gwup | die skeptiker

… denken kritisch seit 1987.

Geoengineering und Chemtrails: Interview mit Jörg Lorenz

| 21 Kommentare

Schluss mit Verschwörungstheorie – Harvard-Wissenschaftler bestätigen nunmehr, dass „Besäen“ der Atmosphäre möglicherweise die einzige Hoffnung ist, den Klimawandel reduzieren zu können – aber zu welchem ​​Preis für die Menschheit?“

Diese Meldung vom April nahmen wir zum Anlass für ein Interview mit dem Berliner „Chemtrail“-Aufklärer Jörg Lorenz im Skeptiker (2/2017).

Lorenz betreibt die Webseiten chemtrail-fragen sowie chemtrailbilder und hat das „Chemtrailhandbuch“ geschrieben.

Zu unserem Interviewthema findet sich bei chemtrail-fragen der Artikel „Debunking: Aktuelle Experimente beim Geoengineering“.

Veröffentlichungen zur Debatte um „Climate Engineering“ haben unter anderem das Bundesforschungsministerium („Gezielte Eingriffe ins Klima?“) und die Deutsche Forschungsgemeinschaft („Der Traum von der Steuerung des Klimas“) herausgegeben.

Hier in einer leicht gekürzten Fassung unser Gespräch mit Jörg Lorenz.

Skeptiker: In der Facebook-Gruppe „Globale Vergiftung durch Chemtrails & HAARP“ postete im Mai jemand einen interessanten Artikel: „Solar Geo-Engineering Experiment zur Klimamanipulation beginnt“. Diese Pläne existieren tatsächlich, bei den Initiatoren handelt es sich um die renommierten Harvard-Professoren David Keith und Frank Keutsch. Ist das „das Ende der angeblichen Verschwörungstheorie“, wie Chemtrail-Gläubige das Posting kommentierten?

Jörg Lorenz: Nein, die wird es weiterhin geben. Aber sie verändert sich. Wir können derzeit beobachten, dass die Chemtrail-Verschwörungstheorie zu ihrem zentralen Kern zurückkehrt. Es ging dabei von Anfang an um das Klima – nicht um Bevölkerungsreduktion, heimliche Impfungen, Wetterkriegsführung, das Verbergen des herannahenden Planeten Nibiru oder ähnliches.“

Aber all das wird doch in Chemtrail-Foren diskutiert.

Ja, aber das sind Teilströmungen, die entstanden sind, als man zum eigentlichen Thema Klimamanipulation nichts Brauchbares fand. Es gab für die Verschwörungstheoretiker eine Zeitlang praktisch nichts mehr zu tun.

Dieses vorübergehende Vakuum füllten einige Szene-Protagonisten mit bizarren Spekulationen wie den eben genannten. Das Fußvolk musste schließlich bei der Stange gehalten werden. Von außen konnte man deshalb den Eindruck gewinnen, dass jeder Chemtrail-Anhänger an etwas anderes glaubt.“

Wie ist denn dieses Vakuum entstanden?

Mitte bis Ende der 1990er-Jahre war in den USA und in Kanada schon von Chemtrails die Rede. Über die englischsprachigen Länder schwappten die Chemtrail-Märchen in den 2000ern nach Deutschland. Die Initialzündung gab 2004 ein Artikel in der Zeitschrift Raum & Zeit: „Die Zerstörung des Himmels“. Dieser Text ist gewissermaßen die Basis der Verschwörungstheorie – bis heute.

Der Schweizer Gabriel Setter behauptet darin, dass es sich bei den langlebigen Kondensstreifen um künstlich ausgebrachte Chemtrails aus Barium und Aluminium handele. Diese Chemtrails seien ein Mittel des Geoengineering, um die Sonneneinstrahlung abzuschwächen. Alles vor dem Hintergrund einer gezielten Beeinflussung des Klimas im Kampf gegen die globale Erwärmung.

Solche theoretischen Ansätze gab es wirklich. Was es nicht gab, waren konkrete Fachaufsätze oder wissenschaftliche Dokumente dazu. Zumindest nicht im deutschen Sprachraum. In dieser Zeit füllten Chemtrail-Gläubige die Konsistenzlücken ihrer Verschwörungstheorie mit allem möglichen Unsinn. Jeder brachte eine andere Pseudo-Erklärung ein, wozu die Streifen am Himmel gut sein könnten.“

Und das ist heute nicht mehr so?

Die Situation änderte sich um 2011, als immer mehr deutschsprachige Veröffentlichungen zum Thema Geoengineering erschienen, bis in die Boulevardpresse hinein. Vor allem die Überlegungen zum Solar Radiation Management elektrisierten Chemtrail-Gläubige, denn SRM soll der globalen Erwärmung durch eine Reduzierung der Sonnenstrahlen entgegenwirken – also genau das, wovon in „Die Zerstörung des Himmels“ die Rede war.“

Und darum geht es auch in dem geplanten Experiment von David Keith und Frank Keutsch. Sie wollen nächstes Jahr untersuchen, wie man das Licht der Sonne schon in höheren Luftschichten ablenken könnte. Nur hat das nichts mit chemischen Kondensstreifen zu tun, die angeblich von Aberhunderten Flugzeugen täglich versprüht werden.

Richtig. Das ist zugleich die Antwort auf Ihre Eingangsfrage. Die Chemtrail-Verschwörungstheorie lebt fort. Chemtrail-Gläubige werden weiterhin Fotos von Kondensstreifen und neuerdings auch vom Abendrot posten und behaupten, das seien Beweise für Geoengineering. Ich denke eher, dass sich für uns Aufklärer einiges ändert.“

Nämlich?

Die wissenschaftliche Debatte über die Risiken und Chancen von Geoengineering ist in vollem Gange. Und jetzt gibt es auch die ersten begrenzten Experimente dazu in freier Natur, wie jene von Keith/Keutsch, die Kalzit-Partikel mit Ballons oder Flugzeugen in die Stratosphäre sprühen wollen.

Mittlerweile gibt es Indizien dafür, dass in absehbarer Zeit eine weitere Methode am Himmel experimentell getestet werden soll, genannt Cirrus cloud seeding, also das Ausdünnen von Cirrus-Wolken. Während SRM bei einer möglichen Umsetzung per Ballon in großer Höhe durchgeführt würde, fände Cirrus cloud seeding genau dort statt, wo auch Kondensstreifen entstehen.

Hier können wir dann nicht mehr wie bisher argumentieren, dass Geoengineering sich in einer Höhe abspielt, die von Flugzeugen gar nicht erreicht werden kann, sondern müssen ins Detail gehen, um aufzuzeigen, dass die Streifen damit trotzdem nichts zu tun haben.

Auf solchen aktuellen Entwicklungen müssen wir als Skeptiker und Debunker vorbereitet sein. Sonst machen wir uns unglaubwürdig.“

Zumal die Chemtrail-Szene aus diesen Vorhaben ganz neues Selbstbewusstsein ziehen wird.

Ohne Frage. Von 2004 bis vor ein paar Jahren konnte man Chemtrail-Gläubige, wenn man das denn wollte, als Spinner, Wichtigtuer oder Versager abtun, die die Schuld für alles, was ihnen widerfährt, bei anderen suchen. Das ist nicht mehr angemessen.

Dadurch, dass Geoengineering ein reales öffentliches Thema ist, verfallen auch Menschen dem Chemtrail-Glauben, die normalerweise überhaupt nichts mit Verschwörungstheorien am Hut haben.

Selbst Akademiker. Diese Frauen und Männer wollen gegen Geoengineering kämpfen, kennen sich aber am Himmel nicht aus und nehmen deshalb alles, was man ihnen dort zeigt, als Bestätigung für eine bereits stattfindende Klimamanipulation.“

Aus welchem Grund meinen diese Leute, Geoengineering bekämpfen zu müssen?

Das Hauptmotiv ist die Angst vor Gesundheitsgefahren. Hauptsächlich durch den Fallout der „Chemtrail-Gifte“. Andere fürchten den „Lichtraub“, also dass sie weniger Sonnenlicht abbekommen oder nur noch ein unvollständiges Lichtspektrum. In entsprechenden Online-Foren finden sich ganze Listen von Erkrankungen als Folge des „psychisch-geistigen Lichtmangels“. Viele haben auch Angst um ihre Tiere.“

Was heißt das nun effektiv für die Aufklärungsarbeit?

Das heißt vor allem, dass Personen, die über die Chemtrail-Verschwörungstheorie aufklären wollen, auf dem neuesten Stand sein müssen. Das ist leider nicht immer der Fall.

Journalisten suchen gerne bei besonders krassen Facebook-Gruppen – eine davon haben Sie genannt – nach abseitigen Zitaten, wie etwa zur „Neuen Weltordnung“ oder zu „Erdbebenwaffen“. Natürlich findet man dort auch sowas – nur hat das nichts mit dem roten Faden der Chemtrail-Verschwörungstheorie zu tun.

Dann stehen plötzlich Fremdeinflüsse aus der Esoterik oder dem rechten Verschwörungsmilieu im Mittelpunkt, aber nicht das eigentliche Thema.“

Was meinen Sie mit Fremdeinflüssen?

Die Chemtrail-Verschwörungstheorie hat sich fest etabliert und zählt viele Gefolgsleute. Das lockt Verschwörungsgurus anderer Richtungen an, die Anhänger abschöpfen oder schlicht Geld verdienen wollen.

Vereinfacht könnte man sagen: Chemtrail-Gläubige sind angstgetrieben – und andere verkaufen ihnen die Mittel dagegen.

Die „Reichsbürger“ zum Beispiel wildern im Revier der Chemmies. Sie sind damit erfolgreich, weil sie neue Staatskreationen versprechen, etwa ein „echtes Deutschland“, in denen Schluss gemacht werde mit Chemtrails und Geoingeneering. Oder die Wundermittelanbieter von der MMS-Fraktion.

Miracle Mineral Supplement ist anschlussfähig, weil dieses Zeug angeblich gegen alle möglichen Beschwerden helfen soll, die von Chemtrails verursacht würden. Querverbindungen zu „Reichsbürgern“, Flacherdlern, Impfgegnern, 9/11-Truthern und sogar zur Partei „Deutsche Mitte“ gibt es.

Aber das sind Nebenschauplätze. Der Fokus der Chemtrail-Verschwörungstheorie ist das Klima, der Klimawandel und der Einfluss des Menschen darauf. Für Chemtrail-Gläubige sind Kondensstreifen Geoengineering, explizit das Sonnenstrahlungsmanagement. Das wird häufig falsch dargestellt. Und damit viel kaputtgemacht.“

Haben Sie dafür Beispiele?

In einem Science-Blog gab es vor kurzem einen ausgezeichneten Beitrag zum Thema Wettermanipulation. Leider stand am Schluss noch ein Satz drin zu Verschwörungstheorien „über böse Regierungen oder Geheimorganisationen, die unser Wetter heimlich durch Chemtrails aus geheimen Chemie-Sprühflugzeugen manipulieren“.

Auch in anderen Medien finden sich immer wieder Formulierungen wie „Es gibt kleinräumige Versuche zum Geoengineering wie Hagelflieger“ oder „Geoengineering in dem Sinne gibt es zwar nicht, aber im kleinen Rahmen wird es schon durchgeführt, zum Beispiel mit Hagelfliegern.“

Das ist verkehrt. Den Chemtrail-Gläubigen kann man nicht unbedingt verübeln, dass sie den Unterschied zwischen Wetter und Klima nicht so genau kennen und alles in einen Topf werfen. Aber Wissenschafts-Blogger und Journalisten sollten eigentlich schon in der Lage sein, Wetter und Klima zu differenzieren.

Wetterbeeinflussung hat mit Geoingeneering nichts zu tun und damit auch nichts mit der Chemtrail-Verschwörungstheorie. Auch in der ZDF-Doku „Leben im Wahn“ von Rayk Anders wurden „Wettermanipulation“ und „Geoengineering“ als Doppelpack genannt. Das fand ich nicht sehr gelungen.“

Welche Folgen von aus Ihrer Sicht suboptimaler Aufklärung nehmen Sie denn wahr?

 Ich engagiere mich seit fast zehn Jahren aktiv gegen die Chemtrail-Märchen und habe unzählige Diskussionen mit Chemtrail-Gläubigen geführt. Dadurch genieße ich bei ihnen den Ruf, ziemlich sachlich zu sein.

Es kommen auch immer wieder Chemtrail-Gläubige mit ihren persönlichen Fragen auf mich zu. Das zeugt von einer gewissen Vertrauensbasis und trägt mit dazu bei, dass meine Mitstreiter und ich immer wieder Betroffene in die Realität zurückführen können.

Allerdings muss ich mir auch oft sagen lassen: „Herr Lorenz, sie sind zwar sachlich und freundlich zu mir, aber in der Regel werde ich überall als Spinner behandelt. Die andere Seite dagegen – also die Verschwörungsgruppen – versteht mich und nimmt mich ernst.“ Verschwörungsanhänger merken natürlich, wenn Quatsch über sie erzählt wird, und das bestärkt sie darin, dass sie Recht haben, denn wozu sonst sollte man offenkundige Lügen über sie verbreiten?

Derartige Pseudo-Aufklärungsversuche sind also eher begünstigend für Verschwörungstheorien.“

Vermutlich ist der Umgang von Verschwörungsgläubigen mit Ihnen aber nicht nur von gegenseitigem Respekt geprägt.

Nein, das geht bis zu Morddrohungen. Wie wohl bei den meisten, die sich kritisch mit solchen Themen beschäftigen.“

Trotzdem können Sie von Erfolgen, also von „Bekehrungen“, berichten. Wie gehen Sie da vor?

Ich bin vor allem bei Twitter aktiv. Wir haben es dort mit vielen Leuten zu tun, die gerade erst in der Anfangsphase der Verschwörungstheorie stecken, also vielleicht eine Beobachtung gemacht haben, die irgendwie merkwürdig ist und die sie sich nicht erklären können. In diesem Stadium kann man mit sachlicher Information und Widerlegung noch viel erreichen.

Das sind nicht alles Idioten, sondern Menschen, denen wir einfach die Falschbehauptungen und auch die Funktionsweise der Chemtrail-Verschwörungstheorie aufzeigen sollten. Dazu muss man die Methodik kennen und man sollte auch wissen, wovon man spricht.

Wenn ein Verschwörungstheoretiker, auch auf der ersten Stufe, Wissenslücken in den Aussagen oder gar Widersprüche entdeckt, hat man verloren und braucht gar nichts mehr zu erklären. Dann ist es im Zweifelsfall besser, mal gar nichts von sich zu geben.

Ich denke, entscheidend sind zwei Punkte: mit Verschwörungsgläubigen so umzugehen, dass sie nicht noch tiefer in ihre Überzeugungen hineingetrieben werden. Und eine Methodik zu vermitteln, mit der sie selbst genau die Punkte finden können, wo sie manipuliert und betrogen werden.“

Zum Weiterlesen:

  • 49-Jähriger blendet Hubschrauber mit Laserpointer und muss ins Gefängnis, SPON am 31. Mai 2017
  • Angeblicher Giftregen aus Flugzeugen, Neues Deutschland am 2. Juni 2017
  • Was jeder über Gewitter wissen sollte, Frank Wettert am 17. Juni 2007
  • Incredible contrail made by Boeing 787 – what causes them, and are they part of a global conspiracy? The Telegraph am 4. Juli 2017
  • Explained: Viral Video of 787 Leaving Thick Contrails with Forced Perspective, Metabunk am 20. Juni 2017
  • Fear of solar geoengineering is healthy – but don’t distort our research, The Guardian am 29. März 2017
  • Unglaubliches Phänomen: Ein skeptisches Chemtrail-Buch, GWUP-Blog am 30. Mai 2013
  • Lehrreicher Lehrfilm Teil 2: Chemtrails & Geo-Engineering – Die Wahrheit, GWUP-Blog am 24. Mai 2017
  • „Fakt“-Video: Wenn Verschwörungstheoretiker sich radikalisieren, GWUP-Blog am 13. Juni 2017
  • Geoengineering-Ideen: Mit Hightech den Klimawandel stoppen? BR am 10. März 2016
  • Climate Engineering: Der Mensch als Klimamacher, Deutschlandfunk Kultur am 2. März 2017

21 Kommentare

  1. @Martina Rheken

    Ja, man müsste mal wissen, wie viele der (mittlerweile vielen) Laserattacken von Chemtrail-Gläubigen stammen. Davon gesprochen und angekündigt haben sie ja oft, weswegen es auch immer wieder Anzeigen gab. Wobei die Wahrscheinlichkeit bei dem Fall in Hamburg vielleicht geringer ist, dass es einer von denen war.

  2. Der Verantwortliche für die apokalyptischen Regenfälle, die Deutschland unter Wasser setzen, ist gefunden: Pilot Zlatan S. drückte beim Versprühen von Chemtrails versehentlich auf den falschen Knopf.

    https://www.welt.de/satire/article167060884/Dauerregen-ueber-Deutschland-bloss-Chemtrail-Panne.html

  3. @ crazyfrog:

    Quatsch, de Verantwortlichen für das derzeitige Wetterchaos sitzen ganz woanders:

    http://cdn.webfail.com/upl/img/989593232c9/post2.jpg

  4. „USA haben heute zugegeben, dass Geo-Engineering (Chemtrails) zum aussterben aller Menschen Tier-und Pflanzen-Leben auf dem Planeten führen könnte.“

    Natürlich nicht.

    http://www.chemtrail-fragen.de/beweisfotos.php?picid=289

  5. Der Harvard-Professor David Keith erforscht, ob man den Planeten mithilfe von Schwefelteilchen in der Stratosphäre abkühlen kann. Ein Gespräch über eine sehr billige und sehr radikale Idee, um die Erderwärmung abzumildern.

    https://www.brandeins.de/magazine/brand-eins-wirtschaftsmagazin/2018/wetter/vielleicht-ist-es-totaler-wahnsinn

  6. Weniger Treibhausgase ausstoßen? Ist gut, reicht aber nicht. Um die Erdüberhitzung zu stoppen, sind Eingriffe ins Klimageschehen nötig – bisher aber kaum praxistauglich.

    https://www.zeit.de/wissen/umwelt/2019-09/geoengineering-klimawandel-ccs-ozeanduengung-kohlendioxid-strahlungsbilanz

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.