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30 Jahre Medjugorje: Teil III – Die Franziskaner

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(Fortsetzung von „30 Jahre Medjugorje Teil II: Die Seher“)

Vickas Befürchtungen erweisen sich als unbegründet.

Schon am dritten Erscheinungstag, am 26. Juni 1981, drängen sich mehr als 300 Dorfbewohner auf dem Podbrdo um Ivanka, Mirjana, Vicka, Marija, Ivan und Jakov und wollen die Gospa sehen. Doch für sie gibt es nichts zu sehen – außer den sechs Jugendlichen, die anfangen, sieben „Vater unser“, „Gegrüßet seist du Maria“ und „Ehre sei dem Vater“ zu beten.

Gegen 18.30 Uhr schreien die Seher auf: „Da ist sie!“ und sinken auf die Knie.

Alle, die auf dem Berg in der Nähe der vier Mädchen und zwei Jungen sind, können die gestellten Fragen hören, nicht aber die Antworten der Erscheinung. Am Sonntag, dem 28. Juni 1981, dem fünften Erscheinungstag, machen sich schon 15 000 Dorfbewohner, Neugierige und Pilger zum Ort der Erscheinungen auf – und zur Muttergottes, die „von oben“ die lang ersehnte Hilfe bringen soll.

Der „Kreuzberg“ von Medjugorje (Foto: Ookaboo)

Was sagt der Ortspfarrer von Medjugorje zu den angeblichen Marienerscheinungen in seiner Gemeinde? Er bekommt zunächst gar nichts davon mit.

Der Franziskanerpater Jozo Zovko weilt in der Nähe von Zagreb bei Exerzitien der Charismatischen Bewegung und trifft erst am 27. Juni wieder in Medjugorje ein. Einen Tag später beschließt er, einzeln mit den Sehern zu sprechen. Alle Gespräche werden auf Tonband aufgenommen.

Zovko beginnt die Befragung recht skeptisch und deckt schnell theologische Widersprüche in den Aussagen der Jugendlichen auf.

Rückblickend scheint Pater Zovko schon zu diesem frühen Zeitpunkt zu der Überzeugung gekommen zu sein, dass die Erscheinungen der sechs Jugendlichen aus seiner Gemeinde nicht echt sein können.

Doch anstatt entsprechende psycho- und pastoralhygienische Maßnahmen zu ergreifen und Ivanka, Mirjana, Vicka, Marija, Ivan und Jakov eine faire Rückzugsmöglichkeit aufzuzeigen, tut er genau das Gegenteil: Er weist die Jugendlichen an, sich bei der Gospa zu erkundigen, ob sie auch in der St. Jakobs-Kirche von Medjugorje erscheinen könne – und zwar so nachdrücklich, bis sein Ansinnen erfüllt wird.

Ab dem neunten Erscheinungstag (2. Juli 1981) verlegen die Seher ihre täglichen Erscheinungen in die Dorfkirche. Damit hat Zovko nun eine gewisse Kontrolle über das Geschehen.

Foto: Luca Lorenzi/Wikipedia Commons

„Von jetzt an“, schreibt der Medjugorje-Kritiker E. Michael Jones,

… würde die Gospa in der Kirche erscheinen und es würde unmöglich werden, ihre angeblichen Behauptungen und Forderungen von der echten Frömmigkeit, von denen sie umgeben waren, zu trennen. Und ebenso würde es dem durchschnittlichen Pilger von jetzt an unmöglich sein, die Aussagen der Seher von dem zu trennen, was die Priester, die über die Sache wachten, die Welt hören lassen wollten.“

In dem überfüllten Gotteshaus hält Pater Jozo Zovko nach der abendlichen Erscheinung der Seher eine denkwürdige Predigt, die die Gemeinde vor Enthusiasmus förmlich erbeben lässt:

Und jetzt möchte ich euch bitten, mit dem Fasten zu beginnen. Fastet morgen, fastet übermorgen, nehmt nur Wasser und Brot zu euch, damit sich Gott uns offenbaren möge und uns anzeige, was wir tun sollen. Es gibt keinen Himmel, der so verschlossen ist, dass Gebete, Fasten und Buße nicht ihren Weg dorthin finden. Seid ihr mit mir?“

Die Reaktion der Gläubigen auf Zovkos Ansprache gibt der katholische Priester und Medjugorje-Beobachter Alojzije Svaljek so wieder:

Das Volk blieb noch lange Zeit in der Kirche, weinend und betend. Alle wollten immer weiterbeten, niemand wollte nach Hause … Alle haben das Wort gehalten.“

Pilgerscharen in Medjugorje (Foto: Ookaboo)

Was treibt Zovko um, einen „Teenager-Spaß“ (für den er die „Erscheinungen“ offenbar hielt) zum authentischen mystischen Phänomen auszustaffieren?

Die Charismatische Bewegung, der Zovko angehört, will einen neuen Geist in die Kirche bringen – wobei es zu durchaus problematischen gruppendynamischen Prozessen kommen kann.

Die Offenheit für das Irrationale und Transzendente (Krankenheilung, Handauflegen, Exorzismen, Prophetie, Zungenreden, Privatoffenbarungen etc.) kennzeichnet viele charismatische Wortführer ebenso wie ihre persönliche Radikalität.

Pater Zovko stand bereits vor Medjugorje im Ruf, in von ihm geleiteten Gebetsgruppen mit einer explosiv-manipulativen Mischung aus charismatischem Gebet und einer fragwürdigen Psychotechnik namens „Sensitivity Training“ zu experimentieren, die bei vielen Teilnehmern in eine „Anzahl hochgradiger Ekstasen“ mündete.

Sieht Zovko jetzt die Chance, mit Hilfe von himmlischen Erscheinungen und Botschaften aus der schwerfälligen Landpfarre Medjugorje eine „erweckte“ Mustergemeinde in seinem Sinn zu formen?

Vermutlich sind die Übertragungsprozesse wechselseitig.

Medjugorje heute (Foto: Ante Perkovic/Wikipedia Commons)

Zovko erwähnt in den Gesprächen mit den Sehern öfter, sie seien jetzt die bekanntesten Jugendlichen in der Region. Und wirklich sind Ivanka, Mirjana, Vicka, Marija, Ivan und Jakov über Nacht zu Stars geworden und scheinen auch Spaß daran zu haben.

Pro-Medjugorje-Autoren verweisen einseitig auf die Belastungen, denen die Seher ausgesetzt waren: Verhöre, Drohungen und Einschüchterungsversuche durch die kommunistische Orts- und Landesregierung auf der einen Seite, zunehmender Erwartungsdruck und große Solidarität der Gläubigen auf der anderen.

Auch die einheimische Pilgerleiterin Vikica Dodig kommt bei der die Frage, was sie so sicher macht, dass die Heranwachsenden damals tatsächlich die Gospa sahen, auf die Anfänge im Sommer 1981 zu sprechen:

Die Tatsache, dass die sechs keine andere Macht mehr anerkannten, obwohl sie wussten, dass die Sache sehr gefährlich war. Man bedrohte ja nicht nur sie, sondern auch ihre Eltern und Geschwister. Aber egal, welche Schwierigkeiten auf sie zukamen, was immer man ihnen auch anbot, welche Fallen man ihnen stellte – sie blieben dabei. Es war diese tiefe Überzeugung, die mich schließlich faszinierte.“

Aber ist dieser Schluss zwingend?

Hätten die Seher angesichts der sich überschlagenden Entwicklung überhaupt noch aussteigen können?

Man darf davon ausgehen, dass die sechs Jugendlichen von den Menschenmassen und dem harschen Eingreifen der Behörden zunächst amüsiert, dann verängstigt und schließlich schockiert waren. An einen Rückzug war kaum noch zu denken, zumal es sich bei den Erscheinungen vermutlich nicht um eine reine Erfindung von Ivanka, Mirjana, Vicka, Marija, Ivan und Jakov handelte, sondern um ihre recht weitgehende Selbstüberzeugung.

Medjugorje erweitert seine Hotelkapazitäten um 500 Betten jährlich (Foto: OOkaboo)

Die hilflos-überzogene Reaktion des Staates, der ein zweites Polen fürchtete und bewaffnete Truppen aus der Hauptstadt Sarajewo gegen die „klerikalen nationalistischen Umtriebe“ in Medjugorje aufmarschieren ließ, verstärkte nur noch das Engagement der Priester und Gläubigen und trug wesentlich zur Verbreitung der Erscheinungen bei.

Das Geltungsbedürfnis der vier Mädchen und zwei Jungen im Pubertätsalter, die Möglichkeit eines sozialen Aufstiegs durch eine Art „Heiligenkarriere“ sind bereits hinreichend gute Gründe, trotz aller Bedrängnisse bei ihrer Geschichte zu bleiben.

Die Beweggründe der Seher treffen sich mit der marianischen Privattheologie, der Bedürfnisstruktur und den Hoffnungen des Dorfes, von der Gospa auserwählt worden zu sein. Und mit dem Anspruch der Franziskaner, endlich ihre charismatischen Anliegen unter Berufung auf die Muttergottes verbreiten zu können.

Als Pater Zovko in Eigenregie – ohne Absprache mit seinen Ordensoberen oder dem zuständigen Bischof von Mostar – sich anschickt, die Seher zumindest teilweise von der Verantwortung für ihre „Visionen“ und deren Auswirkungen zu entlasten, gehen die sechs bereitwillig darauf ein.

Medjugorje liegt mitten in den Bergen der Herzegovina (Foto: Ante Perkovic/Wikipedia Commons)

Am 17. August 1981 wird Pater Jozo Zovko von der Geheimpolizei SUP verhaftet und zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Anlass ist eine Predigt Zovkos über den Auszug der Israeliten aus Ägypten, die die kommunistischen Herrscher als Angriff auf ihr Machtmonopol interpretieren.

Neuer Gemeindepfarrer in Medjugorje (und damit geistlicher Betreuer der Seher) wird Zovkos Mitbruder Pater Tomislav Vlasic aus dem nahe gelegenen Capljinia – sehr zum Verdruss von Ortsbischof Pavao Zanic.

„Trickser“, „charismatischer Hexer“, „Puppenspieler“ – das sind die Vokabeln, mit denen Zanic den neuen Medjugorje-Pfarrer belegt. Starker Tobak für einen Kirchenmann. Und ein Zeichen dafür, dass Zanic die Sache persönlich nimmt.

Dafür hat der Oberhirte mehrere Gründe.

Beim Firmgottesdienst in der St. Jakobskirche am 25. Juli 1981 nimmt Zanic in seiner Predigt die sechs Seher noch in Schutz („Ich bin davon überzeugt, die Kinder reden aus offenem Herzen heraus.“) und verteidigt sie in der kroatischen Kirchenzeitung Glas Koncila gegen die Anfeindungen der Kommunisten.

Als aber die Seherin Vicka Ivankovic ihm gegenüber äußert, die Gospa habe die beiden ungehorsamen und dispensierten Franziskanerpater Ivan Prusina und Ivica Vego in Schutz genommen (siehe Teil I), wird Zanic misstrauisch.

Das Ausbleiben eines von den Sehern fortwährend angekündigten „großen Zeichens“ der Gottesmutter auf dem Erscheinungsberg und Ungereimtheiten bei den Befragungen der sechs Jugendlichen bringen Zanic schließlich zu der Überzeugung, dass die behaupteten Erscheinungen nichts weiter als ein Intrigenspiel der Franziskaner im „Fall Herzegowina“ sind.

Tatsächlich ist zu beobachten, dass problematische Äußerungen der Seher (Widersprüche in den Botschaften, Drohungen, absurde Forderungen der Gospa etc.) offenbar zunehmend kanalisiert werden und in eine zwar simple, aber rechtgläubige Theologie übergehen.

Für Bischof Zanic ist es eindeutig nicht Pater Zovko, der in Medjugorje Regie führt, sondern Tomislav Vlasic.

Und der Bischof weiß auch genau, warum – wenn er sich auch öffentlich diskret darüber ausschweigt.

Pater Vlasic hatte 1976 in Zagreb sein Gelübde gebrochen und mit einer Nonne namens Schwester Rufina ein Kind gezeugt. Eine diesbezügliche Korrespondenz zwischen Vlasic und Rufina liegt Zanic vor. In diesen Briefen führt Vlasic unter anderem aus, dass die „Gospa“ von Medjugorje seine Berufung und sein Priesteramt gerettet habe.

Wie ist das zu verstehen? Höchst wahrscheinlich so:

Den Ordensbrüdern in Medjugorje ist klar, dass die folgenschwere Affäre des Seelenführers der Seher sich irgendwann als tödlich für Medjugorje erweisen könnte. „Es war also besser“, folgert der Medjugorje-Kritiker Michael Jones, „den Fall so zu verdrehen, dass er sich im Ergebnis gegen den Bischof richtete, als die Gefährdung der Erscheinungen hinzunehmen.“

Die Strategie der Franziskaner geht auf: Als Bischof Zanic 1984 mit einer Schrift an die Öffentlichkeit geht, deren Titel man mit „Die aktuelle – inoffizielle – Haltung des Bischofs von Mostar zu den Ereignissen in Medjugorje“ übersetzen könnte, ist er der „Böse“. Die mittlerweile zahlreich gewordenen Promoter der Erscheinungen zeihen Zanic der Verleumdung.

Der einflussreiche Theologe und Mariologe René Laurentin etwa kolportiert in seinen vielen Medjugorje-Schriften bis heute, es habe sich bei dem Kindsvater „um einen anderen kroatischen Franziskaner“ gehandelt und Vlasic sei lediglich der Obere Prior der Nonne gewesen.

Jetzt, als weltbekannte religiöse Persönlichkeit, „konnte Vlasic so ziemlich alles tun, was er wollte“, schreibt Jones weiter. Er, der „den Glauben von Millionen daran hatte, dass die Gospa auf seiner Seite steht“.

Zumindest bis 2009. Vor zwei Jahren wurde Vlasic vom Priesteramt und seinen Ordensgelübden dispensiert.

Die Vorwürfe gegen ihn:

Verbreitung zweifelhafter Lehren, Manipulation der Gewissen, verdächtiger Mystizismus, Ungehorsam gegenüber Weisungen, die ihm zu Recht auferlegt wurden, und Beschuldigungen contra sextum“ (d.h. gegen das sechste Gebot).“

Update:

Im Oktober 2020 ist Vlasic vom Vatikan exkommuniziert worden.

Teil IV: Die Botschaften

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