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30 Jahre Medjugorje: Teil II – Die „Seher“

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(Fortsetzung von „30 Jahre Medjugorje: Die Vorgeschichte“)

Am Mittwoch, dem 21. Juni 1981, ist in Medjugorje Feiertag – das Hochfest des heiligen Johannes des Täufers.

Vicka Ivankovic, ein 17-jähriges Mädchen aus dem Dorf Bijakovici, das in Mostar die Textilfachschule besucht, hat sich für den späten Nachmittag am Fuß des Berges Crnica oberhalb des Dorfes mit ihren Freundinnen Ivanka Ivankovic (15) und Mirjana Dragicevic (16) verabredet. Gegen 17 Uhr erreichen Ivanka und Mirjana den Podbrdo, wie ein dem Berg Crnica vorgelagerter Hügel am Rand des zur Pfarrgemeinde Medjugorje gehörenden Dorfes Bijakovici genannt wird.

Die Teenager verbringen die Sommerferien bei ihren Großeltern in Medjugorje – und bringen beide ihre jeweils eigene Geschichte mit: Ivanka kommt aus der Provinzhauptstadt Mostar und leidet unter dem plötzlichen Tod ihrer Mutter zwei Monate zuvor.

Mirjana geht in Sarajevo aufs Gymnasium und gilt als freizügige „Pankerica“. In der Lesart der biederen Dorfbewohner ist darunter wohl weniger eine echte Punkerin zu verstehen als vielmehr eine typische Großstädterin, die „anders“ ist – in Kleidung, Gewohnheiten und Auftreten.

Was zieht die jungen Mädchen zu dieser immer noch schwülen, heißen Stunde auf den unwegsamen Hügel?

Sie wollten in Ruhe miteinander plaudern und Kassetten hören, erzählen sie später. Erst bei einer eindringlichen Befragung durch den Bischof von Mostar geben sie an, auf den Podbrdo gestiegen zu sein, um zu rauchen.

Um was zu rauchen? Die Antwort auf diese Frage wäre für eine kritische Beurteilung der „Erscheinungen“ insofern interessant, da Mirjana aus Sarajevo eine kleine Menge Haschisch mitgebracht haben soll. Leider wird sie nie gestellt.

Blick auf Medjugorje (Foto: Wikipedia Commons)

Wie auch immer: Beim Abstieg vom Podbrdo dreht Ivanka sich noch einmal um und sieht plötzlich „etwas Glänzendes“, eine „lichterfüllte Gestalt“ mit noch „verschwommenen Umrissen“, die sie jedoch gleich und ohne Bedenken als die heilige Jungfrau identifiziert. Zu Mirjana – oder vielleicht auch nur zu sich selbst – sagt sie: „Schau, die Gospa!“

Mirjana folgt nicht eine Sekunde lang dem ausgestreckten Arm ihrer Freundin, sondern hält die Augen weiterhin auf den steinigen Boden gerichtet und antwortet nur: „Hör auf damit. Was für eine Gospa?“

Offenbar nimmt sie Ivanka nicht ernst. Und diese macht keinerlei Anstalten, ihre Freundin zu überzeugen.

Die beiden Mädchen gehen nach Hause, als ob nichts passiert wäre. Doch ein unvorhergesehener Umstand lässt die beiden kurz darauf wieder umkehren. Sie begegnen nämlich einer weiteren Freundin, der 13-jährigen Milka (eigentlich Milena) Pavlovic, die die kleine Schafherde ihrer Eltern einholen will. Zu dritt erreichen sie wieder den Podbrdo.

Und wieder ist es Ivanka, die als erste die „Gestalt im Licht“ an derselben Stelle auf dem Berg erblickt. „Wir gingen weiter und unterhielten uns“, erzählt sie rückblickend:

Als wir oben ankamen, sah ich die Gospa, wie sie Jesus in ihren Händen hielt. Dann schauten auch Mirjana und Milka hin und sahen sie.“

Für die 13-jährige Milka sollte es die einzige Erscheinung bleiben.

Inzwischen aber ist Vicka Ivankovic in Bijakovici eingetroffen und macht sich auf, ihre beiden Freundinnen zu treffen:

Ich ging Ivanka und Mirjana suchen, da wir jeden Sommer die ganze Zeit zusammen verbringen. Als ich den Weg erreichte, auf dem sie sich befanden, sah ich, wie sie mir mit ihren Händen winkten und mir zuriefen zu kommen. Ich trug Pantoffeln. Als ich zu ihnen kam, sagte Mirjana: Schau dort, die Gospa! Ich fragte: Was meinst du mit Gospa? Was ist denn los mit euch? Ich sah nicht einmal hin. Ich zog meine Pantoffeln aus und lief barfuss auf dem Schotterweg in Richtung Cilici.“

Irgendwann bleibt Vicka stehen und fängt an zu weinen. Sie weiß selbst nicht warum, ob aus Angst, Ärger oder Aufregung.

In diesem Moment wird Vicka von zwei vorbeikommenden Jungen aus ihren Gedanken gerissen: von Ivan Dragicevic (16, nicht verwandt mit Mirjana Dragicevic) und dem 20-jährigen Ivan Ivankovic (nicht verwandt mit Vicka Ivankovic). Der jüngere Ivan fragt Vicka, was mit ihr los ist. „Ivan, die Gospa“, stammelt Vicka. „Sie sagen, die Muttergottes ist oben erschienen. Lass uns nach oben gehen, ich fürchte mich, alleine hinzugehen.“

Was genau sehen schließlich Ivanka Ivankovic, Mirjana Dragicevic, Vicka Ivankovic, Ivan Dragicevic, Ivan Ivankovic und Milka Pavlovic an diesem 24. Juni 1981 gegen 18.45 Uhr am Podbrdo?

Vicka will in 200 Metern Entfernung eine „Lichtgestalt“ ausgemacht haben:

Ich sah etwas und es war sehr weiß. Ich sah ein Gewand und dunkle Haare. Die ganze Zeit deckte sie etwas, das sie in der linken Hand hielt, auf und wieder zu. Ich konnte aber nicht sehen, was sie sonst noch tat, aber es sah so aus, als ob sie etwas zeigte. Dann rief sie uns, näher zu kommen, aber wer würde es in dieser Situation wagen, näher zu kommen?“

Die St. Jakobs-Kirche im Ortskern (Foto: Wikipedia Commons)

Ivan Dragicevic beschreibt sein Erlebnis wie folgt:

„Mirjana, Vicka und Ivanka waren unterwegs, um die Schafe hereinzubringen. Sie riefen ständig von dort oben. Jemand sagte zu uns: Das Licht erscheint gerade dort oben. Das Licht. Wir gingen hinauf zu der Stelle und erlebten genau das, wovon man uns berichtet hatte. Ich sah das Licht.“

Halluzinationen? Visionen? Ein verabredeter Schwindel?

Halten wir fest: Es ist Ivanka, die zweimal behauptet, sie habe als erste die Gospa gesehen. Ihr Vater ist weit weg, ein Gastarbeiter in Deutschland. Ihre Mutter Jagoda verstarb unerwartet im April 1981 im Krankenhaus von Mostar. Keiner der Familienmitglieder konnte von ihr Abschied nehmen, auch Ivanka nicht.

Ist es zu gewagt anzunehmen, dass an diesem Spätnachmittag des 21. Juni die verlorene Mutterfigur zurückgekehrt ist, und zwar in einer verklärten Form? Am zweiten Erscheinungstag, als die Seher der Gospa erstmals Fragen stellen, ist es wieder Ivanka, die den Anfang macht – und sich zuallererst nach ihrer Mutter erkundigt. Der Verstorbenen gehe es gut, antwortet die Erscheinung, sie solle sich keine Sorgen machen.

Bei späteren Begegnungen mit der Gospa kann Ivanka ihre Mutter sogar sehen und mit ihr sprechen. Worüber?

„Sie hat nur einen Satz gesagt“, erklärt Ivanka: „Mein liebes Kind, ich bin sehr stolz auf dich.“

Die Erscheinungsstelle (Foto: Beemwej/Wikipedia Commons).

Das Wunschdenken von Ivanka, das innerliche Festhalten an der Mutter, scheint sich offenbar gelohnt zu haben. Die Erscheinungen vermitteln ihr nicht nur die subjektive Gewissheit, ihre Mutter nicht gänzlich verloren zu haben. Durch die dauerhafte Präsenz der Gospa erfährt sie auch eine starke Aufwertung ihres Selbstwertgefühls – als bevorzugte Tochter und Botschafterin der Muttergottes.

Als auslösende Situation für die Entstehung der ersten Vision bei Ivanka könnte man mithin etwa folgende Konstellation zu Grunde legen, die zu einer Wunschprojektion geführt haben mag:

  • eine konflikthafte, psychodynamische Erlebnis- und Verarbeitungsweise des Mutterverlustes;
  • die Einwirkung des Rauchens potenziert durch narzisstischen Erlebnishunger und verbunden mit Schuldgefühlen, etwas Verbotenes zu tun;
  • eventuell Durst und starkes Schwitzen wegen der Sommerhitze, Atemlosigkeit und Müdigkeit als Folge des Auf- und Abstiegs von dem steilen Berg, das gemeinsame Gruppenerlebnis beim Rauchen und der Glaube an die Muttergottes,
  • möglicherweise unterstützt durch eine eidetische Veranlagung – also die Fähigkeit, innere Vorstellungsbilder aus vorhandenem optischen Erinnerungsmaterial leibhaftig in der Außenwelt zu sehen.

Meist überraschen und überwältigen eidetische Bilder den Betreffenden selbst, der sie als Ich-fremd erlebt.

Psychologisch betrachtet handelt es sich dabei um subjektive Anschauungsbilder „mit dem Charakter realer Wahrnehmung, ohne dass ihnen reale Sinneseindrücke zugrunde liegen“. Sie sind natürlich, nicht krankhaft, brechen aus dem Unterbewusstsein hervor und lassen wegen ihrer Spontanität, Kraft und Ursprünglichkeit den Eindruck eines Eingreifens von außen entstehen.

Eidetische Bilder sind weder „normal“ noch „anormal“ noch „übernatürlich“.

Gebetsstätte/Freialtar hinter der Kirche (Foto: Wikipedia Commons)

Als sie später gefragt wird, was sie dazu veranlasst habe zu sagen: „Schau, die Gospa!“, antwort Ivanka:

Ich sah ihre Umrisse, dieselben, wie ich sie auf Heiligenbildern gesehen hatte. Das ist alles, was ich darüber sagen kann. Ich kann es nicht besser beschreiben.“

Anscheinend bildete sich erst in einem Verarbeitungsprozess aus dem „Licht“, aus etwas „Glänzendem“, einer „lichterfüllten Silhouette“ mit „verschwommenen Umrissen“ allmählich ein immer klareres Bild der Gottesmutter heraus, inspiriert von Vorstellungs- und Anschauungsbildern von einer Marienstatue in der Dorfkirche und verschiedenen Heiligendarstellungen.

Drei der ersten Seher-Gruppe übernehmen Ivankas Vorlage der „Vision“: Mirjana, Vicka und der jüngere Ivan. Sie sind es auch, die zusammen mit Ivanka am nächsten Tag zu selben Zeit wieder die gleiche Stelle auf dem Podbrdo aufsuchen in der Hoffnung, die Erscheinung erneut zu sehen.

Milka Pavlovic ist von ihrer Mutter zur Hausarbeit eingeteilt worden und kann nicht weg. Der ältere Ivan, Ivan Ivankovic, will nicht mitkommen und auch später nichts mehr mit der Sache zu tun haben.

Wieso nicht? Vicka entschuldigt ihn im Nachhinein leichthin folgendermaßen:

Er war älter als wir, warum sollte er Lust haben, mit uns Kindern die ganze Zeit zu verbringen?“

Ivan Ivankovic selbst lässt sich zu den damaligen Vorgängen nur seltsam vage ein: Er habe abgelehnt mit der Begründung, die Erscheinung zu suchen sei etwas für Kinder.

Die in Medjugorje aufgewachsene Autorin Mirjana Stanislava Vasilj-Zuccarini zitiert Ivan in ihrem persönlichen Erlebnisbericht „Der Ruf der Muttergottes aus Medjugorje“ (im Selbstverlag) so:

Seiner Meinung nach war das alles eine kollektive Halluzination oder ein Kinderstreich.“

Anstelle von Milka Pavlovic schließt sich ihre 15 Jahre alte Schwester Marija den vier Jugendlichen an, die außerdem den zehnjährigen Jakov Colo aus der Nachbarschaft mitbringt.

An diesem 25. Juli 1981 konstituiert sich die Sehergruppe von Medjugorje, und die täglichen Erscheinungen beginnen. Alle sechs sehen zunächst ein Licht, das sie sogleich als Muttergottes identifizieren, die laut Ivanka in der Luft schwebt und eine Krone aus Sternen trägt.

Statue der „Gospa“ von Medjugorje(Foto: Ilija Koridc/Fotolia)

Zunächst vergewissern sich die vier Mädchen und zwei Jungen immer wieder gegenseitig, ob alle die Erscheinung sehen – in einer Art Eidetischem Zirkel regen sie selbst den Glauben an die „Visionen“ an und verfestigen ihn. Dann ergreift Ivanka die Initiative und spricht die Gospa direkt an, fragt sie nach ihrer verstorbenen Mutter

Vicka verlangt ganz pragmatisch ein Zeichen:

Liebe Gospa, wenn wir nach Hause kommen, werden sie uns nicht glauben. Sie werden sagen, dass wir verrückt sind.“

Teil III: Die Franziskaner

2 Kommentare

  1. Grüß Gott!

    Hinweisen möchte ich auf die „nachtodliche Belehrung“ des Herrn Geheimrats Jung-Stilling und seines Schutzengels Siona zu dem Maria-Erscheinungen, zu lesen und kostenlos downloadbar bei dem URL

    http://www.uni-siegen.de/fb5/merk/stilling/downloads

    Dort auf „Theologie“ und „Reiner Glaube“ gehen.

    Im Gästebuch dort auch interessante und kontroverse Diskussion

  2. Hallo Trixi:

    Da bin ich aber ganz anderer Meinung!

    *Ich* (und nicht nur ich!) stimme der Sichtweise von Johann Heinrich Jung-Stilling und seinem Engel Siona (bzw. dem oder den Autoren, die dies ihnen in den Mund legen) in allem bei.

    Weder die Heilige Schrift noch die frühe Tradition der christlichen Kirche erlauben es, neben Gott eine „Himmelskönigin“ zu stellen.

    Im einzelnen verweise ich auf die überzeugende Argumentation in dem Text:

    http://www.uni-siegen.de/fb5/merk/stilling/downloads/nachtod_theo_jst/reiner_glaube.pdf

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