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Religiöser Fundamentalismus und das Kindeswohl

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Der „Guru von Lonnerstadt“ muss seine Haftstrafe antreten. In Nördlingen findet ein weiterer Prozess gegen ein Mitglied der Glaubensgemeinschaft „Zwölf Stämme“ statt, der „eine Schülerin nach Verfehlungen je viermal mit einer Weidenrute geschlagen haben“ soll.

Das Bayerische Landesjugendamt hat in diesem Zusammenhang einen interessanten Übersichtsartikel publiziert:

Recht

Darin heißt es:

Es erscheint auch noch 15 Jahre nach Inkrafttreten des „Gesetzes zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung“ dringend erforderlich, auf die Missachtung dieses Gesetzes bei einem nicht unerheblichen Teil der Bevölkerungein wachsames Auge zu haben und Kindeswohlverletzungen und Misshandlungen zu verhindern.

Einen wichtigen Signalcharakter hatten hier in letzter Zeit in einer breiteren Öffentlichkeit gerade die differenziert und wohlausgewogen getroffenen Gerichtsentscheidungen, die im Falle der „Zwölf Stämme“ und der sog. „Sektenkinder von Lonnerstadt“ erwirkt wurden.

Derartige Entscheidungen führen nicht nur zu einer fachlichen Abklärung wertvoller Kriterien für die Jugendhilfepraxis, sondern haben auch eine maßgeblich orientierende, warnende und aufklärende Funktion hinsichtlich der in Erziehungsverantwortung stehenden Eltern und Bürger.“

Zum Weiterlesen:

  • BGH-Urteil gegen „Guru“: Alternativmedizin war wieder einmal beinahe tödlich, GWUP-Blog am 5. August 2015
  • Guru von Lonnerstadt muss Haft antreten, inFranken.de am 5. Februar 2016
  • „Zwölf Stämme“-Mitglied zu Gefängnis verurteilt, Abendzeitung am 29. Januar 2016
  • Noch ein Zwölf-Stämme-Prozess in Nördlingen, RT1 am 5. Februar 2016
  • Strafrechtliche Konsequenzen für Impfverweigerer? GWUP-Blog am 16. August 2013
  • Patient Kind: Der Streit um den Piks, Zeit-Online am 21. September 2006
  • Tschüss Herdenimmunität! Pharmama am 25. Juni 2012
  • Morbus Mutter: Wenn Mama krank macht, DocCheck am 23. Februar 2012
  • „Spontane Selbstentzündung“ oder Kindesmisshandlung? GWUP-Blog am 20. August 2013

10 Kommentare

  1. Warum wird gerade der religiöse Fundamentalismus herausgestellt, wenn es um das Kindeswohl geht? Diese Form der Gewalt gegen Kinder wird schließlich auch von Nicht-Fundamentalisten und Nicht-Religiösen angewandt und das Kindeswohl ist gleichermaßen betroffen.

    Wobei das mit dem Kindeswohl so eine Sache ist. Das scheint ein Begriff zu sein, der sich sehr weit auslegen lässt. Während Schläge und andere „Züchtigungsmaßnahmen“ selbstverständlich verboten sind, ist die Genitalbeschneidung bei Jungen aus beliebigen Gründen ausdrücklich erlaubt, sofern sie nicht dem Kindeswohl widerspricht, siehe §1631d BGB. Wie eine medizinisch unnötige und irreversible Operation an einem gesunden Kind nicht gegen das Kindeswohl verstoßen soll, ist mir schleierhaft.

    Solange sich der Begriff des Kindeswohls so weit zurechtbiegen lässt, dass bleibende Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit von Kindern ihm angeblich nicht widersprechen, ist dieser Begriff nichts weiter als eine hohle Phrase mit der sich Politiker schmücken können.

  2. @Andreas
    Das hat natürlich in Deutschland, mit seiner Vergangenheit, eine besondere Brisanz…wenn wir die jüdische Tradition der Beschneidung verbieten würden…das geht leider nicht; ich stimme Ihnen natürlich grundsätzlich zu – hier müssten zuerst andere Länder die Vorreiterrolle übernehmen.

  3. Es gibt ja verschiedene Formen der Kindesmisshandlung.

    Hier gehts um Vernachlässigung- Tab beachten

    http://www.kindesmisshandlung.de/mediapool/32/328527/data/VN-KJA-2005.pdf

  4. @Ralf
    Das heißt wegen unserer Vergangenheit müssen wir bei Kinderrechten eben ein Auge zudrücken? Wir müssen gesetzlich verankern, dass Eltern ihren Söhnen einen Teil ihres Körpers abschneiden dürfen, weil unsere Vorfahren damals noch viel Schlimmeres mit ihren Großeltern getan haben?
    Wir könnten stattdessen mutig voran gehen und Kinderrechte umfassend schützen, anstatt sie durch schlimmere Taten zu relativieren. Ich kenne bereits zu viele Männer, die unter dieser Form der Gewalt noch als Erwachsene leiden (darunter auch Juden und Muslime) und habe kein Interesse daran, dass es noch mehr werden.

    Nebenbei erwähnt wäre ein Verbot der Genitalbeschneidung nicht einmal notwendig. Es würde bereits ausreichen, sie nicht gesetzlich zu verankern, wie das viele andere Länder handhaben.

  5. @Andreas
    Es würde falsch verstanden werden…dieser Punkt stand mal vor einigen Jahren zur Debatte und da wurde er klar von den Politikern abgelehnt, aus den oben genannten Gründen.
    Ich wäre auch für ein Verbot der Beschneidung, aber ich kann schon verstehen, das dies in Deutschland nicht (politisch) durchsetzbar ist.
    Ich persönlich finde schon die Taufe, als eine unnötige Belästigung des Kindes…man übergießt ein Kleinkind mit Wasser, das wahrscheinlich auch noch sehr keimbelastet ist.
    Ja, ich war auch einmal relativ gläubig und hätte das als „Blasphemie“ angesehen, aber heute sehe ich das „gottseidank“ nicht mehr so.

  6. @Andreas
    Sorry, erst jetzt habe ich den §1632 BGB gelesen und bin wirklich erschüttert, daß das so im dt. Gesetz verankert ist.
    Das sollte man wirklich streichen und nur maximal eine Duldung dieser Praxis erlauben.

  7. @Ralf
    Deinem Vergleich zur Taufe kann ich nicht ganz folgen. Es macht doch einen Unterschied, ob man mit Wasser an ein Kind geht oder mit einem Messer.

    Meiner Erfahrung nach werden Verstöße gegen Kinderrechte häufig relativiert und verharmlost, wie z. B. der „Klaps auf den Po“. So ist die Ansicht weit verbreitet, dass die Genitalbeschneidung bei Jungen gar nicht so schlimm wäre. Wenn man sich aber ansieht, was da eigentlich genau passiert und sich anhört, was einige Betroffene dazu zu sagen haben, wird einem erst die Tragweite dieser Praktik bewusst.

    Wenn es dich interessiert, kannst du dir mal den RedeMit-Podcast mit Beschneidungsbetroffenen anhören. Da kommen Männer und auch Frauen mit ganz vielfältigen Erfahrungen zu Wort.
    https://www.youtube.com/watch?v=TkDr51___Jc

  8. @Andreas
    Ich wollte hier auch keinen Vergleich machen, sondern sagen, daß es jedwede religiöse Kulthandlung an einem Kind nicht verstandesmäßig nachvollziehbar ist, da es sich um eine reine religiös-motivierte Handlung handelt.
    Natürlich wiegt eine Beschneidung, um ein vielfaches mehr, als eine Taufe, aber beides ist ein Ausdruck einer Religiosität, die nicht verstandesmäßig begründbar ist, sondern aus einem kulturellen Bedürfnis erwächst, das einem göttlichen Willen zugeschrieben wird, der niemals bewiesen wurde…

  9. @Ralf
    Danke für die Klarstellung. Bei der Taufe stört mich noch am meisten, dass man damit für das Kind sozusagen Vertrag zur Steuerzahlung abschließt. Das hat mich mehr als tausend Euro gekostet, weil ich mich erst traute auszutreten, als ich nicht mehr bei meinen Eltern wohnte. Um einiges schlimmer war jedoch meine Beschneidung, mit der ich auch heute noch psychische und sexuelle Probleme habe. Ich erzähle nicht gern davon, aber man kann es hier nachlesen:
    http://hpd.de/node/17151?nopaging=1

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