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Ghosthunter auf Burg Frankenstein

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Eigentlich dachte ich, die Zeit der Märchenfilme sei mit den Weihnachtsfeiertagen vorbei. Irrtum.

Die Resteverwerter von Das Vierte ließen gestern Nacht mal wieder einen, der auszog, die Zuschauer das Fürchten zu lehren, über die Mattscheibe spuken – und das auch noch beinahe im Wortsinn. Denn kein Geringerer als der berüchtigte deutsche „Frankensteinexperte“ Walter Scheele durfte das Team von Ghost Hunters International auf Burg Frankenstein bei Darmstadt begrüßen.

Was dann folgte, muss man sich so ähnlich vorstellen wie die Reaktion von an sich harmlosem Glycerin mit Nitriersäure. „I’m afraid of no Ghostbusters“, wird Scheele sich wohl gedacht haben. Und so traktierte er Seit an Seit mit Case Managerin Donna „Wott’s de Käs?“ LaCroix und ihren spleenigen Jungs von TAPS das TV-Publikum mit allerlei absonderlichen Thesen. Immerhin ist jetzt auch mir klar, wieso Scheele so hübsche Spitznamen wie „Käpt’n Blaubär“ oder „Der dicke Märchenonkel vom Frankenstein“ auf sich zieht.

Nicht nur, dass der Vielschreiber aus knacksenden und knisternden Tonbandaufnahmen des Ghosthunter-Teams jenseitige „Botschaften“ eines gewissen Arbogast von Frankenstein herausgehört haben will. Nein, dass diverse Geister vom Torturm herunter Touristen mit Steinen bewerfen, steht für Scheele ebenso felsenfest wie Burg Frankenstein – die Scheele gutgläubigen Journalisten und Besuchern seit vielen Jahren unentwegt als „the real home of the Monster“ verkauft.

Zugegebenermaßen eine reizvolle Vorstellung, aber leider barer Unsinn. Außerdem kommt in Mary Shelleys Roman „Frankenstein oder der moderne Prometheus“ gar keine Burg vor. Wenn ein Ort in Deutschland das Frankenstein-Monster für sich reklamieren kann, dann ist es weder die Burg Frankenstein zu Darmstadt-Eberstadt noch das Dorf Frankenstein im Pfälzer Wald – sondern Ingolstadt.

Was hat die Auto-Metropole an der Donau mit Frankenstein zu tun?

„Endlich dämmerte der Morgen, trüb und feucht, und er enthüllte meinen schlaflosen und schmerzenden Augen die Kirche von Ingolstadt, ihren weißen Turm und die Uhr, die sechs anzeigte“, lesen wir in dem 1818 erschienen Gruselklassiker. Und was sich kurz zuvor, in einer „düsteren Nacht im November“, zugetragen hat, ist wohl den meisten Zeitgenossen nicht erst seit der opulenten Kenneth-Branagh-Verfilmung (am 1. Januar in Sat.1) bekannt: Victor Frankenstein, ein junger begabter Naturwissenschaftler, haucht einer aus Leichenteilen zusammengesetzten Kreatur Leben ein – mit schrecklichen Folgen.

Doch erst der Film von 1994 entreißt der Frankensteinlegende ein Detail, das die meisten Leinwandversionen aussparen: Der vielleicht berühmteste fantastische Roman der Weltliteratur spielt in weiten Teilen im bayerischen Ingolstadt.

Warum die britische Autorin Mary W. Shelley gerade einen deutschen Schauplatz wählte, als sie 1816 während eines Ferienaufenthaltes am Genfer See ihren „Frankenstein“ ersann, können wir nur vermuten. Gesehen hat Shelley die Donaustadt wohl nie, und so sucht man reale Alt-Ingolstädter Topographie in ihrem Buch vergeblich. Mary Shelleys Ingolstadt ist ein abstraktes, düsteres Gassengedränge, das von einem weißen Kirchturm überragt wird und in dem nur Frankensteins Hinterhof-Dachkammer verschwommen aufscheint.

Zum einen war es wohl dem herausragenden wissenschaftlichen Ruf der Ingolstädter Universität geschuldet, dass Mary Shelley ihren „Frankenstein“ nach Ingolstadt vergab.

Zum anderen war Ingolstadt für die junge Autorin die Stadt des Adam Weishaupt – jenes Radikalaufklärers, der 1776 den Akademikergeheimbund der Illuminaten ins Leben rief, dem auch Marys Ehemann, der berühmte Dichter Percy Shelley, nahe stand.

Wie auch immer: Noch heute flattern der Stadtpressestelle Briefe ins Haus mit dem Wunsch, „die Wirkungsstätte Frankensteins“ besuchen zu dürfen. Ein US-Bürger habe unlängst sogar angefragt, ob es denn wahr sei, dass die Fenster von Frankensteins ehemaligem Wohnhaus jeden Abend mit Steinen zugemauert würden, am nächsten Morgen aber wie von Geisterhand wieder freigelegt seien …

Hoffen wir mal, dass die „Ghosthunters International“ davon nichts erfahren. Oder gar Walter „Käpt’n Blaubär“ Scheele.

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Ein Kommentar

  1. Werter Artikelautor,

    grundsätzlich sind Ihre Aussagen richtig, aber letztendlich auch spekulativ.

    Ob Mary Shelley die Burg Frankenstein kannte oder nicht, ist beides spekulativ.

    Sie kam, wie in „Flucht aus England“ beschrieben, definitiv der Burg am rheinischen Gernsheim nahe.

    Das heißt nicht, dass sie dort war, aber an Bord des Schiffes könnte man ihr die Geschichte des Jahres zuvor dort im kirchlichen Hausarrest sitzenden Alchemisten Johann Konrad Dippel gehört haben, dem auch Experimente mit Leichen nachgesagt wurden.

    Ob es dann gleich als Vorlage zu zu „Frankenstein“ wurde ist sicherlich fraglich, da viele Jahre zwischen der Reise, der Grundidee am Abend am Genfersee und der tatsächlichen Romanausarbeitung lagen.

    Aber Autoren suchen Namen für Orte und Personen und wahrscheinlich kam ihr dieser Name dann passend ins Gedächtnis. Allerdings verhält es sich mit Ingolstadt ganz genauso. Damals in Deutschland führend für Experimente mit der aufkommenden Elektrizität und der Verehrung Franklins durch Shelleys Stiefvater dürften eben diese Ortswahl bestärkt haben.

    Auf Grund einer geplanten filmischen Shelley Biografie haben wir uns mit dem Thema schon intensiver auseinandergesetzt und sehen beide „lager“ als schwierig. Die einen, die behaupten, Shelley war auf der Burg und alle erdenklichen „Beweise“ anführen und die andere, ebenso starre Seite, die alles dran setzt, es zu widerlegen z.B. Vermessung der Baumhöhe als Beleg, das man die Burg von Germersheim nicht sehen konnte.

    Wir kennen einige „Drahtzieher“ und sehen hier einen persönlichen Krieg. :-)

    Kurz: hier mischten sich Historie mit der Fantasie einer wundervollen Schriftstellerin! So sehen wir/ich das…

    Beste Grüße,

    Tom Greiner

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