sind ganz bestimmt unentdeckte Ströme unterwegs. Quasi subklinische Energiefelder und so. Ich brauche doch nur einen Zahn transplantieren und schon gerät die fragile Energiebilanz aus dem Lot und die Chakren spielen verrückt:
http://www.sueddeutsche.de/wissen/ganzheitliche-medizin-zaehne-mit-beziehungskisten-1.1351926
19. September 2016 um 13:35
@ pederm: Von essen war ja auch gar nicht die Rede. Das Spenderherz isst der Empfänger ja normalerweise auch nicht, oder?
19. September 2016 um 15:45
Vielleicht sollte ich mir das mit meinem Spenderausweis nochmal überlegen. Wer weiß, was für ein Unrat über mich rauskommt, wenn irgend ein Hallodri mit meiner Pumpe hausieren gehen sollte.
19. September 2016 um 17:07
@ klauszwingenberger:
Über den Empfänger Deines Herzens würde ich mir keine Gedanken machen, eher über den Deiner Leber… *enteundeinband*
20. September 2016 um 11:48
@gnaddrig:
Klar war von Essen die Rede, erkenntlich schon daran, daß ich Anführungs- und Abführungszeichen gesetzt habe.
20. September 2016 um 12:10
@ Noch’n Flo:
Meiner Spätburgunder muss ich mich nicht schämen.
20. September 2016 um 14:10
Also wenn der Empfänger meines Herzens was mit meiner Frau anfängt oder der Empfänger meiner Leber was mit meinem Weinkeller, dann … dann … äh, stimmt, praktisches Problem das.
Dann reinkarniere ich eben als Killer. Jawohl. Soo war das ja nicht gedacht mit der Organspende!
20. September 2016 um 18:51
@ pederm: Das hätte ich natürlich anders formulieren und an Benedikt Matenaer schreiben sollen, der hat mit dem Schnitzelessen als Vergleich angefangen.
Wenn man nämlich jemandem ein Schnitzel implantieren würde, käme sicher bald ein Schamane oder so daher und würde vermuten, dass der Empfänger dadurch Eigenschaften des Spendertieres übertragen bekommt. Beim Schnitzel vielleicht schweinetypische, ja, was weiß ich, Kurvigkeit oder so…
20. September 2016 um 20:12
Gab es nicht auch irgendwo den Glauben, daß man durch Essen von Körperteilen des Gegners dessen Stärke annimmt? Vielleicht hat das denselben Ursprung.
20. September 2016 um 20:22
Ich denke eine Transplantation ist ein sehr schwerwiegender Eingriff in einen Körper bzw. in die menschliche Psyche(Seele) , geht es hier doch um Leben oder Tod.Ich wünsche hier keinen der Kommentatoren eine ähnliche Situation.Der Mensch ist von Natur aus ein empathisches Wesen, will sagen, er benötigt diese nonverbale Kommunikation,um andere einzuschätzen und zu verstehen.Zu diesen „anderen“ zählt auch dieses eingepflanzte Organ,was ja auch einmal ein Mensch war bzw.Teil eines Menschen.Der Schlüssel für diese Situation scheint mir in erster Linie in der Empathie zu liegen, also in der emotionalen Auseinandersetzung mit dem
„anderen Menschen“ im eigenen Körper.
20. September 2016 um 21:09
@ Martin: Ja, das ist ein schwerwiegender Eingriff, mit dem sich viele Betroffene vielleicht schwertun. Die Auseinandersetzung mit der Tatsache, einen Teil von jemand anderem im Körper zu tragen, mag für viele schwierig und langwierig sein, das glaube ich gern.
Aber das ist nicht dasselbe wie die Hypothese, das Spenderorgan bringe Wesensmerkmale, Wissen oder Erinnerungen des Spenders mit.
Ich könnte mir vorstellen, dass Leute mit technischen Implantaten vergleichbare Veränderungen erfahren oder sich mit dem neuen Element in ihrem Körper auseinandersetzen müssen.
21. September 2016 um 17:39
@Xarry_H
Soweit ich weiß, soll ritueller Kannibalimus einen diesbezüglichen Hintergrund haben.