Am 10. Juni hat MDR Investigativ einen Beitrag (Artikel + Video) veröffentlicht: In Kamenz, Sachsen, wurde ein Vortrag gehalten, bei dem die Germanische Neue Medizin (GNM) beworben wurde.
Die Vorsitzende des Kinderschutzbunds in Kamenz hat einen österreichischen Redner zu einem Vortrag eingeladen, der über die Lehre der sogenannten „Germanischen Neuen Medizin“ informiert. Diese lehnt schulmedizinische Behandlungsmethoden, wie etwa Chemotherapien bei Krebserkrankungen, ab.
Um wen handelt es sich dabei?
Der Redner ist Elias Leppe. Der Österreicher ist bekannt in der esoterischen Gesundheitsszene. Im Internet findet man viele Videos von ihm zu Gesundheitsthemen.
In Kamenz nutzte er die Bühne, um über die Grundprinzipien der GNM zu referieren:
Leppe erklärt den Anwesenden: „Die fünf biologischen Naturgesetze sind Naturgesetze – wie das Resonanzgesetz und das Gesetz von Ursache und Wirkung. Das sind Dinge, die kann man nicht aushebeln, die sind in der Natur verankert!“
Auf Psiram findet man, was hinter den „fünf biologischen Naturgesetzen“ (5BN) steckt:
Laut Lehre der Germanischen Neuen Medizin (GNM, vormals: Neue Medizin) seien bis auf wenige Ausnahmen letztendlich alle Erkrankungen bei Mensch oder Tier als Folge von so genannten „biologischen Konflikten“ anzusehen. Krankheitsverläufe und Genesungen beruhten demnach auf fünf „biologischen Gesetzmäßigkeiten“ (auch „fünf biologische Naturgesetze“ oder abgekürzt „5BN“ genannt), die der Wissenschaft bislang entgangen seien bzw verleugnet würden. Lediglich Vergiftungen oder Schädigungen durch ionisierende Strahlen seien davon ausgenommen. Laut Hamer beschreibe die GNM ein „naturgesetzlich“ begründetes, diagnostisches und bedingt therapeutisches Prinzip. Ohne sich auf die wissenschaftliche Psychosomatik oder Psychologie zu berufen, werden im Rahmen des GNM-Konstruktes psychotherapeutische und Elemente des Positiven Denkens eingesetzt, die das Ziel verfolgen, bei Patienten Selbstheilungseffekte entweder anzuregen oder Patienten vor als schädlich empfundenen Einflüssen zu bewahren.
Das führt Leppe am Beispiel Hodenkrebs aus:
Leppe führt das, wie er sagt, zweite der fünf biologischen Naturgesetze an: „Es gibt immer, hinter jeder Krankheit, einen biologischen Sinn. Evolutionsbedingt“, erklärt er den Teilnehmern. Beim Hodenkrebs gehe es darum, dass man ein Kind verloren habe. Wobei das Kind, so Leppe, auch etwas anderes sein könnte: zum Beispiel der Hund. Oder die Firma. In jedem Fall ein Schockerlebnis.
Diese Sichtweise lehnt evidenzbasierte Medizin ab, und das kann fatale Folgen haben. Onkologin Prof. Dr. Jutta Hübner ordnet das Ganze so ein:
Die Onkologin Professor Jutta Hübner vom Uniklinikum Jena glaubt, dass man es hier mit sektenartigen Strukturen zu tun hat. Davon, dass führenden Vertreter der „Germanischen Medizin“ eine Wahnvorstellung haben, geht sie nicht aus. „Ich glaube, dass die ein ganz klares Programm haben, diese Menschen von sich abhängig machen wollen. Und dass die durchaus durchschauen, dass sie hier etwas erzählen, was wissenschaftlich falsch ist“, erklärt die Medizinerin.
Das kann verheerende Konsequenzen nach sich ziehen:
Für Patienten kommt es glaubwürdig rüber, und das führt dazu, dass sich Patienten an entscheidenden Punkten, wo man den Krebs entdeckt und ihn behandeln kann, falsch entscheiden und erst mal auf diese Germanische Medizin setzen“, sagt Hübner. „Und meine Erfahrung ist, dass sie offensichtlich dadurch auch in eine sektenartige Struktur geraten, aus der sie sich auch aus psychischen Gründen kaum noch befreien können. Also selbst wenn sie vielleicht merken, der Krebs wächst weiter, kommen sie nicht mehr raus aus dem System.“
Silke Brewig Lange, die Vorsitzende des Landesverbands Sachsen, sieht die Sache deutlich kritischer als der Kamenzer Oberbürgermeister, der sich eher zurückhaltend äußert. Für sie ist klar:
Aus ihrer Sicht sei der Fall absolut schwerwiegend. „Wenn von der Vorsitzenden (vom Ortsverband Kamenz des Kinderschutzbundes) so eine Veranstaltung organisiert und dann auch noch darüber hinaus dort mitgewirkt wird.“ Der Kinderschutzbund Sachsen will sich neben der Vorsitzenden auch an die anderen Vorstandsmitglieder des Ortsverbandes wenden. So keine Konsequenzen gezogen werden, erwägt er, seinen Ortsverband Kamenz notfalls ganz auszuschließen.
Zum MDR-Beitrag (Artikel + Video)!
Zum Thema:
- Artikel: Ein Tumor platzt und keiner wählt den Notruf. – tagesschau-Podcast 11 KM: „Germanische Neue Medizin: Eine tödliche Lehre“ mit Beitrag von Jutta Hübner, GWUP-Blog vom 05.06.2025
- Artikel: Hamers Germanische Neue Medizin grassiert im Netz, GWUP-Blog vom 23.03.2025
- Podcast: Germanische Neue Medizin (5. Staffel des Podcasts „Seelenfänger“), Bayern 2 vom 14.03.2025
- Podcast: Warum die „Germanische Neue Medizin“ die SCHLIMMSTE Medizin ist, Quarks Science Cops vom 30.09.2023
- Video: Statt Arzt zum Heiler – Die Germanische Neue Medizin, MDR Investigativ vom 07.07.2022
- Artikel: Warum Menschen auf selbsternannte Gesundheitsberater hören – und doch besser auf ihren Rat verzichten sollten, Henrik Müller (medwatch) vom 11.01.2022
- Video: Rohe Energie: Hört auf uns zu veralbern! (schon wieder Werbung für das „Aids-Leugner-Buch“), steffi.gains.knowledge vom 05.02.2022
- Video: Dr. Rüdiger Dahlke: Erfolg dank menschenverachtender Esoterik statt seriöser Medizin, steffi.gains.knowledge vom 16.04.2020
- Video: The Horror of German New Medicine, Jeff Holiday vom 24.06.2019
- Artikel: Die Todesopfer der GNM: Hamer, wie er wirklich war, GWUP-Blog vom 06.07.2017
- Artikel: Ryke Geerd Hamer ist tot, GWUP-Blog vom 04.07.2017
- Artikel: Die eigenartige Welt des Herrn Pilhar, kurier.at vom 21.05.2017
- Artikel: 18-jährige Krebspatientin stirbt nach verweigerter Therapie, Der Standard vom 02.09.2016
- Artikel: Die absurden Lügen der GNM: „Praktisch kein jüdischer Patient stirbt an Krebs“, GWUP-Blog vom 18.02.2016
- Artikel: „Neue Germanische Medizin“: Es gibt keine Krankheiten, nur seelische Konflikte!, Florian Freistetter (Der Standard) vom 16.02.2016
- Artikel: Mein Studentenmädchen gegen Krebs: Neues Todesopfer der Germanischen Neuen Medizin, GWUP-Blog vom 21.09.2015
- Artikel: Wenn Pseudomedizin auf Antisemitismus trifft: Germanische Neue Medizin, Florian Freistetter (Scienceblogs, Astrodicticum Simplex) vom 27.05.2010
- Artikel: Germanische Neue Medizin, Psiram
- Artikel: Ryke Geerd Hamer, Psiram
- Artikel: Helmut Pilhar, Psiram
- Artikel: Opfer der Germanischen Neuen Medizin, Psiram
Hinweis:
- Falls ihr Ideen, Anregungen oder Empfehlungen habt bzw. selbst ein Gastkapitel für den GWUP-Blog schreiben möchtet, kontaktiert uns unter: blog@gwup.org.
- Wenn ihr noch nicht im Skeptischen Netzwerk angemeldet seid, möchten wir euch herzlich dazu einladen. Dort finden GWUP-Mitglieder und Interessierte eine Plattform für Diskussionen und Austausch rund um skeptische Themen:
22. Juni 2025 um 15:27
Es gibt wohl kaum etwas Verachtenswerteres im großen Graufeld der Medizin als Hamers GNM. Hier verknüpft sich so vieles – pure Menschenverachtung, massive Wissenschaftsleugung, geradezu pathologische Selbstüberhöhung und nicht zuletzt Antisemitismus. Das diese eklige Kloake immer noch bordelt, entsetzt mich regelrecht.
Ich weiß noch gut, wie die kritische medizinische Szene aufatmete, als der Tod von Hamer in seinem norwegischen Exil bekannt wurde. Der Tod eines Menschen an sich ist nie ein Grund zum Aufatmen, aber dies galt der Hoffnung, dass der Spuk der GNM nun ein Ende finden werde – jedenfalls nach einiger Zeit.
Indes ist dies nicht der Fall. Die Proponenten der GNM sind immer noch da – zumeist gar Laien, die im Stile von Haustürvertretern oder Wanderpredigern ihre Unheilslehre unter die Leute bringen. Natürlich – der Stohhalmeffekt, der bei tief Verzweifelten einfach ein menschlicher Faktor ist, kommt dem entgegen. Aber die bekannten Unheilsgeschichten von Hamer zeigen, dass selbst dann, wenn die Schädlichkeit offensichtlich ist, die Menschen nicht mehr von ihren Illusionen ablassen können. Das Beispiel des Patienten, der mit dem Lied vom „kleinen Studentenmädchen“ sich selbst zu Tode gebracht hatte, ist eine einzige stumme Anklage.
Also: Gegenrede und Verachtung gegenüber allen, die Hamers unmenschliche Thesen nach wie vor verbreiten. Ob in Dörfern, Städten oder in Patientenvereinen – überall.