Dass Arm- und Schwarmgeistern jedweder Couleur überall Tür und Tor geöffnet wird, sind wir Skeptiker ja nun schon gewohnt.
Heute zum Beispiel könnte ich bei der SeelenTor-Messe in Starnberg Vorträgen lauschen zu Themen wie „Medialität und Hellsicht – erwachen und wachsen in der Matrix“. Oder, noch besser: „Tod – Nahtoderfahrung – Koma: Wie fühlt sich das an? Bin ich auch hier geführt?“
Tja, wie mag sich das anfühlen, so ein Koma? Oder gar der Tod, wenn unser Hirn einfach abraucht?
Vermutlich stellen sich die Seelen-Toren das irgendwie lauschig und ganz wunderbar „spirituell“ vor. Vielleicht sollten die Damen und Herren besser mal echte Erfahrungsberichte von Schlaganfallpatienten lesen, anstatt sich von Spinnern sanft einlullen zu lassen. Oder mal ehrenamtlich in einem Hospitz arbeiten – da gäbe es genug wertvolle Erfahrungen zu sammeln.
Apropos Spinner: Gestern trafen sich mal wieder die führenden Wasser-Köpfe der Republik. In Bad Wörishofen, beim zweiten „Bad Wörishofener Herbst“. Die Lokalpresse weiß darüber Erstaunliches zu reportieren:
Durch den Transport in den Rohrleitungen gingen Leben, sprich wertvolle Kristalle im Wasser verloren, wusste Walter Wittman zu berichten. Heilende Wirkung schrieb Dr. Axel Weber, früher Oberarzt bei dem umstrittenen Krebsmediziner Prof. Julius Hackethal, der Kraft des Wassers auch bei der Behandlung von krebskranken Patienten zu. Der Mediziner setzt Wasser als Heilmittel im Rahmen einer ganzheitlichen Therapie ein und berichtete von Erfolgen.“
Wer ist wohl in der Lage, eine solche Hirnfraß-Veranstaltung ernsthaft zu moderieren? Natürlich kein Geringerer als unser Lieblings-Scheinheiliger Jürgen Fliege, der davon überzeugt ist, dass „persönlich passendes Wasser“ maßgeblich zu Gesundheit und Wohlbefinden des Menschen beiträgt.
Nur klüger scheint das nasse Element nicht zu machen. Offenbar misstraut der ehemalige „Oberschamane des Öffentlich-Rechtlichen“ (FAZ) der Omnipotenz von Wasser doch genug, um eine Alternative zu empfehlen. Und die heißt: Geistheilung. Also erwartet Ober-Obskurant Fliege zu einer aberwitzigen „Nacht der Heiler“ unter anderem Szene-Größen wie Christos Drossinakis.
Und tatsächlich geschieht diesmal ein Wunder!
Denn der Bürgermeister des Unterallgäuer Kurorts und mit ihm zahlreiche Bewohner gehen offen auf Distanz zu dem Wirrsinns-Event.
Ich habe mit einigen Angeboten meine Probleme“,
wird Klaus Holetschek in der Süddeutschen zitiert:
Damit meint er vor allem die ,Nacht der Heiler‘, bei der mehrere Geistheiler hilfesuchenden Menschen die Hände auflegen … Viele fürchten um das Image des Kurorts, manche sehen das Erbe Sebastian Kneipps für kommerzielle Zwecke missbraucht. Der Pfarrer hatte im 19. Jahrhundert in Wörishofen die berühmte Kneipp-Kur entwickelt.“
Laut Augsburger Allgemeinen kommt Holetschek nicht umhin, die Veranstaltungsreihe mit mehr als 50 Programmpunkten als „Wirtschaftsförderung“ zu betrachten. Andererseits scheint der CDU-Mann durchaus mit Gegen-Plakatierungen besorgter Bürger a la „Seelenpfuscher unterwegs“ zu sympathisieren.
Nun ja. Klar kann und muss man wohl das geist-lose Spektakel unter Regionalmarketing-Aspekten als eine Art Wirtschaftsförderung betrachten, denn Bad Wörishofens Stammkundschaft stirbt langsam weg – ein Spaziergang durch den Ortskern legt ein gefühltes Durchschnittsalter von zirka 70 Jahren bloß.
Dass indes nicht mal ein einziger ehrgeiziger, aufrechter, rationaler o.ä. Redakteur der Lokalzeitung es im Vorfeld schafft, ein paar kritische Argumente gegen den Bullshit vor seiner Haustür und die depperten Protagonisten zusammenzutragen, macht ratlos und traurig zugleich.
Und Jürgen Fliege?
Er macht auf Toleranz, aber wenn jemand nicht seiner Meinung ist, dann ist er nicht mehr so freundlich“,
erklärt der katholische Dekan Michael Kratschmer ebenfalls in der Süddeutschen. Fliege habe Dinge gesagt, die „recht vulgär“ und „eines Pfarrers unwürdig“ waren.
Sagen wir mal so: Bekanntermaßen vertritt Pfarrer Fliege Auffassungen, die eines vernünftig denkenden Menschens unwürdig sind. Warum dies in aller Regel erst dann bemerkt wird, wenn es zu spät ist – das ist das eigentliche Rätsel an der Sache.
31. Oktober 2010 um 13:47
Na ja, Katholische Kirche gegen Geistheilungen, da tobt die Konkurrenz der Kurpfuscher
31. Oktober 2010 um 13:53
@kajo:
In diesem Fall decken sich die Anliegen von KK und Skeptikern mal, wenn auch womöglich vor jeweils anderem Hintergrund, das mag in der Tat sein.
31. Oktober 2010 um 17:38
Wenn die katholische Kirche sich zu Thema Geistheilung rauskommt, dann ist Konkurrenzbashing alles, was diese Theologen zu bieten haben. Sobald eine Spektiker mit seinem rationalen Weltbild die Wunder dieser Kirche in Frage stellt, kann man sich unter Umständen den Vorwurf einhandeln, ein kirchenhassender Fanatiker zu sein. Guadalupo und Fatima sind nur 2 Beispiel für die Vermarktung des irrationalen Aberglaubens seitens dieses Vereins.
31. Oktober 2010 um 17:44
@ Randifan:
Fatima:
https://blog.gwup.net/2010/05/09/die-geheimnisse-von-fatima-i/
Guadeloupe:
https://blog.gwup.net/2010/02/03/p-m-das-peinliche-magazin/
31. Oktober 2010 um 18:27
Auch Pfarrer Kneipp hatte zu seiner Zeit Probleme mit der katholischen Kirche, da er als Pfarrer ohne Approbation heilte – wo bitte bleibt die Toleranz? Soll doch jeder nach seiner Art glücklich werden – und wenn einem geholfen wird, ist es doch egal, wer oder was eine Heilung bewirkt. Es gibt gute und schlechte „Heiler“, aber es gibt auch gute und schlechte Ärzte!
31. Oktober 2010 um 18:41
@bayernlady:
<< Wo bitte bleibt die Toleranz? Soll doch jeder nach seiner Art glücklich werden – und wenn einem geholfen wird, ist es doch egal, wer oder was eine Heilung bewirkt. <<
Sie sagen es: *Wenn* einem geholfen wird. Wenn Sie Toleranz für "Geistheiler" und andere Scharlatane einfordern, müssten Sie aber erst einmal belegen, *dass* diese Leute tatsächlich in der Lage sind, jemandem zu helfen. Das sind sie aber nicht, wie zahlreiche objektive Tests ergeben haben – außer vielleicht einem kurzfristigen „Wohlfühl“-Effekt, der hinlänglich durch das besondere Setting solcher Veranstaltungen etc. zu erklären ist.
Und dass die Lieblings-Phrase aller Obskuranten (und all derer, die "Toleranz" für sie fordern): "Wer heilt, hat Recht" falsch ist, haben wir hier schon so oft erörtert, dass ich nur noch auf einen der zahllosen Beiträge dazu verweisen möchte:
https://blog.gwup.net/2010/08/31/wer-heilt-hat-recht/
<< Es gibt gute und schlechte "Heiler", aber es gibt auch gute und schlechte Ärzte!<<
Klar – und es gibt gute und schlechte Autowerkstätten, gute und schlechte Handwerker und so weiter. Nur ist das nicht ganz dasselbe wie „schlechte Heiler“.
Natürlich gibt es auch schlechte Ärzte – das ist aber ein Problem des einzelnen Arztes, der jedoch grundsätzlich auf ein gesichertes und erprobtes Wissen in seinem Fach zurückgreifen kann, es aber möglicherweise individuell falsch anwendet.
Und das ist der Unterschied zu "Heilern" und Pseudowissenschaflern wie diese "Wasserexperten", die lediglich eigene – wissenschaftlich ungeprüfte – Überzeugungen, Pseudo-Wissen, unbelegte Glaubensgrundsätze und erwiesenen, das heißt zig-fach widerlegten, Unsinn von sich geben. Und zwar ganz weit außerhalb der „Scientific Community“, also jener Gemeinschaft von Personen, die weltweit nach den anerkannten Maßstäben wissenschaftlicher Arbeit vorgehen.
Wenn Sie sich die Mühe machen, sich über kritische Heiler-Tests zu informieren, werden Sie schnell feststellen, dass kein "Geistheiler" – ob Bruno Gröning oder die heutigen „Stars“ – die Fähigkeiten besitzt, die er behauptet. Und schon gar keine Menschen damit "heilen" kann:
http://www.gwup.org/zeitschrift/skeptiker-archiv/455-skeptiker-1998-1
Trotzdem mit dieser einträglichen Masche hausieren zu gehen (und sich von Leuten wie Fliege protegieren lassen), ist so fahrlässig und gefährlich für die Menschen, die sich (u.U. mit schweren Erkrankungen) diesem Blödsinn ausliefern, dass wir dafür keinerlei Toleranz aufbringen können. Und zwar im Interesse von Leib und Leben der Patienten!
Und worin bitte besteht denn Ihrer Meinung nach die „Hilfe“, wenn Menschen, die eine professionelle Behandlung durch Psychologen oder andere Mediziner benötigen, von Herrn Fliege ermutigt werden, Wunderheiler aufzusuchen? Für uns ist das das genaue Gegenteil von Hilfe, nämlich unverantwortliche Ignoranz und Selbstüberschätzung.
Oder kurz zusammengefasst: Toleranz ja – Ignoranz nein.
6. September 2013 um 16:36
Was Fliege macht, ist unserös.
Was der Konzern Nestle macht, ist – wenn die Vorwürfe stimmen – noch trauriger:
Bottled Life – Die Wahrheit über Nestle´s Geschäfte mit dem Wasser (ab 12. September kommt der Dokumentarfim in die deutschen Kinos)
http://www.bottledlifefilm.com/
6. September 2013 um 16:39
@Pierre Castell:
Oh, mit über einem Jahr Verspätung:
http://www.tagesanzeiger.ch/kultur/kino/Dokufilm-uebt-massiv-Kritik-an-Nestle/story/31103319
6. September 2013 um 16:52
@ Bernd Harder
„Oh, mit über einem Jahr Verspätung“
In diesem Jahr hatten die Anwälte des Weltkonzerns sicher sehr viel zu tun;-)