Akupunktur im herkömmlichen Sinne geht von der Existenz spezifischer, auf sogenannten Meridianen liegender Akupunkturpunkte aus, die gezielt genadelt werden müssen, um die Lebensenergie Chi zu aktivieren. Allerdings soll es eine Reihe verschiedener Meridiansysteme geben – zugleich konnte die reale Existenz eines solchen „Meridiansystems“ noch nie nachgewiesen werden.
Woher also weiß der Akupunkteur, wohin er stechen muss? Und wie sind die alten Chinesen überhaupt auf ihre verschiedenen Punkte und Punktarten gekommen? In diesem Zusammenhang fällt zumeist der Name George Soulié de Morant, mit dessen Schriften nach 1929 die moderne Akupunktur begann. „Aber alle Indizien deuten darauf hin, dass er in China nie eine Nadel gestochen, vermutlich nie eine Nadelung gesehen hat“, beginnt ein kritisches Porträt des Vaters der westlichen Akupunktur, das heute im Deutschen Ärzteblatt erschienen ist. Das Fazit:
Der Franzose George Soulié de Morant gilt als Vater der westlichen Akupunktur. Er behauptete, Akupunktur in China gelernt zu haben. Aber alle Indizien deuten darauf hin, dass er in China nie eine Nadel gestochen, vermutlich nie eine Nadelung gesehen hat. Seine Akupunktur war im Wesentlichen ein Fantasieprodukt. An den Folgen dieses Betrugs leidet die TCM bis heute. Von rationalen Lehrinhalten kann nach wie vor keine Rede sein. Die Einführung der ,Zusatzbezeichnung Akupunktur‘ war voreilig. Sie zementierte spekulative Lehrinhalte, die vielfach dem Aberglauben näher sind als der Wissenschaft.“
Zum Weiterlesen:
- Akupunktur im Westen: Am Anfang war ein Scharlatan, Dtsch Arztebl 2010; 107(30): A 1454–7
- West-östlicher Scharlatan, Süddeutsche Zeitung vom 15. August 2010
2. August 2010 um 13:21
Mal ganz unabhängig von der möglichen Wirkung oder Nicht-Wirkung von Akupunktur sollte man doch bei einer kritischen Betrachtung drei Dinge auseinander halten:
a) Die Wirkung der Maßnahme,
b) die Theorie, die diese Wirkung erklärt und
c) die Redlichkeit von Vertretern der Maßnahme / der Theorie.
Die Wirkung, da dürfte kaum Dissenz bestehen, lässt sich empirisch belegen – oder widerlegen.
Für Theorie gelten bestimmte metatheoretische Voraussetzungen (Falsifizierbarkeit), um überhaupt als Theorie gelten zu können. Gelten diese, kann sie bestätigt, widerlegt oder eingegrenzt werden. So gilt heute die klassische Mechanik auch nur noch in gewissen Grenzen und nicht mehr – wie Newton einst annahm – allgemein.
Die Redlichkeit, mit der der Apologet einer Maßnahme bzw. Theorie diese vertritt, ist von beidem unabhängig. So folgt aus seiner Unredlichkeit nicht die Falschheit der von ihm behaupteten Sachverhalte. Das ist nur dann (tautologisch) der Fall, wenn die Lüge sich auf eben diese Sachverhalte bezieht. Das tat sie bei George Soulié de Morant aber allem Anschein nach nicht. Er behauptete, eine Fertigkeit zu besitzen, die er nicht besaß. Ob diese Fertigkeit bestimmte Effekte zeitigt oder nicht, bleibt davon gänzlich unberührt.
Auf solche „Sticheleien“ sollte daher eher verzichtet werden. Wer (zu Recht!) eine saubere wissenschaftliche Praxis einfordert, der kann sich nicht ohne Schaden zu nehmen Methoden bedienen, wie sie zuweilen im (unsauberen) Wissenschaftsbetrieb und der Politik Anwendung finden. Sachfragen sind sachlich zu klären. Alles andere sollte man den Pseudowissenschaftlern überlassen – die sich dadurch selbst diskreditieren.