Praktisch eine direkte Fortsetzung unseres gestrigen Blog-Posts
Impf-Aufklärung: Persönliche Storys zählen mehr als Fakten“
ist heute bei Zeit-Online erschienen.
Zwei Redakteure haben rund 8000 Leserkommentare zum Thema Masern und Impfen analysiert:
Dabei ging es nicht darum zu bestimmen, wer recht hat, sondern dem Phänomen der Frontenbildung nachzuspüren und die spezifischen Charakteristika der Impfdebatte herauszuarbeiten.“
Als „beherrschenden Argumentationspole“ arbeitet die „Community“-Redaktion des Wocheblatts heraus:
1. Individuelle Verantwortung versus gesellschaftliche Verantwortung:
Die Freiheit des einzelnen hört auf, wo die des anderen beginnt – doch wer bestimmt, wo das ist? Ein Dilemma und Hauptmotor der Impfdebatte.“
2. Medizinischer Fortschritt versus Pharmalobby:
Wer profitiert vom Impfen? Helfe ich, gefährliche Krankheiten durch Herdenimmunität auszurotten, oder unterstütze ich gierige Pharmakonzerne?“
3. Nutzen versus Schaden:
Beide Seiten werfen sich gegenseitig vor, Schaden anzurichten. Für die einen liegt der Schaden in der Anwendung, für die anderen in der Nicht-Anwendung.“
Als „Charakteristika eines typischen Debattenverlaufs“ nennen die Autoren:
1. Studien und Expertengerangel:
Können Sie Ihre These durch eine Studie untermauern? Das ist eine der am häufigsten gestellten Fragen unter Kommentatoren, denn nichts stört sie so sehr wie „in den Raum gestellte Meinungen“.
2. Lust an der Beleidigung:
Beleidigungen sind fester Bestandteil jeder Debatte.“
3. Krasse Forderungen:
Impfbefürworter handeln, Impfgegner nicht. Auch deshalb fühlen sich Impfbefürworter von der Weigerung, sich impfen zu lassen, herausgefordert. Die Folge: Sie stellen weitreichende Forderungen zur Durchsetzung ihrer Ziele.“
4. Uniformiertheit auf beiden Seiten:
Wenn Leser zugeben, bislang nicht gewusst zu haben, dass es sich bei Masern um eine schwere Krankheit handelt, dann sind das nicht nur Impfgegner.“
5. Hinkende Vergleiche:
Weit hergeholte Vergleiche sind kein exklusives Phänomen der Impfdebatte, aber eines, das hier besonders häufig zu beobachten ist, vielleicht weil die Diskutanten mit Argumenten nicht weiterkommen.
Beispiel: Die individuelle Impfentscheidung ist so sinnvoll wie die individuelle Entscheidung, ob ich angeschnallt oder vielleicht besoffen Auto fahre.“
6. Unterschiedliche Argumentationsstrategien:
Impfbefürworter wollen Impfgegner bekehren, und um dieses Ziel zu erreichen, wenden sie unterschiedliche Strategien an […]
Impfgegner reagieren stoisch, abgeklärt und mit einem überschaubaren Argumentationsrepertoire. Zum Beispiel indem sie kommentarlos Links auf impfkritische Webseiten setzen, unabhängig davon, was gerade diskutiert wird.“
So oder so ähnlich mag es tatsächlich ablaufen, wie wir zum Beispiel hier erlebt haben.
Aber was folgt nun aus dieser Betrachtung?
Leider nichts Neues, Bedenkenswertes oder gar praktisch Anwendbares:
Ein ernsthafter Versuch, Impfskeptiker zu überzeugen, liegt in der Auseinandersetzung mit ihren Argumenten“,
lesen wir am Ende des Artikels.
Genau, und bei dem „Versuch“ bleibt es in aller Regel auch, denn mehr bringt die Auseinandersetzung mit Impfgegner-Argumenten üblicherweise nicht, wie wir immer wieder gemerkt haben.
Und:
Es gibt Impfgegner mit Fragen, die den einen banal, den anderen aber diskussionswürdig erscheinen.“
„Fragen“, egal ob banal oder diskussionswürdig, beantworten wir normalerweise immer sachlich und ausführlich.
Dass daraus eine konstruktive Diskussion mit Impfgegnern entsteht, liegt zumindest bislang außerhalb unserer Erfahrungen.
Der Zeit-Beitrag ist als Vermittlungsversuch sicher gut gemeint und bringt ein wenig analytische Klarheit in die Debattenführung.
Aber schon die ersten Kommentare zu dem Artikel bringen die Sache eigentlich auf den Punkt:
In jedem Kommentarbereich zu dem Thema finden sich doch die Links und Verweise auf eine unüberschaubar große Zahl wissenschaftlicher Publikationen, die bei der Abwägung der Impffrage zu dem Ergebnis kommen, dass Impfen Nebenwirkungen hat, diese aber um Größenordnungen weniger wahrscheinlich und gefährlich sind als die Krankheiten, vor denen sie schützen.
Ab diesem Moment sollte die Diskussion ja eigentlich beendet sein. Ist sie aber nicht, wie auch dieser Artikel belegt.
Das liegt meiner Meinung nach daran, dass hier nicht Impfgegner und Impfbefürworter aufeinander treffen, sondern Gruppen, die gegensätzliche Positionen einnehmen hinsichtlich der Informationen, die in ihr Weltbild einfließen.“
Eben.
Was die Zeit-Online-Redakteure völlig außer Acht lassen, ist der ideologisch-weltanschaulich-religioide Aspekt der Impfverweigerung. Die Panorama-Redakteure haben das besser erkannt und das Weltbild der Impfgegner schlicht „wirr“ genannt.
Natürlich bringt in dieser Auseinandersetzung „Die Lust an der Beleidigung“ nichts – Argumente aber eben auch nichts.
Die drängende Frage nach einer erfolgversprechenden Impf-Aufklärung kann auch Die Zeit nicht beantworten.
Zum Weiterlesen:
- Impfdebatte: Gegen Argumente resistent, Zeit-Online am 21. März 2015
- Impf-Aufklärung: Persönliche Storys zählen mehr als Fakten, GWUP-Blog am 20. März 2015
- Panorama: „Das wirre Weltbild der Impfgegner“ und ihr Lobgejodel auf die Anti-Realität, GWUP-Blog am 20. März 2015
- Was tun gegen Impfgegner? Jetzt sind Emotionen gefragt, GWUP-Blog am 18. Februar 2015
- Impfgegner drehen durch: immun gegen jede Vernunft, GWUP-Blog am 1. März 2015
- Mit ideologisch verbohrten Impfkritikern ist Reden und Diskutieren zwecklos! Ratgeber-News-Blog am 11. März 2015
- Reizthema Impfen: Der Hang zu abstrusen Heilslehren, profil am 24. Februar 2015
- Die Top 9 Denkfehler und Fehlschlüsse von Impfgegnern, skeptiker.ch am 15. Februar 2015
- Die falsche Angst vor dem Richtigen, derFreitag am 11. Februar 2015
- Impfgegner bar aller Vernunft, Gesundheits-Check am 21. März 2015
- Brief an den Impf-Skeptiker: „Du bist nicht alternativ oder modern, sondern dumm“, Focus-Online am 25. Februar 2015
- Homöopathie und Impfen bei „Hart, aber fair“ am Montag, GWUP-Blog am 21. März 2015
21. März 2015 um 17:00
Unabhängig vom Zeit-Artikel sehe ich schlicht und einfach keine Möglichkeit einen dogmatischen Impfverweigerer von irgendwas zu überzeugen, was seiner (oder ihrer) Weltsicht widerspricht, sofern die betreffende Person gar nicht in Betracht zieht falsch zu liegen.
Auch in den Kommentarspalten der Zeit gilt: Die Debatte führt man nicht gegen die Dogmatiker, sondern für all jene die nicht dogmatisch sind, sondern unschlüssig.
Imho ist die Frage „Was muss passieren, damit du deine Meinung/Überzeugung änderst?“ an Impfverweigerer, Homöopathen usw. immer noch am besten, weil sie entweder dazu führt, dass man einen Ansatzpunkt für eine Debatte hat, die evtl. was bewegt, oder zumindest allen Mitlesern deutlich vor Augen führt, dass dort ein Dogmatiker unterwegs ist.
Viel mehr wird man in Kommentarspalten eh nicht erreichen. Aufklärung muss woanders passieren.
20. Juni 2015 um 22:37
Ja, das ist leider war, aber mit was muß man geimpft sein, um immun gegen ‚Argumente‘ zu sein? – Mit einer Überdosis populistischen pseudowissenschaftlichen Schwachsinn, etwa?
Es scheint so zu sein…wir haben mit dem Medium ‚Internet‘ die Spitze der (Pseudo-)Aufklärung erreicht…war das die Intention des Internets? War es nicht vielmehr der Wunsch einer globalen Vernetzung, um Wissen auszutauschen?
Sorry, aber ich sehe „schwarz“; das ‚Internet‘ hat sich verselbständigt und ist schon längst ‚unterwandert’…und die naive Ansicht, „wir“ könnten es wieder zurückerobern, und es zu dem zu machen, zu was es einmal vorgesehen war…ist mehr als optimistisch.