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Champions-League: Alles eine große Verschwörung?

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Champions-League-Abend, Verschwörungszeit:

Noch bevor das Spiel begonnen hatte, witterte Franz Beckenbauer bereits eine Verschwörung gegen seinen FC Bayern:

Das Spiel der Bayern in Turin wird heute übrigens ein Spanier pfeifen: Carlos Velasco Carballo.

Eine zumindest pikante Ansetzung, schließlich sind ja auch noch zwei spanische Teams im Rennen – und die würden sich sicher nicht sonderlich ärgern, wenn die Bayern rausfliegen würden. Franz Beckenbauer ist jedenfalls sauer. Er wittert sogar eine Verschwörung:

„Ich kenne mich in der Fifa und in der Uefa aus. Ich weiß, wie was gemacht wird. Ich verstehe das nicht. Es ist so, dass sowohl bei der Fifa als auch bei der Uefa derjenige, der für die Schiedsrichter zuständig ist, auch ein Spanier ist. Ich sage: Der Schiedsrichter spielt heute eine entscheidende Rolle“, sagte Beckenbauer bei Sky.“

Gestern Abend waren es die Mannen des FC Málaga, die nach dem Aus gegen Dortmund von einer „Verschwörung“ sprachen:

Die Anhänger der Verschwörungstheorie verweisen darauf, dass die Europäische Fußball-Union den FC Málaga aus finanziellen Gründen für die Champions League in der nächsten Saison gesperrt hat. Und nun – so wird spekuliert – wolle man den Club nicht im Finale sehen.“

Nun ja.

In meinem Buch „Elvis lebt“ habe ich über Verschwörungstheorien im Fußball geschrieben.

Das war vor drei Jahren, und auch damals ging es um Bayern München. Und um die Uefa. Und um Abseits. Und um Schiedsrichter. Und um Geld.

Und irgendwie klingt alles immer gleich.

Deshalb hier nochmal das ganze Kapitel. Namen und Daten sind im Grunde beliebig austauschbar:

 

Wenn es um die schönste Nebensache der Welt geht, waren italienische Medien noch nie besonders zimperlich. Aber nach dem Champions-League-Spiel der Münchner Bayern gegen den AC Florenz im Achtelfinale 2009/2010 fegte ein Sturm durch den Blätterwald.

„Da spielst du das Spiel deines Lebens, und dann kommt dieser Kerl und ruiniert dir den Abend“, beschrieb gewohnt melodramatisch La Gazzetta dello Sport den Tathergang.

Der seriöse Corriere della Sera wurde noch deutlicher: „Die Fiorentina wird von einer fetten, norwegischen Pfeife besiegt, die eine Minute vor Schluss Kloses Abseitstor anerkennt.“

Der skandinavische Schiedsrichter Tom Henning Övrebö habe „Probleme mit Italien“, behauptete die Mailänder Zeitung. Immerhin habe er bei der EM 2008 ein reguläres Tor von Luca Toni gegen Rumänien als Abseitstor annulliert.

Der vermeintlich Unparteiische solle seinen Job wechseln, regte Fiorentina-Besitzer Diego Della Valle an (der auch Anteilseigner beim Corriere ist).

La Nazione, die Zeitung aus Florenz, wusste schon genau, wo Övrebö („Sieht aus wie die Comicfigur Hulk“) am besten einzusetzen wäre: „Schickt ihn mitsamt seiner Linienrichter aufs Kartoffelfeld.“

Was war geschehen? Kurz vor Spielende hatte der eingewechselte Miroslav Klose den 2:1-Siegtreffer für den FC Bayern erzielt.

Die Gäste reklamierten umgehend – und zwar zu Recht, nichtsdestotrotz erfolglos. Klose stand klar im Abseits. „Das war Abseits“, sagte sogar Bayern-Trainer Louis van Gaal: „An Stelle der Italiener wäre ich auch sauer.“

Sauer? So einfach ist das nicht.

Sauer kann man sein über einen verschossenen Elfmeter. Oder über eine verstolperte Großchance. Aber ein Abseits, das jeder andere im Stadion und zuhause am Fernseher gesehen hat, nur nicht der Schiedsrichter? Das passiert doch nicht einfach so.

Und schon gar nicht, wenn die Antwort auf die alles entscheidende Frage mit Händen greifbar ist: „Wem nützt es?“

Das ist leicht zu sagen. „Wo es der Wettkampf nicht regelt, gibt es immer noch einen Schiedsrichter“, geheimniste La Nazione. „Und wo der nicht ausreicht, gibt es den Linienrichter.“

Will heißen: Den reichen und mächtigen Bayern musste gegen die Außenseiter aus Florenz geholfen werden – um einen Sieg oder auch nur ein Unentschieden aufrechter Fußball-Proletarier zu verhindern.

Damit wäre die Partie Bayern – Florenz gewissermaßen die Münchner Variante von Irland – Frankreich, jenem skandalösen WM-Qualifikationsspiel vom November 2009, bei dem die Grande Fußball-Nation sich durch ein offensichtliches Hand-Tor von Thierry Henry nach Südafrika mogelte.

Da hatte Irland-Coach Giovanni Trapattoni mehr als fertig.

Eine zweite Theorie köchelte ausgerechnet die in München erscheinende Süddeutsche Zeitung auf.

Sie besagt, die Fiorentina sei zum Scheitern verdammt, auf dass Italien einen Champions-League-Platz an Deutschland abgebe. Ein klassisches Bauernopfer im Machtkampf der Fußball-Großmächte, die in der UEFA wie im politischen Europa tonangebend sind.

Die Drahtzieher Michel Platini und Kalle Rummenigge, so munkelt man in Florenz, hätten ihr Handwerk seinerzeit bei den Machiavellis von Juventus Turin und Inter Mailand gelernt.

Inter Mailand? Verschwörung? Da war doch was.

Richtig:

„Das stinkt doch! Sie wollen uns den Meistertitel nicht frühzeitig gewinnen lassen“, zürnte Inter-Trainer José Mourinho im Januar 2010, obwohl sein Team gerade 2:0 gegen den Lokalrivalen AC Milan gewonnen hatte. Und doch …

„Heute wurde alles getan, damit wir nicht siegen!“, beschwor der Portugiese dunkle Mächte im Hintergrund des Derbys. Im Mittelpunkt des Komplotts: Schiedsrichter Gianluca Rocchi, der gleich zwei Inter-Spieler vom Platz gestellt und Verfolger Milan auch noch einen umstrittenen Elfmeter zugesprochen hatte.

Etwa zur gleichen Zeit vertrat die Madrider Sportzeitung As vehement die Ansicht, dass der Präsident des spanischen Fußballverbands, Angel María Villar, gegen Real Madrid sei und den Schiedsrichtern den Auftrag erteilt habe, den Meisterschaftsrivalen FC Barcelona systematisch zu bevorzugen.

As– Chefredakteur Alfredo Relaño kreierte dafür sogar den Ausdruck „Villarato“, übersetzt etwa „Villar-Regime.“. Real Madrid selbst „hüllt sich dazu in Schweigen, ging aber auch nicht auf Distanz zu der Verschwörungstheorie“, berichtete sogar die Financial Times Deutschland.

Kaum erst sind die berüchtigten „Men in Black“ als ufologische Folklore enttarnt worden, da haben wir es schon wieder mit „Männern in Schwarz“ zu tun.

Und diesmal agieren sie in aller Öffentlichkeit. Vor den Augen Zehntausender, ja von Millionen Fußballfans rund um den Globus. Aber woher kommen sie? Und wer hat sie instruiert?

Völlig klar: Wer aus einem Ereignis Gewinn zieht, muss es verursacht haben. Anders gesagt: Wenn man weiß, wer der Nutznießer ist, kennt man den Verschwörer. Also, schauen wir mal.

Wie war das beispielsweise mit dem Büchsenwurf vom Bökelberg?

Am 20. Oktober 1971 zeigte Borussia Mönchengladbach ihr bestes Europacup-Spiel aller Zeiten: 7:1 stand es nach 90 Minuten gegen Inter Mailand.

Doch am Ende zählte das Ergebnis nicht, weil ein gewisser Roberto Boninsegna nach einem Büchsenwurf aus der Gladbacher Fankurve umfiel und sich theatralisch vom Feld tragen ließ. Der vermeintliche Büchsenwerfer wurde noch am Tatort abgeführt.

25 Jahre später beteuerte der Lagerarbeiter aus Bracht (Kreis Viersen) in der Bild-Zeitung: „Ich habe nicht geworfen.“

Der damalige UEFA-Beobachter Matt Busby erwähnte den Büchsenvorfall seltsamerweise nicht einmal in seinem Spielbericht und formulierte über den Schiedsrichter lediglich lakonisch: „The referee was helped considerably with his linesmen and they were a good team.“

Das Spiel wurde annulliert, die Wiederholung endet 0:0, Gladbach schied aus.

Derselbe Schiedsrichter, Jef Dorpmans aus den Niederlanden, pfiff 1971 übrigens auch ein Spiel zwischen Ajax Amsterdam und Den Haag.

Mitten im Spiel flog wieder eine Büchse. Dorpmans forderte Ajax-Kapitän Johan Cruyff auf, das Ding wegzuräumen. Danach wurde weitergespielt. So kann es auch gehen.

Später sagte Dorpmans: „Ich war damals einer derjenigen, die eine Wiederholung unnötig fanden. Es gab aber eine Menge Italiener damals in den UEFA-Gremien und ohne jetzt suggestiv werden zu wollen: Inter Mailand hatte die richtigen Leute an der besten Stelle.“

Seltsam. Mal sind die Verschwörer also für Inter Mailand. Dann wieder gegen den Traditionsverein aus der lombardischen Hauptstadt.

Oder der FC Barcelona: mal Profiteur, mal Opfer.

Zugegeben, die Sache ist lange her.

1961 war es, da unterlag der Hamburger SV im ersten Halbfinalspiel des Europapokals der Landesmeister 1961 nur 0:1 bei den Katalanen.

Prompt witterte die spanische Presse Betrug.

Man habe ein geheimnisvolles weißes Pulver in der HSV-Kabine entdeckt, schrieben die Blätter.

Angeblich handelte es sich dabei nur um Traubenzucker, mit dem die Spieler ihren Fruchtsaft süßten, wie der brave Uwe Seeler schließlich behauptete.

Das kann man glauben. Oder auch nicht.

Und was ist mit dem FC Bayern?

„Jetzt sind wir glücklich“, erklärte Trainer Louis van Gaal nach dem Florenz-Spiel vielsagend. „Gegen Bordeaux zum Beispiel wurden wir benachteiligt.“

Vorsicht! So eine Äußerung kann einen schnell Kopf und Kragen kosten. Denn die Drahtzieher schlafen nicht.

2007 leitete der Deutsche Fußball-Bund (DFB) prompt ein Ermittlungsverfahren gegen Trainer Christoph Daum ein, als der nach einer Zweitliga-Niederlage seiner Kölner gegen Alemannia Aachen eine Verschwörung witterte.

Schiedsrichter Florian Meyer hatte zu Beginn der zweiten Halbzeit ein Tor von Adil Chihi wegen vermeintlicher Abseitsposition nicht anerkannt – ein Fehler, wie TV-Bilder zeigen.

„Das war eine bewusste Entscheidung gegen den 1. FC Köln“, argwöhnte Daum nach der Partie. „Die Schiedsrichter greifen immer mehr spielentscheidend ein. Sie sind keine Spielleiter mehr, sondern Spielentscheider. Zum x-ten Mal wurde uns nun schon beim FC ein klares Tor aberkannt. Solange ich beim 1. FC Köln bin, fallen die meisten Entscheidungen gegen uns.“

Hm, ist das wirklich so?

Trotz einer durchwachsenen Saison gelang Daum und dem 1. FC Köln am vorletzten Spieltag der Saison 2007/08 der Wiederaufstieg in die 1. Bundesliga. Und wer mag sich schon brave Pfeifenmänner wie Florian Meyer oder Dr. Markus Merk als „Agent J“ oder „Agent K“ vorstellen?

Sind die viel gescholtenen Männer in Schwarz tatsächlich „anders als der Rest der Menschheit, nicht an irgendwelche Schranken ihrer Vergangenheit, ihrer Leidenschaften oder ihrer menschlichen Begrenztheit gebunden, sondern aktiv und kühl berechnend“, wie Verschwörer nun mal angeblich agieren?

Wenn’s beim Fußball nicht so läuft, wie gewünscht, muss das als schlecht Erachtete erklärt werden.

Das ist verständlich. Kaum etwas ist so schwer zu ertragen wie der banale Zufall.

Insofern müssten Fußballfans eigentlich massenhaft dem Verschwörungsdenken zuneigen. Dass sie es nicht tun, hat einen simplen Grund: Der Schiri-Verschwörung fehlt ein unabdingbarer Bestandteil einer jeden Konspiration: ein eindeutiges Gut und Böse.

Denn am Ende gleicht sich immer alles wieder aus.

Und so blieb beim „Diebstahl von München“, unserem Eingangsbeispiel, einer ganz gelassen, während alle zeterten: Florenz-Trainer Cesare Prandelli:

„Ich kann 15 Sekunden wütend sein, danach muss ich das Spiel analysieren.“

Sicher, es habe eine Reihe von Fehlentscheidungen gegeben. Aber „wir dürfen uns nicht konditionieren lassen.“

Zugegeben: Diesmal funktionierte das nicht. Das Rückspiel gewann Florenz zwar mit 3:2, die Münchner kamen aber trotzdem weiter. Und erreichten sogar das Finale der Champions-League-Saison 2009/2010 – das die „reichen und mächtigen“ Bayern gegen Inter Mailand ohne ihren Erfolgsgaranten Franck Ribery bestreiten mussten.

Der hatte im Halbfinale für ein vergleichsweise harmloses Fouls die rote Karte gesehen und war von der Uefa daraufhin für drei Spiele gesperrt worden.

Sehr seltsam – fand nicht nur Bayern-Präsident Uli Hoeneß: „In der Uefa sind zu viele Italiener, die Interessen haben. Der Schiedsrichter war ein Italiener, unter den Leuten, die bei der Uefa aktiv sind, sind viele Italiener. Und kein einziger Deutscher …“

Aha.

Damals geheimniste Uli Hoeneß also etwas über „zu viele Italiener“ in der Uefa.

Heute munkelt Franz Beckenbauer über die konspirative Macht der Spanier beim europäischen Fußballverband.

Letztendlich ist das unterhaltsam – und gehört zu Fußballdramen wohl dazu.

Zum Weiterlesen:

  • 10 Dinge über Verschwörungstheorien, 11Freunde am 24. November 2011
  • Verschwörungstheorien im Fußball, Spiegel-Online am 23. November 2009
  • Bernd Harder: Elvis lebt. Herder-Verlag, Freiburg 201o


4 Kommentare

  1. Ich erinnere mich noch an eine CL-Auslosung vor 5 Jahren. Damals wurden in einem Liverpool-Fanforum Spielpaarungen vor der „Auslosung“ vorausgesagt, die anschließend exakt so eintrafen.

    Konspirativ wurde dies, da Wettanbieter nicht wie sonst üblich Wetten auf bestimmte ausgeloste Spielpaarungen anboten, sondern überhaupt keine Optionen auf irgendeine Auslosungen anboten.

    Ich bin kein Freund von Verschwörungstheorien, jedoch denke ich, dass es im Fußball/olympischen Sport, insbesondere auf Seiten der Funktionäre einige schwarze Schafe unterwegs sind, denen durchaus die ein oder andere Infamie zuzumuten ist.

    Dass einige Boulevardmedien bei Fehlentscheidungen die Schuld auf irgendeinen Sündenbock abwälzen muss ist wohl keine sensationelle Neuigkeit…

  2. @ trixi
    „Dass sich am Ende alles wieder ausgleicht…“.

    Ist das wirklich so? Schön bzw. gerecht wäre es jedenfalls.

    @ Michael
    „…jedoch denke ich, dass es im Fußball/olympischen Sport, insbesondere auf Seiten der Funktionäre einige schwarze Schafe unterwegs sind, denen durchaus die ein oder andere Infamie zuzumuten ist.“

    Davon bin ich auch überzeugt. Ist doch klar, fast überall dort, wo sehr viel Geld und somit Macht im Spiel ist, wird auch oft betrogen.

  3. @ trixi
    „Im Fußball…“

    Trixi, wie war das gemeint? Sorry, erkenne in den nur zwei Worten und drei Punkten leider keine Aussage.

  4. @ trixi

    Achso, danke. Jetzt habe ich es verstanden.
    O.K.!

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