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Entlassungswelle bei den Zeugen Jehovas – ist das Ende nah?

| 8 Kommentare

Nicht primär unser Thema, aber interessant:

Während die „Zeugen Jehovas“ in der Öffentlichkeit derzeit nur wegen ihrer Missionierungsversuche bei Flüchtlingen wahrgenommen werden, bahnen sich hinter den Kulissen weitreichende Veränderungen an.

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Ein starker Spendenrückgang und immense Prozesskosten in Sachen Kindesmissbrauch in den USA und in Australien bei gleichzeitiger Bautätigkeit an der „Neuen „Weltzentrale“ in Warwick haben die Organisation offenbar in massive finanzielle Schieflage gebracht:

Einsparungen, wo es nur geht!

Sonderpioniere und Bethelmitarbeiter in großer Zahl entlassen!

Zeitschriften immer dünner und nur noch alle zwei Monate!

meldet das Zeugen Jehovas Aufklärungsportal bei Facebook.

Auch die kritische Seite Bruderinfo-aktuell berichtet unter der Überschrift

2016 – Alles wird anders bei Zeugen Jehovas“

von „deutlichen Veränderungen in allen Bereichen der Wachturm-Gesellschaft“:

Der „Wachtturm“ und das „Erwachet!“ wird ab Januar 2016 nur noch 2-monatlich erscheinen (!!!) , also WT und EW im Wechsel …]

Die drastische Verringerung des Zeitschriftendrucks ist wahrscheinlich die eindrucksvollste Bekanntmachung, da erst vor wenigen Jahren die Seitenanzahl jeder Ausgabe halbiert wurde. Im Vergleich zu 2005 entspricht die gedruckte Seitenzahl der WT und des EW ab 2016 einer Reduzierung um sage und schreibe 57 Prozent.“

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Die Aussteigerin Barbara Kohout schreibt:

Im Juli 2015 wurde mir von aktiven Betheliten in Selters mitgeteilt, dass Brüder aus USA in Selters sind und in die einzelnen Abteilungen schauen, inwieweit die Arbeit effizienter gestaltet werden kann – sprich „Brüder eingespart“ werden können.“

Jetzt sind die „Zeugen Jehovas“ in Deutschand dabei, sich in großer Zahl ihrer hauptamtlichen Vollzeitdiener („Sonderpioniere“) zu entledigen.

Heute ist uns der Brief eines „Sonderpioniers“ an das Zweigbüro Zentraleuropa der ZJ in Selters zugespielt worden. Der Betreffende hat keinerlei Berufsausbildung und steht nach 16 Jahren Predigtdienst finanziell vor dem Nichts:

 Liebe Brüder,

mit diesem Schreiben möchte ich auf die Art und Weise, mit der ihr mich aus dem Sonderpionierdienst zum 1. Januar 2016 entlassen habt, antworten. Die aufgesetzten „liebevollen Worte“ mit denen ihr mich aus dem Sonderdienst entlast, können meine Enttäuschung nicht mindern.

Ja ich habe wie ihr richtig vermutet viel Freude erlebt und viele Herausforderungen überwunden. Ich war bereit die Königreichsinteressen an die erste Stelle zu setzen und Opfer zu bringen, aus dem Wunsch heraus Jehova mit ganzem Herzen dort zu dienen wo ihr es für notwendig erachtet habt.

In dem Bewusstsein das dass Ende nahe ist und Jehovas Organisation von Gottes Geist geleitet wird habe ich schon als junger Mann auf euren Rat hin den Pionierdienst aufgenommen. Ich habe auf eine anständige Ausbildung verzichtet in der Hoffnung in Jehovas Organisation gebraucht zu werden. Jehova ist doch der beste Arbeitgeber, so wurde mir und viele anderen immer wieder gesagt.

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Und nun, nachdem ir eure aktuellen Bedürfnisse überprüft habt, habt ihr entschieden, dass meine Sonderpionierzuteilung am 01. Januar 2016 enden wird. Ich Frage mich was sich aktuell geändert hat das mein Dienst als Sonderpionier nach fast 30 Jahren nicht mehr benötigt wird?

Ich bin auch verwundert darüber, das ihr mir nahelegt, im Anbetracht der wertvollen Erfahrungen, die ich im Dienst gemacht habe, zukünftig als allgemeiner Pionier zu dienen. Wenn das Ende doch so nah vor der Tür steht, stellt sich für mich die Frage, warum für meinen Sonderpionierdienst aktuellen keine Notwendigkeit besteht?

Liegt es am Geld? Sind die Sonderpioniere zu teuer für die Organisation?

Wird das Geld, welches die Brüder für das Predigtwerk willig spenden für andere Aktivitäten gebraucht? Zum Beispiel für Bauprojekte wie Warwick oder Tempelfarm?

Tatsächlich fühle ich mich verraten und ausgenutzt. Es scheint, das Bauprojekte dem Sklaven wichtiger sind als Menschen, die sich um Menschen bemühen.

Ihrt habt mir ein großzügiges Angebot gemacht, in dem ihr mich von der Pflicht, das monatliche Stundenziel zu erreichen, befreit habt, damit ich die „notwendigen Dige“ wie eine Arbeit- und Wohnungssuche erledigen kann. Bis dahin wollt ihr mir das übliche monatliche Taschengeld für 3 Monate weiter zukommen lassen.

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Wirklich großzügig von euch! Ehrlich gesagt ich empfinde dies als einen Schlag ins Gesicht um nicht zu sagen einen Tritt in den Hintern.

Ich stehe in meinem Alter als Ungelernter vor dem Nichts. Von meiner Familie kann ich wahrscheinlich keine Hilfe erwarten, sie haben mich damals schon gewarnt diesen Schritt des Pionierdienstes zu gehen.

Ja, diese Entscheidung kommt wie ihr richtig vermutet, für mich unerwartet, und ich glaube nicht mehr, dass die Leitende Körperschaft und das Zweigbüro meine Opferbereitschaft wirklich schätzt.

Euere Ermunterung, mich auf die Macht Jehovas zu verlassen, klingt für mich wie Hohn. Nach meinem bisherigen Verständnis sorgte Jehova durch seine Organisation für seine Diener, auch für die täglichen Bedürfnisse.

Tut mir Leid, aber ich muss es so deutlich aussprechen. Ihr möchte auf meinen Dienst und meine Erfahrungen zwar nicht verzichten, aber ihr möchte dafür keinen Dollar mehr ausgeben.

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Wie anders ist wohl dieser Satz von euch zu verstehen, Zitat: „wir hoffen, dass es dir die Umstände erlauben werden dich zukünftig als allgemeiner Pionierr einzusetzen … auf diese Weise wird dein Vollzeitdienst nicht unterbrochen.

Als allgemeiner Pionier darfst du dir die Versammlung, in der du dienen möchtest, selber auswählen; wir hoffen jedoch, dass du, wenn möglich, in deiner gegenwärtigen Zuteilung bleiben kannst. Wenn du an einen anderen Ort umziehst, sprich bitte mit dem Kreisaufseher oder schreibe an die Dienstabteilung, um zu erfahren wo du möglicherweise noch nützlicher sein  könntest.“

Ja, ich habe nun wirklich verstanden worum es der Organisation Jehovas geht; es geht euch nur noch um Effektivität und Nützlichkeit für die Organisation, nicht um Menschen.

Enttäuschte Grüße, Euer Bruder

PS: Noch möchte ich meinen Namen nicht nennen bis ich meine Angelegenheiten so geregelt habe das ich von euch nicht mehr abhängig bin.“

Das Ende ist nah? Möglicherweise das Ende der „Wachturm-Gesellschaft“, wie sie bislang aufgetreten ist.

Zum Weiterlesen:

  • „Zeugen Jehovas zerstören Menschenleben“: Interview mit einer Aussteigerin, Huffington Post am 24. Juni 2015
  • Goodbye, Jehova: Wie Misha Anouk von der „bekanntesten Sekte der Welt“ loskam, GWUP-Blog am 7. November 2014
  • Scientology und Zeugen Jehovas werben bei Flüchtlingen, Welt-Online am 29. August 2015
  • Zeugen Jehovas vertuschten über Jahrzehnte sexuellen Missbrauch, Süddeutsche am 29. Juli 2015
  • Weitere sechs Zivilklagen wegen Kindesmissbrauch gegen Jehovas Zeugen in Texas eingereicht, bruderinfo-aktuell am 29. November 2014
  • Esther Fieber: Im Paradies der grasfressenden Löwen. Meine Kindheit bei den Zeugen Jehovas. Persimplex Verlag, Schwerin 2014
  • Zeugen-Jehovas-SOS
  • Initiative Seelnot

8 Kommentare

  1. Da steht wohl Armageddon schon direkt vorm Wachturm …..

    Wichtig scheint mir jetzt, dass sich Aussteiger der „Zeugen“ nicht im Nirvana wiederfinden und Anlaufstellen bei Beratungsstellen und Betroffeneninitiativen finden werden.

    Nur zu doof, das Land Sachsen Anhalt hat kürzlich erst die beiden Stellen der IDS in Halle „umstukturiert“. Zwei sehr kompetente Mitarbeiterinnen stehen nicht mehr mit Rat und Tat zur Seite obwohl sie dies gerne weiterhin getan hätten. Dem zuständigen Ministerium in Magdeburg schien das egal.

    https://stattschamanen.wordpress.com/2014/06/03/steht-die-ids-halle-die-informations-und-dokumentationsstelle-zu-neureligiosen-und-ideologischen-gemeinschaften-vor-dem-aus/

    Dankesschreiben für diese Entscheidung können gerne direkt an Norbert Bischoff (SPD), Minister für Arbeit und Soziales und Landtagsabgeordneter im Land Sachsen Anhalt gerichtet werden. -> http://www.norbert-bischoff.de/

  2. Autsch. Ob dem Mann eine mittlerweile Jahrzehnte zurückliegende Berufsausbildung jetzt noch irgendwelche nennenswerten Chancen brächte, sei mal dahingestellt. Aber es wäre wenigstens etwas, an das man anknüpfen könnte.

    Es ist wohl, ganz unabhängig von der weltanschaulichen Position, sehr riskant, sich voll und ganz von einem Arbeitgeber abhängig zu machen. Erst recht, wenn der einen daran hindert, „in der Welt“ Freunde und Bekannte zu haben und einen sogar von der eigenen Familie isoliert, wenn die nicht auch zur Jüngerschaft gehört.

    Furchtbar, wenn man dann so einfach ausgespuckt wird und vor dem Nichts steht. Der Schritt in den Pionierdienst mag naiv gewesen sein, aber so gehört einfach nicht mit Leuten umgegangen.

    (Dass Firmen es, soweit sie damit durchkommen, genauso machen, macht diesen Fall nicht weniger unappetitlich.)

  3. Mein Bruder hat im Bethel mehr als 36 Jahre als Diplom Engenieur gedient. Jetzt wird auch er mit einem Alter von 60 Jahren einfach so rausgeschmissen.

    Kann jetzt in den Predigtdienst als Sonderprediger oder wie das bei denen noch heisst weitermachen, bis zum Abwinken.

    Unglaublich, wie die mit den Leuten umgehen. Ja, das ist das wahre Gesicht der lieblichen Burderschaft dieser Heuchler.

    Bin froh, dass ich mit denen seit zwanzig Jahren nichts mehr zu tun habe.

  4. Ach ist das schön, wenn man sich auf einen Gott beruft.

    Wer wollte da widersprechen, das ist doch „Jehovas“ Wille.

    Eine Gewerkschafts-Anbindung wird es dort auch nicht geben.

    Ich denke auch, daß die Zeit der Zeugen langsam, aber sicher zu Ende geht und nicht die Welt.

    Der christliche Glaube, verliert in Europa immer mehr an Boden, dafür sprießt der Aberglaube, um so mehr; die Menschen sind nicht weniger religiös, sondern der Glaube verlagert sich von den Kirchen, hin zur Esoterik, in all seinen Facetten.

    Auch früher gab es schon Menschen, die nur in die Kirche gingen, um nicht in der Dorfgemeinschaft aufzufallen, also gab es die „Ungläubigen“ auch schon immer.

    Aber eines muß man den Zeugen lassen, sie haben keinen ausgeprägten Mystizismus, mit irgendwelchen obskuren Botschaften vom Himmel, sondern stützen ihre Lehre auf die Bibel – sie nennen sich auch Bibelforscher.

    Aber darin liegt auch das hier geschilderte Problem, da sie doch etwas bodenständiger sind, werden sie ihr System an die Gegebenheiten anpassen und das heißt halt: Einsparungen.

  5. Selbst schuld.Über Ausbildung muss man schon früher gedanken machen. Das habe ich vor 50 Jahren in Polen auch gemacht. Obwohl manche waren sehr skeptisch in bezug auf „weltliche Bildung“,trotzdem meine Eltern (überzeugte ZJ) haben entschieden, mich zur Schulen zu schicken um einen soliden Beruf zu lernen. Das hat auch (trotzt Schwierigkeiten) geklappt. Heute, nach 11 Jahre Vollzeitdienst, űber solche Probleme kann ich mich nicht beschweren. Fazit:Sehr oft muss man eigene Meinung haben und dementsprechend handeln.

  6. Das erinnert mich an meine eigene Kindheit bei den Zeugen. Da stürzten sich viele in den Predigtdienst und hörten zu arbeiten auf oder sparten an der Altersvorsorge, weil man für 1975 mit dem Ende rechnete.
    Das hatte schon damals für viele ein böses Erwachen zur Folge.

  7. Die vorübergehende Trennung(bis nach Harmageddon)von einigen wertvollen Immobilien in Brooklyn steht ja auch schon an. Dann werden die sicher nicht mehr ganz so klamm sein.
    http://www.thestar.com/news/world/2015/12/13/jehovahs-witness-sells-brooklyn-properties-gets-1-billion-us.html
    Immerhin hat sich seit dem Kauf des Objektes der Preis recht zügig nach OBEN entwickelt. Ob da wohl nicht etwa der große Jehova persönlich die Auswahl getroffen hat?

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